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Barack Obama: USA: Entscheidung über Gesundheitsreform

Der US-Kongress stimmt spätestens am Sonntag über Barack Obamas Gesundheitsreform ab. Das Votum gilt als Wendepunkt der Präsidentschaft Obamas.

Unter Propagandagetöse von Republikanern und Demokraten für und gegen die Gesundheitsreform leitet der US-Kongress die letzten Schritte zur entscheidenden Abstimmung über das wichtigste Projekt in Barack Obamas Präsidentschaft ein. Das Votum wird frühestens am Freitag und spätestens am Sonntag erwartet. Es gilt als Wendemarke. Wenn es ihm nach mehreren Rückschlägen gelingt, die nötige Parlamentsmehrheit zu mobilisieren, wäre das ein eindrucksvolles Comeback, das seine Führungskraft belegt. Verliert er die Abstimmung, wird er als Präsident wahrgenommen, der viel verspricht, aber seine Ziele nicht umsetzen kann. Am Mittwoch war ungewiss, ob die Führung der Demokraten die erforderliche Zahl von Abgeordneten hinter sich hat. Obama trifft sich in dieser Woche mit zögernden Kongressmitgliedern und reist in die Wahlkreise unsicherer Abgeordneter. Am Montag war er in Ohio, am Freitag tritt er in Fairfax, Virginia, auf.

Ebenso laut ist die öffentliche Gegenwehr der Republikaner. Sie stellen die Reform als überzogenen Eingriff der Regierung in das Privatleben dar; die Bürger sollten selbst entscheiden, ob sie eine Krankenversicherung haben und wogegen sie sich absichern wollen. Sie monieren auch die Kosten, rund 900 Milliarden Dollar über die nächsten zehn Jahre.

In den 14 Monaten seit Obamas Amtsantritt haben sich die öffentliche Meinung über die Reform und die Mehrheitsverhältnisse im Kongress verändert. Auf dem Papier verfügen die Demokraten über eine klare Mehrheit im Kongress: 257 von 435 Sitzen im Abgeordnetenhaus und 59 von 100 im Senat. Da das Projekt aber in der Mitte der Gesellschaft und auf der Rechten unpopulär ist und in acht Monaten Kongresswahlen anstehen, zögern Demokraten aus konservativen Wahlkreisen, mit Ja zu stimmen, um ihre Wiederwahl nicht zu gefährden. Daneben wollen mehrere Abgeordnete vom linken Parteiflügel die Reform ablehnen, weil sie ihnen nicht weit genug geht. Im Lauf der Debatte wurde zum Beispiel die Einführung einer staatlich getragenen Versicherung als Konkurrenz zu den privaten Versicherern wieder aufgegeben.

Nach einer jüngsten Umfrage des „Wall Street Journal“ halten 48 Prozent der Amerikaner das jetzt vorliegende Reformpaket für „eine schlechte Idee“ und 36 Prozent für „eine gute Idee“. Allerdings ist die Unterstützung in den Gesellschaftsgruppen besonders groß, die die Demokraten für ein achtbares Wahlergebnis im November brauchen: progressive Bürger, Schwarze und Latinos.

Wegen der erfolgreichen Verhinderungsstrategie der Republikaner im Kongress steht Obama nun vor unerwarteten Verfahrensfragen bei der Gesetzgebung, die das ganze Projekt gefährden. Ursprünglich wollte er die Reform bereits 2009 verabschieden lassen. Doch die Konservativen verzögerten die Beratungen in den Ausschüssen und mobilisierten parallel ihre Anhänger zu öffentlichen Protesten. Bei Bürgerversammlungen wurde Obama teils mit Hitler-Schnurrbart als Diktator verunglimpft, teils als Sozialist beschimpft. Der Druck zeigte Wirkung, die parlamentarische Debatte zog sich in die Länge und viele umstrittene Klauseln wurden wieder gestrichen. Das Abgeordnetenhaus verabschiedete am 7. November seine Version der Reform, der Senat am 24. Dezember. Aus den unterschiedlichen Fassungen hätte im Vermittlungsverfahren ein gemeinsamer Entwurf entstehen müssen, den dann beide Kammern nochmals verabschieden. Doch bei der Senatsnachwahl in Massachusetts verloren die Demokraten die Gestaltungsmehrheit im Senat.

Da kein einziger Republikaner bereit ist, für die Reform zu stimmen, entschieden sich die Demokraten für einen neuen Weg. Das Abgeordnetenhaus, wo sie am ehesten noch eine Mehrheit sehen, soll die vom Senat bereits verabschiedete Fassung übernehmen.

Das ist riskant, weil die Abgeordneten im Herbst nur mit knapper Mehrheit, 220 zu 215, dafür gestimmt hatten – und das auch erst, nachdem Zusatzklauseln zur Einschränkung der Abtreibung eingefügt wurden, um rechten Demokraten das Ja zu erleichtern. Diese Zusatzklauseln sind in der Senatsfassung, die das Abgeordnetenhaus jetzt annehmen soll, nicht enthalten. Anschließend sollen dann einzelne Passagen, die den Abgeordneten missfallen, im sogenannten Reconciliation-Verfahren geändert werden. Im Senat werden bei diesem Verfahren nur 51 statt 60 Stimmen für die Zustimmung verlangt. Die Republikaner behaupten, es sei verfassungswidrig, diese Verfahrenstricks bei einer so grundlegenden Reform anzuwenden.

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