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Ausstieg: Wie soll das Ende der Atomkraft aussehen?

Am 6. Juni will das Bundeskabinett die Energiewende festzurren. Die deutschen Meiler sollen vom Netz - aber nicht alle sofort.

In der Nacht zum Montag hat die Koalition ihre ersten grundsätzlichen Beschlüsse gefasst. Ihre Entscheidungsgrundlage war der Bericht der Ethikkommission.

Der Ausstieg

Die sieben ältesten Atomkraftwerke und der Pannenmeiler Krümmel werden stillgelegt. Bis 2021 sollen sechs weitere Atomkraftwerke vom Netz gehen, und 2022 soll „definitiv“ das „späteste Ende für die letzten drei“ Atomkraftwerke sein, hat Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) gesagt, als er den Kompromiss der Regierungskoalition zum Atomausstieg präsentiert hat.
Was zunächst ganz klar klingt, ist es bei näherer Betrachtung dann doch nicht. Jedes Atomkraftwerk soll mit 32 Jahren rechnerischer Strommenge ausgestattet werden. Nachdem es zunächst so aussah, als käme der Anti-Akw-Bewegung nun endgültig ihr Kampfthema abhanden, hat sich Jochen Stay von Ausgestrahlt am Montag doch schnell wieder gefangen: „Unter dem Strich bedeutet der Koalitionsbeschluss für einen Reihe von Atomkraftwerken gegenüber dem rot-grünen Szenario eine deutliche Laufzeitverlängerung.“ Tatsächlich würden die übertragbaren Strommengen der Atomkraftwerke Krümmel, Mühlheim-Kärlich und vermutlich Isar 1, bei dem noch acht Monate bis zu den 32 Jahren fehlen, das aber abgeschaltet bleiben soll, ausreichen, um Meiler wie den in Grafenrheinfeld, der 2014 fällig wäre, bis Ende 2019 weiterzubetreiben.
Klaus Töpfer und Matthias Kleiner, die Vorsitzenden der Ethikkommission, die der Kanzlerin am Montag ihren Abschlussbericht übergeben haben, sehen das weniger eng. Innerhalb „eines Jahrzehnts“ sei der Ausstieg möglich und auch geboten, hat die Ethik-Kommission gefordert. Aber „ein Jahrzehnt ist auch nicht mehr das, was es mal war“, sagte Töpfer am Montag grinsend auf die Frage, was er denn zu einem Ausstiegstermin 2022 zu sagen habe.

Die nukleare Kaltreserve

Die Idee für eine nukleare Kaltreserve hat der Chef der Bundesnetzagentur Matthias Kurth ins Gespräch gebracht. Er warnte mit Blick auf die sieben während des Moratoriums stillgelegten Atomkraftwerke und Krümmel vor Versorgungsengpässen im kommenden Winter an sehr kalten, windstillen Tagen in Süddeutschland. Dann könnten bis zu 2000 Megawatt Leistung fehlen, argumentierte Kurth. FDP-Chef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler griff den Gedanken auf und setzte sich damit in der nächtlichen Koalitionsrunde durch. Ein Atomkraftwerk in Süddeutschland solle als „Kaltreserve“ betriebsbereit gehalten werden, heißt es in dem Beschluss. Welches das sein soll, darüber solle die Bundesnetzagentur entscheiden. Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa sollen dafür die Meiler Biblis B oder Philippsburg 1 im Gespräch sein. Die Kosten für diese drei Winter gültige Regelung könnten bei 50 Millionen Euro im Jahr liegen. Klaus Töpfer sagte dazu: „Das ist nicht empfehlenswert. Deshalb steht es auch nicht im Bericht der Ethik-Kommission.“ SPD-Chef Sigmar Gabriel spottete noch in der Nacht: „Das sind Vorstellungen, die mit der technischen Wirklichkeit wenig zu tun haben.“ Das Umweltbundesamt legte am Montag eine Aktualisierung eines Hintergrundpapiers vor, in dem das UBA nachweist, dass ein Atomausstieg bis 2017 bei gering höheren Strompreisen und garantierter Versorgungssicherheit möglich wäre. Das UBA führt aus, dass die existierende Kaltreserve, also Kraftwerke, die aus Wettbewerbsgründen derzeit keinen Strom erzeugen, die aber betriebsbereit gehalten werden, einen Umfang von etwa 1600 Megawatt hat. Die meisten Kraftwerke stünden Süddeutschland. Doch die nukleare Kaltreserve war wohl der Preis, den die Union der FDP für ein festes Ausstiegsdatum zahlen musste.

