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Banken öffnen auf Zypern: Wut und Warten

Die jungen Zyprer kannten nur Wachstum und Wohlstand. Jetzt kaufen sie Trockennahrung und verbringen die Tage vor dem Fernseher. Alle warten auf die Öffnung der Banken – und fürchten sich gleichzeitig davor.

Die Sorge der Zyprer ist groß und sichtbar. Sie steht gleich neben der Autobahn, die von Limassol nach Nikosia führt, in die Hauptstadt: ein riesiges Schild, in den Farben der russischen Flagge, Weiß, Blau und Rot. „Brüder, verlasst uns nicht“, steht darauf geschrieben. Der Immobilienhändler Alekos Vilanos hat das Schild aufgestellt. Sein Vater hat das Unternehmen Ende der 60er gegründet, die Internetseite ist auch auf Englisch aufrufbar – oder auf Russisch. Zyperns zweitgrößte Stadt Limassol ist, das sagen manche Bewohner scherzhaft, „Klein-Russland“.

Es ist nicht so, dass nur die Russen viel Geld hierhergebracht hätten. Das lange währende Wohlergehen der Bewohner ist vor allem dem großen Hafen zu verdanken, einer der größten im Mittelmeer. Trotzdem bewegte russisches Geld hier viel. Nun bewegt sich in Limassol seit Tagen gar nichts mehr.

Vor Supermärkten und Geschäften sitzen Angestellte und Chefs bei Zigaretten und Kaffee zusammen in der Sonne. Es kommen ja ohnehin kaum Kunden. Und jene wenigen Supermärkte, die auch Kreditkarten akzeptieren, haben längst nicht mehr genug Ware im Angebot, weil sie die Händler nicht bezahlen können. Durch die Straßen fahren weniger Autos als gewöhnlich, denn Tankstellen akzeptieren keine Kartenzahlungen, sondern nur Bargeld – was seit Tagen hier kaum noch jemand in ausreichenden Mengen zur Verfügung hat. Der Stillstand ist quälend. Schlimmer aber ist, dass niemand recht weiß, was nun noch kommen mag.

Seit mehr als zehn Tagen sind die Banken auf ganz Zypern geschlossen. Am vergangenen Dienstag hätten zumindest die kleineren wieder öffnen sollen – und taten es nicht. Dann hieß es: Am Donnerstag öffnen alle Banken wieder, was der Finanzminister am Mittwochabend noch einmal bekräftigte. „Wir haben uns auf das Schlimmste vorbereitet“, erzählt Athos*. Als absehbar war, dass rein gar nichts mehr abzusehen sein würde, ging er gemeinsam mit seinen Freunden in einen Supermarkt und kaufte in großen Mengen ein. „Trockennahrung“, sagt er und lacht. Nudeln und Reis und Babynahrung. „Die Regale in den Supermärkten waren wie leer gefegt“, sagt Athos. Leer gefegt aus Angst. Als die Banken am 16. März schlossen, hob Athos am Automaten ab, was möglich war. Bei 600 Euro lag sein Limit da noch. Später dann wurde die Summe reduziert – bis zuletzt auf 100 Euro. Mehr spuckt derzeit kein Automat mehr pro Kunde aus. 100 Euro täglich, damit kann man kein Geschäft am Laufen halten.

Etwa zehn Tage ist es deshalb auch her, dass Athos das Bauunternehmen, das er gemeinsam mit seinem Bruder führt, schloss. Es kam eh kein Kunde mehr, weil die Menschen dringlichere Sorgen als ihr Hausbau treiben und die zwei ihre Mitarbeiter bei aller Verantwortung nicht fürs Nichtstun bezahlen können. Nach den Osterfeiertagen, wenn sie ihr Geschäft vielleicht wieder öffnen können, werden sie weniger Mitarbeiter haben als zuvor. Manche mussten sie für immer entlassen. „Jeder muss sich jetzt einschränken“, sagt er. Denn mit der Finanzspritze der EU allein könne das Land nicht gerettet werden. „Zehn Milliarden – das ist doch nichts.“

So viel wollen die Finanzminister der Euro-Zone Zypern aus dem Rettungsschirm zukommen lassen. Das Geld soll Staatsanleihen refinanzieren und Haushaltslöcher stopfen. Die Zyprer selbst sollen rund sieben Milliarden Euro aufbringen. Doch anstatt sämtliche Sparer und Anleger auf der Insel zur Kasse zu bitten, um den maroden Staat zu retten, soll nun Zyperns übergroßer Bankensektor umstrukturiert werden. Sonst wird es kein Geld geben, so lautet die Bedingung.

