zum Hauptinhalt
Sorgsame Auszählung. Angesichts des Andrangs in den Wahlbüros dauert die Auszählung länger als erwartet – Ergebnisse soll es am Dienstag geben. Foto: Zoubeir Souissi/rtr

© REUTERS

Politik: Banges Warten auf das Resultat

Die moderaten Islamisten liegen bei den Wahlen in Tunesien vorn – die säkularen Kräfte haben Mühe, sich zusammenzuschließen

Berlin - Die Wahlbeteiligung bei den ersten freien Wahlen in Tunesien ist ein Erfolg gewesen. Von den 4,1 Millionen registrierten Bürgern hätten mehr als 90 Prozent ihre Stimme abgegeben, ist auf der Website der Wahlkommission zu lesen. Allerdings hatten sich 3,1 Millionen Stimmberechtigte nicht in Wählerlisten eingetragen. Sie durften dennoch in speziellen Wahllokalen ihre Stimme abgeben. Das mit Spannung erwartete Ergebnis wird nach Angaben der Wahlkommission allerdings erst am Dienstag bekannt gegeben.

Neun Monate nach dem Sturz von Langzeitherrscher Zine al Abidine Ben Ali waren am Sonntag rund sieben Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, die 217 Mitglieder einer verfassunggebenden Versammlung zu bestimmen. Diese soll einen neuen Übergangspräsidenten ernennen und ein Grundgesetz erarbeiten. Für die 217 Sitze in der Versammlung kandidierten insgesamt 11 618 Bewerber.

Nach den letzten Umfragen im September und bekannt gewordenen Ergebnissen einzelner Wahlbüros hat die islamistische Ennahda-Partei große Chancen, mit bis zu 30 Prozent der Stimmen stärkste Partei zu werden. Nach eigenen Angaben rechnet die Partei sogar mit bis zu 40 Prozent der Stimmen und dem Sieg in 24 von 27 Wahlkreisen. Dies erklärte am Montag Samir Dilou, der Mitglied im Politbüro der Partei ist. Den zweiten Platz machen sich die liberale Fortschrittliche Demokratische Partei (PDP), die unter Ben Ali ein legales Schattendasein fristete, und die bislang verbotene Kongress-Partei für die Republik (CRP) streitig. Dritter im Bunde ist das sozial-demokratische Forum démocratique pour le travail et les libertés (FDTL), früher Ettakatol, das 2002 als Partei in Tunesien legalisiert wurde.

In jedem Fall werden die Parteien Koalitionen bilden müssen: Der Führer der islamistischen Ennahda-Partei Rashid Ghannoushi hat angekündigt, dass er eine Regierung der Nationalen Einheit bilden wolle, an deren Spitze ein Vertreter der stärksten Fraktion stehen solle. Mehrere säkulare Parteien haben bereits Gespräche über eine Koalition geführt, allerdings blieben sie ergebnislos. Denn die Rivalitäten auch zwischen den Parteiführern sind groß. Vor diesem Hintergrund hatte Ghannoushi wenige Tage vor den Wahlen den Ton verschärft und es als einen „Gewaltakt gegen die Demokratie“ bezeichnet, sollten kleinere Parteien durch einen Zusammenschluss versuchen, Ennahda um die Früchte ihres möglichen Wahlsiegs zu bringen. Im Vorfeld der Wahlen hatte es ständig wechselnde Gerüchte gegeben, dass der Führer der PDP oder auch der Ettakatol zu einer Kooperation mit den Islamisten bereit wären.

Die als gemäßigt geltende Ennahda- Partei war bis zum 1. März 2001 verboten, ihr Führer Rashid Ghannoushi saß jahrzehntelang im Exil in London. Er gibt sich moderat und nennt die Partei des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan als Vorbild. Die Partei, die viel Sozialarbeit leistet, hat vor allem ehemalige politische Gefangene als Kandidaten aufgestellt, weil sie glaubwürdig für einen Neuanfang nach dem Ende der Diktatur sind. Im Wahlkreis 2 von Tunis, einem vornehmeren Quartier, hat die Partei allerdings eine unverschleierte Frau an die Spitze ihrer Liste gestellt. Ennahda macht insbesondere den eher säkular eingestellten Frauen der Mittelklasse Angst. Da hilft es auch nicht, dass Ghannoushi sich gegen die Vielehe ausgesprochen hat. Dann ist in den letzten Monaten auch deutlich geworden, dass die Führungsspitze, insbesondere ihre aus westlichem Exil heimgekehrten Mitglieder, oft moderater sind als junge Tunesier an der Basis.

Debatten wird es vor allem um die Rolle des Islam in der neuen Verfassung geben. Bisher ist der Islam im ersten Artikel als offizielle Religion des Landes festgeschrieben, was relativ vage ist. In Ländern wie Ägypten ist der Islam dagegen die Hauptquelle für das Recht.

Nach Angaben von EU-Wahlbeobachtern verlief der historische Wahltag in Tunesien im Großen und Ganzen problemlos. „Es gab vereinzelte Unregelmäßigkeiten, aber das waren alles Dinge, die in keiner Weise dramatisch sind“, sagte Delegationschef Michael Gahler. „Da lernt man daraus und macht es beim nächsten Mal besser.“ Als nicht optimal bezeichnete der deutsche Europaabgeordnete die stundenlangen Wartezeiten vor den Wahlurnen. Die Menschen hätten aber mit viel Geduld reagiert, sagte Gahler. Es sei beeindruckend gewesen, wenn 50-jährige Männer stolz von der ersten Stimmabgabe in der Geschichte ihres Lebens berichtet hätten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false