Die Endlagerung

Der im Koalitionsbeschluss gefundene Kompromiss zum Thema Endlagerung ist so fein austariert, dass ihn auch CSU-Chef Horst Seehofer mittragen konnte. Nun soll „die ergebnisoffene Erkundung von Gorleben“ ergänzt werden durch „ein Verfahren zur Ermittlung allgemeiner geologischer Eignungskriterien und möglicher alternativer Entsorgungsoptionen“. Das erweitert den „Suchraum“, wie die Ethik- Kommission schreibt, die eine „rückholbare Endlagerung unter höchsten Sicherheitsanforderungen“ empfiehlt. Für den Chef des Bundesamts für Strahlenschutz, Wolfram König, ist das ein Schritt zu einem „partei- und legislaturperiodenübergreifenden Konsens“, den er für dringend notwendig hält.

Die Kosten

Die Brennelementesteuer wird nicht abgeschafft, bringt aber eine gute Milliarde Euro weniger ein, als der Finanzminister eingeplant hatte. Zudem schreibt die Regierung die geplanten „freiwilligen Beiträge“ der Energiekonzerne ab, die im Förderfondsvertrag im vergangenen Herbst ausgehandelt worden waren. Der Vertrag wird beendet, doch der Energie- und Klimafonds soll weitergeführt werden. Dafür sollen die Einnahmen aus der Versteigerung von Kohlendioxid-Zertifikaten im europäischen Emissionshandel komplett an den Fonds überwiesen werden. Allerdings soll dann auch die gesamte Energiewende aus dem Fonds finanziert werden, als da sind: 1,5 Milliarden Euro jährlich für das Gebäudesanierungsprogramm der KfW-Bank, 300 Millionen Euro für die Förderung der Elektromobilität, ebenfalls jährlich und 500 Millionen Euro, mit denen die energieintensive Industrie entschädigt werden soll, wenn die Strompreise steigen. Allerdings mache sich Deutschland international unglaubwürdig, wenn das keine Mittel für den internationalen Klimaschutz mehr aus den Emissionshandelserlösen zur Verfügung stünden, sagt die WWF-Klimaexpertin Regine Günther.

Die Energiegesetze

Eines ändert sich trotz beschleunigter Energiewende nicht: Es bleibt bei der schon im Herbst beschlossenen Zielmarke von 35 Prozent erneuerbarer Stromversorgung bis 2020. Darauf haben sich die Koalitionsspitzen geeinigt. Der Chef der IG Bergbau, Chemie, Energie und Mitglied der Ethik-Kommission, Michael Vassiliadis, wünscht sich, dass der Bericht der Ethikkommission „in den kommenden Tagen noch als Ganzes gewürdigt wird“. Er sieht in dem Bericht ein Gesamtkonzept, das alle notwendigen Elemente einer Energiewende anspreche, „auch wenn man im Detail über die Vorschläge diskutieren kann“, sagte er dem Tagesspiegel. Vassiliadis sagte mit Blick auf die neuen Kohlekraftwerke, die derzeit im Bau sind: „Das ist die Nagelprobe.“ Diese Kraftwerke müssten trotz der noch vorhandenen Akzeptanzprobleme nun zügig fertig gebaut werden.

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