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Politik: Beiruter Frühling

Nach Massenprotesten der Libanesen gegen Syriens Truppen im Land tritt die Regierung zurück

Zwei Wochen nach dem Bombenanschlag auf den ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri zeigen die Proteste der Bevölkerung nun Wirkung. Am Montagnachmittag trat die Regierung in Beirut zurück. Ministerpräsident Omar Karami erklärte im Parlament: „Die Regierung wird keine Hürde für diejenigen sein, die das Wohl des Landes wollen.“ Zuvor hatten 25 000 Demonstranten in Beirut den Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon gefordert.

Unter den Demonstranten, die sich in der Nähe des Parlaments versammelt hatten, löste die Nachricht vom Rücktritt der Regierung lauten Jubel aus. Banken- und Wirtschaftsverbände beteiligten sich an einem eintägigen Streik. Die Demonstranten schwenkten hunderte libanesische Fahnen und verteilten rote Rosen an Polizisten und Soldaten.

Bereits vor Karamis Ankündigung hatte Hariris Schwester den Rücktritt der Regierung gefordert. Das ganze Land müsse wissen, wer den Mordanschlag geplant habe und jetzt die Wahrheit vertuschen wolle, sagte die Abgeordnete Bahija Hariri, den Tränen nahe. Der Oppositionspolitiker Marwan Hamadeh warf der Regierung vor, das Attentat auf Hariri gedeckt, wenn nicht gar selbst ausgeführt zu haben. Seine Rede wurde mit Lautsprechern zu den Demonstranten übertragen.

Hariri war am 14. Februar bei einem Bombenanschlag auf seine Fahrzeugkolonne getötet worden. Mit ihm wurden 17 Menschen in den Tod gerissen, mehr als 100 wurden verletzt. Hariri war für einen Abzug der rund 15 000 syrischen Soldaten aus dem Libanon eingetreten.

Die Protestversammlung auf dem Platz der Märtyrer begann am Sonntag. Die Sicherheitskräfte machten trotz des Versammlungsverbots am Montag keine ernsthaften Anstrengungen, Demonstranten fern zu halten. Einige Soldaten und Polizisten sympathisierten offen mit den Oppositionellen.

Derartiges hat der kleine Levantestaat, den der mächtige Nachbar Syrien seit vielen Jahren mit Gewalt unter seiner Kontrolle hält, noch nie erlebt. „Syrien raus“, brüllten die Demonstranten im Herzen Beiruts, wo man bis vor kurzem offene Kritik an der Besatzungsmacht nicht zu äußern wagte. Immer mehr Anzeichen sprechen dafür, dass die Mordtat an Hariri dem Libanon einen „Frühling der Freiheit“ bescheren könnte.

Hatte sich die Opposition gegen die syrische Präsenz in Libanon lange auf die christlichen Maroniten beschränkt, so gewann sie nun auch Zulauf von anderen Bevölkerungsgruppen – Akademikern, Studenten, Bauern, einfachen Arbeitern, Hausfrauen, Bankern und Geschäftsleuten. Sie alle fordern den Rücktritt der Regierung, eine volle Aufklärung des Mordes an Hariri und den Abzug der Syrer. „Durch euren Widerstand schreibt ihr ein neues Kapitel in der Geschichte, nämlich jenes über die Wiedererlangung der Unabhängigkeit“, rief Drusenführer Walid Dschumblatt, der wie kein anderer heute scharfe und offene Kritik an seinem einstigen Verbündeten Syrien wagt.

Birgit Cerha[Nikosia]

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