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Auf die Finger schauen. Europaparlamentarier regen die Gründung einer Art „Greenpeace“ für den Finanzmarkt an.

© picture alliance / dpa

Bankenlobby: Die Ohnmächtigen im Europaparlament

Es ist ein ungewöhnlicher Hilferuf, der dieser Tage von 22 Abgeordneten des Wirtschafts- und Währungsausschusses im Europaparlament gekommen ist. Aufruf zur Gegenlobby: Europaparlamentarier bitten die Zivilgesellschaft um Hilfe gegen die Finanzbranche.

Berlin - Es ist ein ungewöhnlicher Hilferuf, der dieser Tage von 22 Abgeordneten des Wirtschafts- und Währungsausschusses im Europarlament gekommen ist. Angesichts der großen Finanzlobby in Brüssel wissen Europapolitiker aus neun Mitgliedsstaaten nicht anders weiter, als die Zivilgesellschaft zur Aktion zu rufen. Die Demokratie sei in Gefahr. In einem parteiübergreifenden Aufruf warnen die Initiatoren vor dem bestehenden Ungleichgewicht von Interessengruppen aus dem Finanzsektor und fordern die Bürger auf, eine Nichtregierungsorganisation zu gründen, die ein Gegengewicht zur Bankenlobby darstellen könnte.

Einer der Initiatoren ist der Abgeordnete Sven Giegold (Grüne). Für ihn ist der Aufruf keineswegs ein Versagen der Politik; den Vorwurf, dass die Politiker anscheinend trotz der ihnen übertragenen politischen Macht nicht in der Lage sind, selbstständige Entscheidungen zutreffen, weist er zurück: „Demokratie besteht nicht nur aus gewählten Repräsentanten, die Gesetze entwerfen. In allen Räumen finden politische Entscheidungen statt.“ Dazu gehörten ebenso Vertreter diverser Interessengruppen. „Die Firmen geben nicht ohne Grund Millionen in Brüssel aus.“ Es sei ein Teil der Demokratie, dass jeder seine Anliegen vorbringen kann, allerdings sei die Glaubwürdigkeit unabhängiger Experten größer. Wie Greenpeace es bei Umweltfragen mache, so könnte sich Giegold, der lange bei Attac gearbeitet hat, eine unabhängige Gegenstimme zu den Bankenlobbyisten vorstellen. Zwar hindere dieser Mangel die Abgeordneten nicht, ihre eigenen Standpunkte zu formulieren. Aber die ständige, einseitige Präsenz von Lobbyisten der Banken trage „zu einer stärkeren und einseitigen Berücksichtigung der Belange des Finanzsektors bei und schränkt mit Sicherheit die Fähigkeit der politischen Verantwortlichen ein, unabhängige Entscheidungen zu treffen“, kritisiert Giegold.

Tatsächlich sind die Brüsseler Expertengruppen zur Regulierung der Finanzmärkte unausgewogen: Im November vergangenen Jahres veröffentlichte das europäische Netzwerk Alter-EU eine Studie, die zeigte, dass acht von 19 EU-Expertengruppen von Lobbyisten der Finanzbranche dominiert werden. Damit stehen den 150 Beamten der europäischen Kommission 229 Experten aus dem privaten Bankensektor gegenüber.

Der Aufruf stieß auf große Resonanz. Bisher schlossen sich mehr als 100 Parlamentarier an, viele Privatpersonen und Organisationen meldeten sich bei den Initiatoren, um bei einer neuen Gruppierung mitzuhelfen. Für Ende September haben die Initiatoren aus den Antworten auf ihren Aufruf 100 Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften, aus der Wirtschaft und von Fachschaften eingeladen. Dann soll über die Gründung einer unabhängigen Organisation verhandelt werden.

Doch dass die Zivilgesellschaft der Bankenlobby eine ebenbürtige Stimme entgegensetzen kann, bezweifelt Nina Katzemich vom gemeinnützigen Verein Lobby Control. „Einerseits haben wir nicht die gleichen Ressourcen wie die Finanzlobby, andererseits ist die Thematik so kompliziert, dass die Bürger diese Gegenexpertise nur zu einem bestimmten Grad aufbauen könnten“, gibt sie zu bedenken. Es handele sich dabei aber um eine Aufgabe, die die Politik selber lösen sollte. „Solange in den Expertengruppen eine absolute Dominanz der Finanzlobby herrscht, ist es kein Wunder, dass immer nur die gleichen Ergebnisse herauskommen.“

Dabei sei das Fachwissen der Experten von Vorteil, sagt der Politikwissenschaftler Peter Lösche: „Schließlich sind die Politiker bei ihrer Entscheidungsfindung auf die Erfahrung von Experten angewiesen.“ Bei Tarifverhandlungen etwa entlasten Verbände den Staat durch vorherige Absprachen. Für den Bürger stellten Interessensverbände die Möglichkeit dar, am politischen Leben teilzunehmen. Doch auch Lösche sagt: „Die Vorstellung, dass alle Interessen sich organisieren und gleichwertig konkurrieren, ist illusorisch.“ Lösche rät zu besser durchschaubaren Abläufen in den Behörden, auch um den Lobbyismus zu entmystifizieren. „Durch Transparenz und Offenlegung besteht die Chance, das Gerücht, die Verbände seien allmächtig, die Lobbyisten die Strippenzieher im Dunkeln, die Politiker korrupt und die Parteien bestechlich, wenigstens infrage zu stellen.“

Auch Lobby Control fordert mehr Transparenz, aber auch Schranken: „Die privilegierten Zugänge für Lobbyisten wie sie die EU durch das Expertentum schafft, müssen wieder abgeschafft werden.“ Katzemich befürwortet zwar Beratergruppen, „doch in diesen sollten weit weniger als die Hälfte von privatwirtschaftlichen Interessensgruppen sein“.

In Deutschland sieht Katzemich weniger das Problem der parteiischen Experten, auch weil der Bundestag einen unabhängigen wissenschaftlichen Dienst beschäftigt. Besorgniserregender sei die enge Verflechtung zwischen Banken, Politikern und Aufsichtsbehörden der Banken. Der Wechsel vom Finanzministerium in eine Bank oder andersherum sei der unabhängigen Arbeit hinderlich. Auch Lösche sagt: „Der Drehtüreffekt, dass etwa ein Minister ausscheidet und seine Kompetenzen und Beziehungen nutzt, um als Lobbyist weiterzuarbeiten, sollte verhindert werden. Hier könnte eine Karenzzeit von zwei bis drei Jahren eingeführt werden, in der der ehemalige Minister nicht als Lobbyist arbeiten darf.“

Übrigens hat sich am vergangenen Mittwoch ein neues Gremium zur Regulierung der Finanzmärkte zum ersten Mal getroffen. Die „Expertengruppe zu Bankfragen“ der Europäischen Union besteht aus 40 Mitgliedern – 37 davon aus der Finanzlobby.

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