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Gesichertes Einkommen - und dann? Bürgerinitiativen wollen mit Aktionen wie diesem Riesenplakat die Fantasie anregen.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Bedingungsloses Grundeinkommen: Ein Auskommen für alle?

Das bedingungslose Grundeinkommen gewinnt immer mehr Anhänger - und polarisiert quer durch Politik und Gesellschaft. In der Schweiz stimmt das Volk darüber ab.

Die Idee rüttelt am Kern des sozialen Zusammenlebens, am Prinzip von Lohnarbeit und Leistungsgesellschaft. Wird sie Realität, bräuchte sich niemand mehr um seine Existenz sorgen. Man könnte arbeiten, müsste es aber nicht. Das ist die Vision vom bedingungslosen Grundeinkommen. Was der Mensch zum Leben braucht, wäre minimal gesichert.

Immer mehr Sozialwissenschaftler und Politiker sind dafür. Der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis zum Beispiel und Robert Reich, US-Arbeitsminister unter dem ehemaligen Präsidenten Bill Clinton. Länder wie Finnland und die Niederlande wollen die Idee künftig in begrenzten Experimenten testen.

In der Schweiz stimmen die Menschen an diesem Sonntag über eine praktische Einführung ab. Nach dem Willen der Initiative um Daniel Häni soll in die Schweizer Verfassung ein neuer Artikel 110a eingefügt werden: „Der Bund sorgt für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.“ Parlament, Wirtschaft und Gewerkschaften sind dagegen.

Die Schweizer stimmen über 2250 Euro ab - andere schlagen 750 oder 1000 Euro vor

Das Konzept der Schweizer Initiative sieht so aus: Alle Staatsbürger bekommen jeden Monat 2500 Franken (2250 Euro), ein Kind 625 Franken (562 Euro). Hat ein Angestellter bisher 6000 Franken brutto im Monat verdient, wird er diesen Betrag auch künftig zur Verfügung haben. Nur kommen die ersten 2500 Franken vom Staat. Die restlichen 3500 Franken zahlt weiter der Arbeitgeber.

Die zu zahlende Lohnsumme würde für die Firmen zwar schrumpfen. Um das Grundeinkommen zu finanzieren, müsste es aber gleichzeitig höhere Steuern geben. Andere staatliche Zahlungen wie Arbeitslosengeld würden überflüssig. Nur individuell höhere Ansprüche blieben bestehen.

Die Summe von 2500 Franken würde knapp oberhalb der Armutsgrenze liegen – wäre aber ein garantiertes Einkommen. Die Menschen seien nicht mehr von ihrem Job abhängig. Sie könnten Familie und Karriere besser miteinander vereinbaren, ehrenamtlich und gemeinnützig arbeiten oder andere Menschen betreuen und pflegen.

Neu ist die Idee nicht - aber sie wird drängender

Schon im 16. Jahrhundert deutete die Idee eines Grundeinkommens der britische Autor Thomas Morus in seinem Roman „Utopia“ an, Ende des 18. Jahrhunderts formulierte der Engländer Thomas Spence ein Einkommen für alle. Psychologen haben es seitdem diskutiert, Wirtschaftswissenschaftler und Soziologen. Was die Idee heute so populär macht: Die Einkommensunterschiede sind in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch gestiegen, die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer mehr. Und Wissenschaftler vermuten, dass die Digitalisierung Millionen von Jobs vernichtet: Algorithmen und Maschinen werden menschliche Arbeit ersetzen. In Deutschland, glaubt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sind zwölf Prozent aller Stellen durch Roboter gefährdet.

Was fällt in die Verantwortung des Einzelnen? Was muss die Gemeinschaft leisten? Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde den Sozialstaat, wie es ihn heute gibt, revolutionieren. Bislang gilt in Deutschland, dass erst einmal jeder für sich und sein Leben verantwortlich ist. In Notlagen springt der Staat ein. Das bedingungslose Grundeinkommen wäre eine Art neuer Gesellschaftsvertrag – über alle Generationen und Schichten hinweg. Sozialleistungen, die aus Steuern und Abgaben finanziert sind, entfielen. Dafür erwartet der Staat nichts – könnte aber viel Bürokratie abbauen. Das Geld würde unabhängig davon gezahlt, ob jemand auf der Straße bettelt oder sehr viel verdient.

Gesichertes Einkommen - und was macht man mit Zeit und Energie? Nicht mehr arbeiten? Anders arbeiten? Weiter arbeiten?
Gesichertes Einkommen - und was macht man mit Zeit und Energie? Nicht mehr arbeiten? Anders arbeiten? Weiter arbeiten?

