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Politik: Belgien entschärft Völkermordgesetz

Künftig keine Verfahren mehr gegen ausländische Politiker möglich / Regierung will außenpolitische Schwierigkeiten vermeiden

Brüssel . Belgien wird sein Gesetz zur Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Völkermord entschärfen. Das Parlament in Brüssel stimmte mit einer Mehrheit aus Oppositions- und Regierungsparteien mit 63 zu 48 Stimmen in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch einer entsprechenden Novellierung zu.

Das Gesetz aus dem Jahr 1993 ermöglichte es bisher, dass die belgische Justiz Verbrechen gegen die Menschlichkeit unabhängig davon verfolgen konnte, wo die Straftaten begangen wurden und aus welchem Land mögliche Täter stammten. Das hatte Klagen gegen namhafte ausländische Politiker zur Folge.

Ermittelt wird unter anderem gegen Israels Ministerpräsidenten Ariel Scharon wegen dessen Rolle bei den Massakern unter palästinensischen Flüchtlingen im von Israel besetzten Libanon 1982. Verfahren sind auch anhängig gegen früheren US–Präsidenten George Bush senior und den früheren kongolesischen Außenminister Yerodia wegen dessen Aufruf zum Völkermord an den Tutsi 1998. Auf der Klageliste stehen auch Prominente wie Kubas Staatschef Fidel Castro, Palästinenserpräsident Jassir Arafat, Ruandas Präsident Paul Kagame und der frühere chilenische Diktator Augusto Pinochet.

Proteste aus Israel

Das entschärfte Gesetz sieht nun vor, dass ausländische Politiker in Zukunft etwa wegen möglicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit nur noch verfolgt werden dürfen, wenn dabei Belgier betroffen sind, die seit mehr als drei Jahren im Land leben. Klagen etwa gegen Völkerrechtsverstöße, die nicht von Belgiern oder auf belgischem Territorium begangen wurden, können an das Herkunftsland des mutmaßlichen Täters weitergeleitet werden. Eine Stichtagsregelung wird es nicht geben. Die alte Form des „Genozidgesetzes“ hatte Belgien mehrmals in den vergangenen Jahren in diplomatische Schwierigkeiten gebracht.

Aus Protest gegen das Verfahren gegen Scharon berief die israelische Regierung zum Beispiel ihren Botschafter aus Brüssel ab. Als eine Gruppe von Irakern Klage gegen den Vater des amtierenden US-Präsidenten Bush wegen angeblicher Kriegsverbrechen im Golfkrieg 1991 einreichte, drohte US-Außenminister Colin Powell mit der Verlegung des Nato-Hauptquartiers. Powell besucht am heutigen Donnerstag die belgische Hauptstadt und die Nato.

Die Drohung Powells stieß gerade bei Belgiens Liberalen auf offene Ohren. Der liberale Außenminister Louis Michel betreibt schon seit zwei Jahren eine Änderung des Gesetzes, weil es seiner Ansicht nach den diplomatischen Spielraum Belgiens einschränkt und Brüssel als EU- und Nato-Standort gefährdet. Unheimlich ist den Liberalen auch, dass Gewerkschafter und Menschenrechtler das Gesetz nutzten, um internationale Konzerne, die in Krisenregionen investieren und Geschäfte mit Diktaturen machen, an den Pranger zu stellen. Ihre Vorstellung: Die Regierung solle die Möglichkeiten erhalten, Klagen gegen Politiker aus Rechtsstaaten an deren Heimatjustiz zu verweisen. Dagegen wehrten sich vor allem Sozialisten und Grüne, die den Kern des Gesetzes erhalten wollten. Nach langen Verhandlungen im Justizausschuss des Parlaments wurde der Gesetzentwurf mit einer Mehrheit aus Liberalen, oppositionellen flämischen Christdemokraten und dem Vlaams Blok gegen die mitregierenden Sozialisten und Grünen dann verabschiedet. Noch im Laufe der Woche soll der Senat den neuen Gesetzentwurf endgültig absegnen.

Klaus Bachmann

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