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Jessel

© dpa

Beate Jessel: "Es gibt viele wirtschaftliche Gründe, die Natur zu schützen"

Die neue Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz, Beate Jessel, über die Kosten des Raubbaus, Deutschlands zwei Prozent Wildnis und Wölfe, Bären und Luchse.

Warum sollten wir die Natur schützen?

Als Wissenschaftlerin sage ich, es gibt rationale Gründe, unsere Natur zu schützen. Denn es geht um unsere eigenen Lebensgrundlagen: um Tiere und Pflanzen aber auch um Boden, Wasser, Luft und die Intaktheit von Landschaft. Als Mensch sage ich, es gibt auch viele emotionale und psychologische Gründe, sich für die Natur einzusetzen: etwa die Schönheit von Wildnis wie von Kulturlandschaften, das Bedürfnis nach seelischen Rückzugsräumen und ethische Verpflichtungen gegenüber Tieren und Pflanzen als unseren Mitgeschöpfen.

Ihr Chef, der Umweltminister, hat vorgeschlagen, einen Bericht über den wirtschaftlichen Verlust durch das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten und das Verschwinden von Lebensräumen anfertigen zu lassen, also Natur in Wert zu setzen. Was halten Sie davon?

Das kann eine wichtige Argumentationsbasis für uns sein. Wenn dieser Bericht ähnlich wie der Stern-Report für das Klima zeigt, was es uns kostet, den Verlust von Arten nicht aufzuhalten. Es gibt viele ökonomische Gründe für den Naturschutz. Ökosysteme bringen eine Vielzahl von Dienstleistungen für uns, beispielsweise die Selbstreinigungskraft von Flüssen und Auen oder die Einsatzmöglichkeiten von Pflanzen in der Medizin. Wir haben einmal mit einer amerikanischen Methode überschlägig schätzen lassen, was unsere Ökosysteme uns jährlich an Leistungen bringen. Es würde circa 712 Milliarden Euro kosten, diese Ökosysteme nach einer Zerstörung wieder in ihren alten Zustand zu bringen. Es ist aber wichtig, dass wir im Naturschutz nicht nur in wirtschaftlichen Kategorien denken.

Es gibt ja einen engen Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und dem Verlust von Arten. Warum werden diese Themen kaum miteinander verknüpft?

Der Klimawandel wird erhebliche Auswirkungen auf die Biodiversität haben. Deshalb sollten wir diese Themen enger verknüpfen. In einem halben Jahr haben wir in Bonn die Vertragsstaatenkonferenz der Übereinkunft zum Erhalt der biologischen Vielfalt. Biodiversität ist allerdings nicht nur Artenschutz. Dabei geht es auch um Landschaften, auf die sich der Klimawandel ebenfalls auswirken wird. Brandenburg beispielsweise wird besonders von Wasserknappheit betroffen sein. In der Havel haben sich die Abflussmengen in den vergangenen 30 Jahren bereits um 30 Prozent reduziert. Zumindest zum Teil ist das bereits eine Folge des Klimawandels. Und diese Veränderungen im Wasserhaushalt haben dann wieder Auswirkungen auf die Lebewesen in diesen Ökosystemen. Wir müssen in größeren Zusammenhängen denken.

Naturschutz ist in der Innenpolitik oft ein Kampfthema, das mit hoher Aggression verbunden ist. Woran liegt das?

Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Naturschutz immer nur ein Kampfthema ist. Naturschützer, das sind in Deutschland etwa 4,6 Millionen Menschen, die sich in Verbänden organisiert haben. Das sind auch Wähler und als solche eine bedeutsame Gruppe, die man nicht unterschätzen sollte. Naturschutz ist auch das Genießen von Schönheit in der Landschaft, schöne Landschaften, die Grundlage für den Tourismus. Aber es gibt natürlich auch Konflikte. Die brechen dann auf, wenn Straßen gebaut werden sollen, oder die Waldschlösschenbrücke in Dresden, die dort ja auch umstritten ist. Wenn einzelne geschützte Arten beeinträchtigt werden könnten, muss das in der Planung angemessen berücksichtigt werden. Die Kleine Hufeisennase, eine Fledermaus, oder der berühmt-berüchtigte Feldhamster sind beides Arten, die durch die europäische Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) geschützt sind. Besteht der Verdacht, dass sie durch ein Bauvorhaben erheblich betroffen sind, müssen rechtzeitig im Vorfeld entsprechende Untersuchungen gemacht werden und es muss darüber nachgedacht werden, wie die Belange des Naturschutzes in der weiteren Planung berücksichtigt werden können. Das ist in den meisten Konfliktfällen nur unzureichend geschehen.

Sehen Sie bei zwei Prozent Wildnis reale Chancen, dass Braunbären, Wölfe, Luchse in Deutschland Lebensraum finden?

Platz gäbe es für diese Tiere schon in einigen Regionen Deutschlands, etwa in einigen Gebieten der Alpen, den großen zusammenhängenden Mittelgebirgswäldern oder den großen Truppenübungsplätzen, die sich die Wölfe in der Lausitz wieder erobert haben. Früher haben sie ja auch mit den Menschen koexistiert. Die zentrale Frage aber ist: Ist auch in unseren Köpfen genug Platz? Ich denke, die Einstellung zu diesen Tieren ist sehr ambivalent. Es gibt Ängste, aber auch viele Sympathien, das hat man ja bei der Einwanderung von Bruno, dem Bären, deutlich sehen können. Nutztierhalter haben schon Bedenken, dass Wölfe ihre Schafe reißen könnten. Aber in der Lausitz werden jetzt wieder Herdenschutzhunde erfolgreich eingesetzt oder Elektrozäune. Und das funktioniert auch. Wenn man einige einfache Verhaltensregeln beachtet, werden diese drei Raubtiere den Menschen auch nicht gefährlich.

Das Gespräch führte Dagmar Dehmer.

Beate Jessel (45) führt das Bundesamt für Naturschutz seit November. Sie ist Professorin für Landschaftsplanung und arbeitete zuvor an der Uni Potsdam und an der TU München.

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