Das ist die Theorie. In der Praxis jedoch kommen die Menschen auf Zypern derzeit schlicht nicht an ihr Geld, weder an ihr Gehalt noch an die Pension oder über Jahre Erspartes. Das Geld einfach in den Händen halten, es zu Hause verstecken, in Schubladen, Dosen, Kissen. Großmütter und Großväter in Limassol erinnern sich an die Zeiten, als Geld dort am sichersten aufgehoben war. Einer Bank zu vertrauen, mag ihnen schwer gefallen sein. Wie viel schwerer wird es nun?

Auf Deutschland sind die Zyprer derzeit schlecht zu sprechen.

Athos lacht. Den Banken nicht mehr verpflichtet, nicht mehr auf sie angewiesen zu sein, sei ein verlockender Gedanke. Und doch so absolut utopisch. „Ich zahle einen Kredit ab“, sagt Athos. Es geht nicht anders. Er klingt müde. Weil er ohnehin nicht arbeiten kann, hat er die vergangenen Tage, wie so viele, vor dem Fernseher verbracht und versucht zu verstehen, was um ihn herum passiert. Ganz Zypern, sagt Athos im Scherz, bestehe inzwischen aus Wirtschaftsexperten. Sie alle schauen auf die Bildschirme, als präsentierten die Nachrichten ihnen eine Lösung des Problems – oder mindestens eine Erklärung. Eine andere als die von Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble, der Zypern eine Mitschuld an der Krise gab. Auf dem Weg durch Limassol, durch die Straßen mit den vielen kleinen Cafés, dringen Wortfetzen und einzelne Sätze in die die Ohren. Freunde diskutieren nur noch über eins, nur noch über die Krise. Was sollen wir tun? Was tun sie mit uns? „Troika“, hört man hier, „Anlage“ dort. Manche sagen, der eigentliche Grund, warum es den Zyprern gerade schlecht gehe, sei, dass sie die Griechen retteten. Andere vermuten, die Deutschen seien hinter den Gasvorkommen der Insel her. Und wieder andere glauben, dass es ausreichte, wenn jeder Teile seines Ersparten spendete – zur Rettung des Landes. Nur die Frustration ist ihnen allen gemein, das Gefühl des Ausgeliefertseins.

Ein Rentner in den Straßen von Limassol, 65 Jahre alt. Erleichtert hat er erfahren, dass seine Pension erhalten bleibt, theoretisch jedenfalls. Doch wie er jetzt damit umgehen soll, kein Geld mehr in den Taschen zu haben, weiß er nicht. „Ich habe keine Ahnung von Kreditkarten“, sagt der Mann. „Woche für Woche bin ich zur Bank gegangen und habe einfach abgehoben, was ich brauchte, um meine Familie zu ernähren.“ Für die Frau, den arbeitslosen Sohn. Nun lieh er sich Geld von einem Bruder, der rechtzeitig noch etwas Bares ergattern konnte. „Wir schaffen das schon“, sagt der Mann.

In Limassol fand am Sonntag trotz Krise der jährliche Marathon statt, das Motto war: Run with a Smile, Lauf mit einem Lächeln. Auf ihrer Internetseite schreiben die Organisatoren von der Kraft des menschlichen Willens, die helfen kann, Widerstände zu überwinden. Vermutlich ist damit nicht die Krise gemeint, sondern der 42-Kilometern-Kampf gegen den eigenen Körper. Andererseits wird dieser Tage sogar während der Sportnachrichten im Fernsehen die Troika diskutiert. Sport ist nicht mehr nur Sport, Fairness nach Meinung vieler Zyprer in der Euro-Zone sowieso nirgends zu finden – und die Zeit läuft.

„Wir hatten ein Minimum an Solidarität und Rationalität erwartet und haben es nicht bekommen“, sagt auch Andreas Theophanous. Der 53-Jährige ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Nikosia und Präsident des „Cyprus Center for European and International Affairs“. Zu schreiben, dass er verärgert sei, greift zu kurz. Andreas Theophanous klingt zornig. Schwierige Zeiten seien es im Land, und ja, die Sorge der Menschen sei so groß wie ihr Euro-Skeptizismus. Oder sollte es heißen: Europa-Skeptizismus?

Theophanous, der sich schon immer dem europäischen Gedanken und der Integration verschrieben hatte, sieht das Staatenkonstrukt auseinanderfallen. Das Diktat der Großen, Deutschland vorneweg, sei „ökonomische Kriegsführung“, Zypern durch die „Maßnahmen“ der Troika um Jahrzehnte zurückgeworfen, die Situation derzeit mit der eines Dritte-Welt-Landes zu vergleichen. Entwicklung und Besserung seien zwar möglich, aber eben langsam und nicht mit Hauruck. Ganz eindrücklich schiebt er mit tiefer Stimme noch hinterher: Der Ruf Deutschlands leidet, nicht nur auf Zypern, überall.

