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Australien: Abhängig von den Unabhängigen

Die Wahl in Australien blieb ohne klaren Sieger – Labor und Konservative wollen sich nun beide um eine Mehrheit bemühen.

Nach den spannendsten Wahlen in Australien seit 70 Jahren stand auch am „Tag danach“ noch nicht fest, wer in Zukunft die australische Regierung führen wird. „Das Volk hat gesprochen, aber es wird einige Zeit dauern, herauszubekommen, was es gesagt hat.“ Das hat der frühere US-Präsident Bill Clinton gesagt, als es in der Wahl für seinen Nachfolger auf Messers Schneide stand. Australiens Premierministerin Julia Gillard borgte sich am Samstag das Zitat, um die unklare Lage nach der Wahl zu beschreiben. Denn nur eines war am Sonntag sicher: Weder Gillards Labor-Partei noch die konservative Opposition unter Tony Abbott wird im Unterhaus in Canberra in Zukunft eine Mehrheit haben, zum ersten Mal seit 1940 gibt es ein „hängendes Parlament“.

Nach den letzten Stimmenauszählungen vom Sonntag kann Labor nach einer schweren Niederlage nur noch mit 72 Sitzen rechnen (2007: 88), die Konservativen mit 73 (59). Außerdem wird erstmals ein Grüner im Parlament vertreten sein, auch vier unabhängige Abgeordnete wurden gewählt.

Sowohl Gillard als auch Abbott gaben am Sonntag zu erkennen, dass sie in Verhandlungen mit den Unabhängigen eintreten werden, die Unterstützung des Grünen Adam Bandt für Labor gilt als so gut wie sicher. Weitaus schwieriger werden sich die Gespräche mit den drei bisher bereits im Parlament vertretenen Unabhängigen gestalten, die allesamt früher Abgeordnete der Nationalen Partei waren. Die vor allem in ländlichen Gegenden angesiedelte Nationale Partei gehört zur konservativen Opposition. Diese drei Abgeordneten kündigten am Tag nach der Wahl an, sie würden versuchen, eine gemeinsame Vorgehensweise zu finden. Der vierte Unabhängige, dessen Sieg noch nicht einmal hundertprozentig feststand, ist eher Labor zugeneigt.

Wenn Abbott seine Karten geschickt ausspielt, könnte er Australiens 28. Premierminister werden, seitdem sich die ehemaligen Kolonien auf dem fünften Kontinent 1901 zu einem Nationalstaat zusammengeschlossen hatten. Der als parlamentarischer „Wadenbeißer“ seines politischen Ziehvaters John Howard bekannt gewordene Abbott hatte seit seiner Wahl zum Oppositionsführer im Dezember eine erstaunliche Wandlung vollzogen und politische Beobachter mehr als überrascht. Während er in der Vergangenheit immer wieder mit unbedachten Äußerungen potenzielle Wähler verprellte, hielt er seit seinem sensationellen Aufstieg zum Oppositionsführer sein Temperament im Zaum. So wurde der in der Vergangenheit vor allem in moralischen Fragen wie Abtreibung ultrakonservative Politiker wählbar weit über die konservative Klientel hinaus.

Unklar ist bisher noch, ob Abbott auch mit seinem umstrittenen Versprechen „Wir werden die Boote stoppen“ Stimmen gesammelt hat. Der Oppositionsführer hatte Labor für die Zunahme der Zahl Asyl suchender Bootsflüchtlinge vor allem aus Sri Lanka und Afghanistan verantwortlich gemacht und angekündigt, er werde die Flut der „illegalen Einwanderer“ stoppen. Außerdem hatte er unerbittlich sein Mantra von den hohen Schulden wiederholt, die Labor dem australischen Volk aufgezwungen habe.

Labor steht nun vor einem Scherbenhaufen und könnte als erste Regierung seit fast 80 Jahren nach einer einzigen Amtszeit von lediglich 33 Monaten abgewählt werden. Gillard kündigte aber entschlossen an, sie werde um die Macht kämpfen.

Neben dem extrem knappen Ergebnis und dem ersten Sitz für die Grünen gab es noch eine Besonderheit bei dieser außergewöhnlichen Wahl. Kim Wyatt schaffte als erster Aborigine den Sprung ins Unterhaus.

Alexander Hofmann[Sydney]

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