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Vor zehn Jahren, zum 60. Gedenktag der Befreiung von Auschwitz, war Russlands Präsident Putin noch Gast.

© Fabrizio Bensch/Reuters

Befreiung von Auschwitz: Heikles Gedenken

Vor dem 70. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz bricht ein Streit um die Rolle Russlands aus. Nach Protesten jüdischer Gemeinden in Tschechien wegen des Ukrainekriegs bleibt der russische Präsident Putin zu Hause.

Es wird wohl der letzte runde Jahrestag sein, bei dem Überlebende der Konzentrationslager in größerer Zahl dabei sein können. Der 70. Auschwitz-Gedenktag am 27. Januar wird jedoch aus anderem Grund in die Geschichte eingehen: als Wendepunkt bei der Betrachtung der Rolle der Sowjetunion – und weil Russlands Präsident Wladimir Putin an keinem der Gedenkorte als Nachfolger der Befreier auftritt. „Putin ist in auswegloser Lage. Er muss für andere Taten büßen“, sagt Wolfgang Benz, Experte für Antisemitismusforschung, dem Tagesspiegel. Der deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn kommentiert: „Der Umgang mit der Geschichte ist die Politik der Gegenwart.“

Der Konflikt darum, welche Repräsentanten an welchem Ort der Befreiung des tödlichsten aller Vernichtungslager, Auschwitz-Birkenau, am 27. Januar 1945 gedenken, hat sich seit Monaten zugespitzt. Am Ende stand eine Verstimmung zwischen den Regierungen in Warschau und Prag, ein offener Protest der jüdischen Gemeinden in Tschechien gegen eine Einbeziehung Putins in das diesjährige Erinnern an die KZ und ihre Befreiung – und nun Putins Absage.

Vor zehn Jahren war das Gedenken vergleichsweise einfach

Die Entwicklung markiert eine Abkehr vom einvernehmlichen Gedenken vor zehn Jahren. 2005 hatte Polens damaliger Präsident Aleksander Kwasniewski mehr als ein Dutzend Staatsoberhäupter sowie Delegationen aus mehr als dreißig Staaten zu einem Erinnerungs-Forum in Krakau begrüßt, der Auschwitz nächstgelegenen Großstadt. Darunter waren die Präsidenten Wladimir Putin, Mosche Katsav, Horst Köhler und US-Vizepräsident Dick Cheney. Putin erinnerte daran, dass die Rote Armee „die Verbrennungsöfen von Auschwitz, Majdanek und Treblinka für immer gelöscht“ habe.

Einiges hat sich zwischen dem 60. und dem 70. Jahrestag geändert. Die polnische Regierung übertrug die Ausrichtung der Gedenkfeier an das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau. Dessen Leiter Piotr Cywinski will nicht politische Prominenz ins Zentrum des Gedenktags stellen, sondern die Überlebenden. Nach menschlichem Ermessen ist es die letzte Gelegenheit, dass sie in größerer Zahl anreisen. Die Einladungen gingen nicht an Staatsoberhäupter, sondern an die Botschaften mit der Bitte, ehemalige Häftlinge in die nationalen Delegationen aufzunehmen. Rund 300 haben zugesagt.

Der Ukraine-Konflikt wirft seinen Schatten

Und: Es herrscht wieder Krieg in Ostmitteleuropa. Das hat die Gedenkpolitik kompliziert. Überraschend wurden Pläne zu einem alternativen Erinnerungsort bekannt. Der European Jewish Congress, dessen Vorsitzender, der russische Milliardär Wjatscheslaw Mosche Kantor, ein guter Bekannter Putins sein soll, verständigte sich mit der tschechischen Regierung und dem Europaparlament auf ein ähnliches Forum wie 2005 in Krakau, nur diesmal in Prag – mit abschließendem Gedenken im früheren KZ Theresienstadt. Das war freilich kein Vernichtungslager. Kritiker vermuten, dass Putin sich damit eine Bühne an einem Ort verschaffen wollte, an dem er mit weniger Anfeindungen wegen des Kriegs in der Ukraine zu rechnen habe als in Polen. Tschechiens Präsident Milos Zeman, den manche in Europa als „Putin-Versteher“ einordnen, verschickte Einladungen an einige Staatsoberhäupter, bekam aber kaum Zusagen. Polen war verärgert über die fehlende Absprache. US-Präsident Barack Obama sagte ab. Israels Präsident Reuven Rivlin besucht am 27. Januar lieber die UN in New York. Bundespräsident Joachim Gauck gedenkt in Auschwitz mit seinem polnischen Kollegen Bronislaw Komorowski.

Weder Krakau noch Prag

Nach wochenlangem Zögern hat Putin nun abgesagt. Sein Sprecher erklärt, er plane keine Auslandsreisen im Januar. Das heißt: Nein zu Auschwitz und nein zu Prag. Was soll er auch in Prag, wenn die Weltprominenz dort fehlt und die jüdischen Gemeinden in Tschechien ihn für unerwünscht erklären, weil er das Nachbarland Ukraine angegriffen habe?

Polen und andere Staaten führen zudem Debatten über die historische Rolle der Sowjetunion. Stalin habe die Befreiung der Lager propagandistisch genutzt, sich zuvor aber nicht für den Holocaust interessiert. Er habe nichts getan, um die Vernichtungsmaschinerie aufzuhalten, etwa durch Bombardierung der Eisenbahnlinien oder der Verbrennungsöfen. Nach dem Krieg nutzten die Sowjets ehemalige KZ, um ihre politischen Gefangenen einzusperren. Generell seien die Sowjets im Weltkrieg und den Folgejahren nicht nur Opfer Hitlers, sondern auch Täter bei den Verbrechen an Juden, Polen, Ukrainern und Balten gewesen.

"Auschwitz ist der richtige Erinnerungsort"

Historiker Wolffsohn nennt die Wahl Theresienstadt als Alternative „absurd“. „Am 27. Januar ist Auschwitz der richtige Erinnerungsort.“ Dorthin solle man Putin einladen. Er sei heute Repräsentant des Landes, dessen Armee Auschwitz befreite. „1945 haben die Insassen auch nicht gefragt, ob Stalin koscher sei. Sie wollten, dass ihr Leiden endet.“

Antisemitismus-Forscher Benz betont, es wäre „nicht korrekt, den Umgang mit dem Holocaust und die Weiternutzung von KZ zu einem speziell russischen Thema zu machen“. Auch für die Westmächte sei die Befreiung der Lager „nie Kriegsziel gewesen“. Auch sie gingen nach der Befreiung „unsensibel“ vor und nutzten Lager zur Internierung von deutschen Wachmannschaften und Flüchtlingen.

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