Journalisten aus aller Welt warten auf die Öffnung.

Längst sind bei Demonstrationen in den Straßen der zyprischen Städte wieder Karikaturen und Plakate aufgetaucht, die an die Situation in Griechenland vor knapp zwei Jahren erinnern: die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Hitlerbärtchen, „Hitler, Merkel the same shit“-Schilder. Die Wut muss raus. So wie die Tränen der Mitarbeiter der Laiki-Bank, die nach den jüngsten Beschlüssen aufgelöst werden soll. Was an Geld noch zu retten ist, soll die Bank of Cyprus bekommen. Die Vorstände der beiden Geldhäuser wurden entlassen – um deren Sanierung zu erleichtern. Die Troika wünschte es, die Regierung entschied entsprechend.

Noch vor Tagen hatte EU-Währungskommissar Olli Rehn gesagt, er rechne mit einem „ökonomischen Schock“ für Zypern. Inzwischen ist klar: Es ist nicht nur ein ökonomischer, es ist auch ein sozialer Schock. Und er dauert an. „Wir brauchten jemanden oder etwas, das uns wachrüttelt“, sagt der Bauunternehmer Athos. Aber vielleicht nicht so. Ohne Zeit für wirkliche Reformen. Mit zehn Milliarden, die, glaubt er, ziemlich schnell versacken werden.

Auch Pambos*, ein Freund seines Bruders, ist skeptisch. Zehn Milliarden oder Bankrott – „von zwei schlechten Möglichkeiten mussten wir die weniger schlechte wählen“, sagt er. Der 30-Jährige arbeitet als Privatdozent für Informatik an einer Universität in Limassol, wo wegen des strengen Lehrplans alles seinen einigermaßen gewohnten Gang geht. In den kommenden Wochen werden Klausuren geschrieben und deshalb kommen die Studenten weiter in die Vorlesung.

„Sie sind konzentriert“, sagt Pambos. Trotzdem ist die schwierige Lage ein Gesprächsthema. „Sie fragen: Was müssen wir machen? Sparen? Wir haben sowieso kein Geld.“ „Als ich 20 Jahre alt war, wollte ich die ganze Welt ändern“, sagt er. „Nun bin ich 30 und werde vielleicht für die kommenden 15 Jahre Schwierigkeiten haben.“ Er lacht und es klingt bitter. „Dann bin ich 45.“ Ihm bleibt, zu gehen. Anfangs habe er überlegt, ob er Zypern verlassen und nach Dubai ziehen sollte. Aber zu mehr als diesen Überlegungen sei es nicht gekommen, sagt er. Andererseits: Der neu gewählte Präsident Zyperns, die gesamte neue Regierung habe nur sehr wenige Tage Zeit gehabt, über die Zukunft des ganzen Landes zu entscheiden, sagt Pambos. Niemand könne einschätzen, wie sich die Entscheidungen auswirken. Vielleicht lohnt es sich, zu warten?

Weil befürchtet wird, dass die Zyprer in Panik die Banken stürmen, wenn die wieder öffnen, haben die Behörden im Land inzwischen mit ersten Vorbereitungen begonnen: Jeder Kunde zunächst nur 100 Euro abheben können. Vermutlich, glaubt Athos, werden sie auch nirgendwo mehr als fünf Menschen gleichzeitig in eine Filiale lassen. Aus Sicherheitsgründen.

Währenddessen schreiben Moskauer Zeitungen von Flugzeugen voller Russen, die nach Zypern reisen, um möglichst viel Geld abzuholen. Und Reporter aus aller Welt warten auf die Minute, in der die Türen der Banken öffnen. Sie wollen sehen, wie die Menschen reagieren. Als wäre Zypern ein Zoo und seine Bewohner eine lange nicht gefütterte Herde Wölfe. „Ich weiß nicht viel“, sagt eine Dame in Limassol, sie ist 72 Jahre alt. „Die ganze Zeit schaue ich die Nachrichten im Fernsehen, in der Hoffnung, etwas Positives zu erfahren.“ Vergeblich. Sie sagt, wenn die Banken nicht bald öffnen, wird sie kein Geld mehr für ihre Medikamente haben. Und sie folgt dem Rat ihres Sohnes. Der sagte: „Mutter, bete, dass die Russen auf Zypern bleiben.“ Also betet sie.

* Die Personen wollten nicht mit ihrem Nachnamen genannt werden.

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