© Magali Girardin/Keystone/dpa

Gegner und Befürworter finden sich in allen Parteien und Gruppen

Im Politikbetrieb, wo die Meinungen oft entlang der Parteigrenzen verlaufen, führt die Diskussion um das Grundeinkommen zu einem kuriosen Bild: Auf der Seite der Gegner stehen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Gregor Gysi (Linke). Fürsprecher sind Katja Kipping (Linke), Dieter Althaus (CDU) – und Wolfgang Strengmann-Kuhn (Grüne): „Wachsende Armut trotz boomender Wirtschaft, Existenzängste, Veränderung der Arbeitswelt, Ausgrenzung durch Hartz-IV, immer mehr prekäre Selbstständigkeit – es gibt viele Gründe für ein Grundeinkommen“, sagt er. Weil noch viele skeptisch sind, sei die jetzt anlaufende breite gesellschaftliche Debatte wichtig. „Ich finde es aber auch einen interessanten Vorschlag, ein Pilotprojekt zum Grundeinkommen durchzuführen, so wie es die Finnen derzeit planen.“

Sozialpolitiker und Wissenschaftler plädieren für Feldversuche

Der sozialpolitische Sprecher der Grünen bezieht sich auf den Arbeitsmarktexperten beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Jürgen Schupp: Es würden weltweit noch keine belastbaren oder verallgemeinerungsfähigen Studien über die Vor- und Nachteile des bedingungslosen Grundeinkommens vorliegen, zur praktischen Umsetzung und Finanzierung gebe es noch kein Modell, das die Kritiker überzeugt. Deswegen fordert Schupp einen Feldversuch in Deutschland. In einer räumlich begrenzten Region, einer Gemeinde oder Stadt könnte in Höhe des Steuergrundfreibetrags ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgezahlt werden. Für Erwachsene liegt dieser bei etwa 750 Euro im Monat. Der Versuch würde zeigen, ob es sich „nur um ein Luftschloss naiver Sozialromantiker handelt oder ob es sich lohnt, eine sozialpolitische Innovation einzuleiten“.

Auch in Deutschland setzen sich Initiativen für eine Volksabstimmung zum Thema ein. Die Unterstützer der Idee glauben, ein Grundeinkommen sorge für humanere Arbeitsbedingungen. Niemand müsse mehr zu niedrige Löhne akzeptieren oder abends gestresst und unzufrieden nach Hause gehen. Es nehme den Menschen gravierende Ängste und gebe ihnen die Freiheit, das zu tun, was sie wirklich wollen. Was für sie einen Sinn ergibt und Spaß macht. Zudem unterstütze es das Bedürfnis nach flexibleren Arbeitsstrukturen und einer besseren Work-Life-Balance. Diese sozialen und gesundheitlichen Aspekte passen zu Werten, die für viele junge Erwachsene heute wichtig sind. Der Sozialwissenschaftler Michael Opielka nennt das bedingungslose Grundeinkommen ein „Sicherheitsversprechen“. Und es sei das „beste Mittel im Kampf gegen Armut“. Vor allem Menschen am unteren Rand der Gesellschaft würde es helfen.

Kritiker bezeichnen die Idee vom Grundeinkommen als weltfremd und wohlstandsgefährdend. Es sei ein Freifahrtschein für Faule. Steuern müssten astronomisch steigen. Der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge meint, hinter dem Prinzip stünde ein merkwürdiges Verständnis von Gerechtigkeit: „Bislang gilt in allen Sozialstaaten das Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit, wonach viel bekommen soll, wer wenig hat, und wenig, wer viel hat“, sagt er. „Ein Multimillionär braucht kein Grundeinkommen, und wenn man es ihm vorenthält oder wegbesteuert, ist es nicht bedingungslos.“

Das größte Gegenargument aber ist die Finanzierung. Bei einem Betrag von 1000 Euro für alle Bürger würde es den Staat laut Butterwegge rund eine Billion Euro jährlich kosten. Das sei mehr als drei Mal so viel, wie der Bundeshaushalt umfasst. Den Vorschlag, die Verbrauchssteuern zu erhöhen, hält Butterwegge nicht für sinnvoll: „Damit würde man hauptsächlich die Armen treffen, weil sie ihr ganzes Einkommen in den Alltagskonsum stecken.“ Der Bundesrat in der Schweiz geht derweil von einem Finanzierungsloch von 25 Milliarden Euro aus. Das benötigte Geld könnte der Staat nur mit „exorbitanten Steuersätzen von 70 bis 100 Prozent“ hereinholen, sagt der dort lebende Ökonom Reiner Eichenberger.

Arbeiten Menschen nicht sowieso gerne - oder sind sie grundsätzlich faul?

Die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen polarisiert. Die Argumentationen basieren allein schon auf zwei verschiedenen Menschenbildern. Die einen meinen: Ohne dass er muss, tut der Mensch gar nichts – man müsse also vorsichtig sein! Die anderen sagen: Der Mensch arbeitet nicht nur des Geldes wegen, sondern um Erfüllung und Anerkennung zu bekommen. Vertraut ihm! Würde die Wirtschaft kollabieren, wenn Menschen nur täten, was sie wollten? Oder würde sie von motivierten Mitarbeitern profitieren? Wäre die Gesellschaft gerechter, entspannter oder nicht? So viele offene Fragen. Und dann ist da immer wieder die Existenzangst: Sie lähmt, wird als ein Grund genannt, warum Menschen rechts wählen oder gegen Flüchtlinge demonstrieren. Was wäre eine Welt ohne diese Angst? An diesem Sonntag rechnet niemand mit einer Mehrheit für das Grundeinkommen, nicht einmal die Organisatoren. Laut Umfragen sind 71 Prozent der Schweizer dagegen. In Deutschland wären 60 Prozent dafür.

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