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Politik: Berlin kann anders, zum Glück!

DIE HAUPTSTADTKULTUR

Von Christine LemkeMatwey

Zur Weihnachtszeit geben deutschsprachige Bühnen gerne Engelbert Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel“. Gleich im ersten Akt singt sich die böse Stiefmutter hier in großer Emphase ihr elendes Hungerleiderleben von der Seele: „Herrgott, wirf Geld herab!“ Und genau das geschieht am Ende. So verlockend der Vergleich ist, wenn heute aller Voraussicht nach das Stiftungsgesetz zur Opernreform im Berliner Parlament verabschiedet wird: Es wäre grundfalsch, die Rolle des Bundes in der Berliner Kulturpolitik mit der jenes huldreichen Märchen-„Herrgotts“ gleichzusetzen. Denn eben diesen Part will der Bund nicht übernehmen – da mag die Hauptstadt noch so laut ächzen und stöhnen unter der Last ihres preußisch-ost-west-deutschen Erbes und unter den Daumenschrauben ihrer wahrlich horriblen Sparzwänge.

Der Bund hat Berlin Fragen und Bedingungen gestellt – viele, hartnäckige und zweifellos die richtigen. Dann wurde entschieden, gemeinsam entschieden. Und seither fallen die Hürden: vor zwei Tagen die Unterzeichnung des Hauptstadtkulturvertrages, gestern das Placet für die Opernreform im Unterausschuss Theater des Abgeordnetenhauses. Es ist ein mächtiges Paket, das Kulturstaatsministerin Christina Weiss und Berlins Kultursenator Thomas Flierl da geschnürt haben. Ein Paket, das – paradox genug – durch die Überführung anderer hauptstädtischer Institutionen in die Obhut des Bundes die Stiftung „Oper in Berlin“ ermöglicht. Jene Stiftung stellt die drei Berliner Opernhäuser als drei eigenständige GmbHs unter ein Dach. Das ist billiger, schlanker, flexibler, zeitgemäßer und außerdem gut für die Eigenverantwortlichkeit. Sagen die Erfinder des Modells.

Berlin hat keine andere Wahl, als diese Hilfe anzunehmen. Das weiß auch die Opposition im Parlament, die der Sache bis zuletzt pflichtschuldig am Zeuge flickte. Denn wenn sich die Lage des Stadtstaates Berlin aus all seinen vertrackten historischen Implikationen heraus heute wirklich so unvergleichlich anders darstellt als beispielsweise in Wien oder Paris, dann muss Berlin endlich auch die Chancen dieses seines Andersseins erkennen. Die Narben der jüngeren Geschichte, die Brüche in der Identität dieser Stadt und dieser Republik, sie müssen sichtbar bleiben dürfen, ohne dass uns permanent das Herz in die Hose rutscht. Auf die Opernsituation gewendet bedeutet dies: Der Bund – und das ist klug – kauft sich in Berlin keine „Nationaloper“, wie sie in Paris oder Wien existiert (was die Staatsoper Unter den Linden allerdings nur zu gerne gesehen hätte), sondern er leistet Entwicklungshilfe. Mag sein, dass das dem einen oder anderen in dieser Stadt gegen die Ehre geht.

Eine Lindenoper aber, die sich nicht im Widerschein nobler Bundesrepräsentationspflichten sonnt, muss sich ganz anders engagieren: ehrgeiziger, künstlerisch profilierter, selbstbewusster. Und ein Opernhaus, dessen Wohl indirekt vom Wohlergehen zweier anderer Häuser abhängt, dürfte sich zwangsläufig stärker in Solidarität üben – einer Solidarität durch kreative Konkurrenz gewissermaßen: Je aktiver, je attraktiver der Einzelne, desto besser ist’s für alle. In diesem Sinne könnte die Stiftung „Oper in Berlin“ gar zum gesamtgesellschaftlichen Signal werden. Die Angst vieler jedenfalls, das Gesetz zöge lediglich Fusionen oder Schließungen nach sich, erscheint unbegründet. Vorerst zumindest. Berlin aber muss sich stellen. Solange das progressive Potenzial des Gesetzestextes genutzt wird, um dem alten Schlachtross Oper den Weg in die Zukunft zu bahnen, so lange darf gelten: Berlin ist nicht nur anders, Berlin kann auch anders. Der Kunst zum Glück.

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