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Eine rituelle Beschneidung. Der Streit darum ebbt nicht ab.

© epd

Beschneidung: Unzureichend und unklar

Die Berliner Regelung der Beschneidung stößt auf Ablehnung. Justizsenator Heilmann will sich nun mit Vertretern der Jüdischen Gemeinde treffen. Die Bundesregierung will mit einem Gesetz Rechtssicherheit schaffen.

Berlin - Die Debatte um rituelle Beschneidungen in Deutschland wird immer schärfer. Jüdische Vereinigungen, aber auch viele Muslime und Christen, lehnen die neue Berliner Richtlinie ab. Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) wird sich deshalb in den kommenden Tagen mit Vertretern der Jüdischen Gemeinde treffen. Er bedauere etwaige Missverständnisse, hieß es aus der Justizverwaltung. Er habe mit den begrenzten Mitteln des Landesrechts kurzfristig Rechtssicherheit schaffen wollen. Wie berichtet, hatte Heilmann angekündigt, religiös motivierte Beschneidungen sollen in Berlin straffrei bleiben – wenn Eltern dem Eingriff schriftlich zustimmen und ihre jüdische oder muslimische Religionszugehörigkeit nachweisen.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hält diese Richtlinie für unzureichend, auch wenn es sich um ein Signal zugunsten der Religionsfreiheit handele. Eine gesetzliche Klarstellung sei nach wie vor nötig, so wie sie Religionsgemeinschaften und Parteien nach dem umstrittenen Kölner Urteil im Juni dieses Jahres gefordert hatten. „Die konkrete Zwischenlösung hilft uns nicht weiter, sagte Generalsekretär Stephan Kramer.

Auch der Jüdische Weltkongress lehnt die Richtlinie ab. „Gut gemeint ist leider nicht unbedingt gut gemacht“, sagte Vizepräsident Maram Stern dem Tagesspiegel. Die Übergangslösung des Senats baue neue Hürden auf. „Wie es aussieht, würde über jüdischen Beschneidern auch unter der neuen Regelung das Damoklesschwert eines Strafverfahrens hängen.“ Es wäre besser, alle zuständigen Stellen würden sich schnell mit dem Zentralrat der Juden und den Vertretern der muslimischen Gemeinden zusammensetzen und eine praktikable Lösung finden. Wenn die Debatte bald ein Ende hätte, „würde das dem Ansehen Deutschlands in der Welt guttun“.

Die Dienstanweisung von Heilmann an Staatsanwälte gilt als problematisch: Unklar ist etwa, ob die Eingriffe – wie bei Juden üblich – nun von den Mohelim, den traditionellen Beschneidern, oder nur von Ärzten durchgeführt werden dürfen. Außerdem müssen Eltern die religiöse Motivation der Beschneidung ihres Kindes nachweisen, etwa durch Bescheinigung einer Gemeinde. Dies widerspräche der Religionsfreiheit, sagte Sergey Lagodinsky, Vorsitzender des Kulturausschusses der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Zumal nicht alle Juden in einer Gemeinde organisiert seien. Auch im Zentralrat der Muslime wird die Regelung als eine Art Gewissensprüfung aufgefasst.

„Es bleibt ein Rest an Unsicherheit“, sagte Max Doehlemann, einer der Organisatoren, der für Sonntag geplanten Demonstration durch die Berliner Innenstadt. Dabei wollen Juden, Muslime und Christen ein Recht auf Beschneidungen fordern. Sie warnen auch vor „antisemitischen und antiislamischen Stereotypen“, die in der Debatte hochgekommen seien.

Unter Medizinern ist die Richtlinie am Donnerstag zunächst begrüßt worden. In Bezug auf strafrechtliche Verfolgung gebe sie „weitgehend Rechtssicherheit“, sagte der Präsident der Berliner Ärztekammer, Günther Jonitz. „Wir brauchen dennoch ein klares Bundesgesetz.“ Denn selbst wenn Berliner Staatsanwälte nun Beschneidungen nicht verfolgen sollten, blieben Zivilklagen davon unberührt: Schadenersatzansprüche gegen Mediziner könnten unabhängig von einer strafrechtlichen Verfolgung geltend gemacht werden. Die Ärztekammer ist für Berufsrecht- und Ethikfragen zuständig, ihr müssen alle zugelassenen Mediziner angehören. Jonitz plädiert für die Praxis vor dem umstrittenen Kölner Urteil. Die meisten Mediziner hatten bis Juni dieses Jahres auch minderjährige Jungen schon deshalb beschnitten, um zu verhindern, dass Eltern den Eingriff unter schlechteren hygienischen Bedingungen woanders durchführen lassen.

Die Leitung der Berliner Klinikkette Vivantes will trotz der neuen Regelung nichts an der hausinternen Praxis ändern. Man werde Eltern weiter dringend empfehlen, sagte eine Sprecherin, die religiöse Beschneidung zu verschieben, bis das Kind im Jugendalter selbst einwilligen kann. Das Jüdische Krankenhaus in Berlin-Wedding teilte hingegen mit, künftig wieder Beschneidungen vorzunehmen. Schätzungen zufolge werden rund 1200 muslimische und 150 jüdische Jungen jedes Jahr allein in Berlin aus religiösen Gründen beschnitten. Viele dieser Eingriffe wurden auch in Praxen durchgeführt und privat bezahlt.

Das Kölner Landgericht hatte einen Arzt, der einen Jungen beschnitten hatte, zwar vom Vorwurf der Körperverletzung freigesprochen, weil er das Unrecht seines Handelns nicht gekannt habe. Im Urteil wurde aber erstmals festgestellt, dass religiöse Beschneidungen strafbar seien: Das Recht des minderjährigen Kindes – was nicht einwilligungsfähig sei – auf Unversehrtheit überwiege das Recht auf Religionsfreiheit der Eltern.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat nun am Donnerstag erneut zugesichert, durch ein Bundesgesetz bald Rechtssicherheit schaffen zu wollen. Die Landesregierungen in Brandenburg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und MecklenburgVorpommern planen bis dahin zunächst keine Übergangsregelungen. In Hessen und Sachsen soll bis zu einem bundeseinheitlichen Gesetz im Einzelfall entschieden werden, ob religiöse Beschneidungen bei Kindern als Straftat eingestuft würden. Mit einer möglichen Übergangsrichtlinie will sich die CDU-geführte Regierung in Thüringen befassen. (Mitarbeit: Christian Böhme)

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