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Politik: Besonderes Merkmal: Burka

Bei der Vorbereitung der Wahlen sahen sich die afghanischen Behörden und die UN vor unerwartete Probleme gestellt

Rund 10,5 Millionen Stimmberechtigte sind am Sonnabend aufgerufen, den neuen afghanischen Präsidenten zu wählen. 41 Prozent der registrierten Wähler sind Frauen. Damit hat der Wüstenstaat am Hindukusch nach fast 30 Jahren Wirren und Krieg einen geradezu dramatischen Schritt in Richtung Normalität vollzogen.

Doch schon vor dem Urnengang waren massive Unregelmäßigkeiten bekannt geworden. Zwar ließen sich trotz Einschüchterungsversuchen durch die Taliban und Expremier Gulbuddin Hekmatjar rund 90 Prozent aller Wahlberechtigten registrieren. Doch Tausende hatten sich mehrfach in die Wählerlisten eingetragen. Allein im Pandschirtal mit einer geschätzten Bevölkerungszahl von knapp 50 000 wurden mehr als 124 000 Registrierungskarten ausgegeben. Ghowar, eine Kunststudentin an der Kabuler Uni, berichtet von einer Frau, die sich in der Provinz Laghman in nur einer Woche über 40 Stimmkarten besorgte und sich dabei im Ganzkörperschleier – der Burka – fotografieren ließ. Das Problem, musste UN-Sprecher Manoel de Almeida e Silva zugeben, sei bekannt, man habe jedoch keine Vorstellung von den Ausmaßen. Interimspräsident Hamid Karsai, der von bis zu 100 000 Mehrfachregistrierungen ausgeht, nahm es locker: Die Wahlen seien eine Übung in Sachen Demokratie. Und manche übten eben zweimal, sagt er.

Bedenklich stimmt auch, dass eine effektive Wahlbeobachtung nicht möglich sein wird. Eine flächendeckende Präsenz von Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) außerhalb von Kabul, so ein Sprecher der Organisation bei einem Afghanistanbesuch Anfang September, könne aus Sicherheitsgründen nicht stattfinden. In Schnellkursen wurden rund 40 000 afghanische Beobachter aus allen Bevölkerungsschichten geschult, und auch die Kandidaten dürfen Beobachter entsenden. Insgesamt, so schätzen Beobachter, können am Samstag aber nur rund zwölf Prozent aller Wahllokale kontrolliert werden – hauptsächlich in Städten.

Das größte Hindernis für faire Wahlen stellt aber zweifellos die Sicherheitslage dar. Zwar wurden die Einheiten der von Washington geführten Anti-Terror-Koalition mehrfach auf inzwischen fast 20 000 Mann aufgestockt. Dazu kommen die Soldaten der internationalen Schutztruppe Isaf. Doch erst am Mittwoch wurde wieder deutlich, wie fragil die Situation ist. Im nordafghanischen Faisabad, wo 110 Bundeswehrsoldaten stationiert sind, entging Karsais Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten nur knapp einem Mordanschlag. Die Regierung vermutet, die Drogenmafia habe den Fahrzeugkonvoi von Ahmed Sia Massud angegriffen. Die Drogenhändler lehnen die Wahlen ab, weil sie fürchteten, die neue Regierung könnte ihre Aktivitäten stören. Deshalb unterstützten sie die Versuche der Taliban, die Wahlen zu sabotieren.

Die Nato hat während der Wahl 9500 Soldaten im Einsatz, 3000 mehr als die von ihr geführte Isaf normalerweise umfasst. Am Wochenende werden sie vor allem dann gefragt sein, wenn die Wahlurnen in acht Auszählzentren zusammengetragen werden. Eines der Zentren befindet sich am Bundeswehrstandort Kundus. Die Nato hat sich außerdem verpflichtet, die Stimmzettel afghanischer Flüchtlinge in Pakistan und Iran nach Kabul zu transportieren. Dort stellt die Bundeswehr die meisten Soldaten. Im Einsatz sind auch die deutsch-französische Brigade und ein Bataillon norwegischer Soldaten.

Spanier und Italiener haben in Masar-i-Scharif und in Kabul jeweils ein Bataillon Kampftruppen stationiert. Ihre Zahl beläuft sich auf 1100 Soldaten, die mit Hubschraubern schnell verlegbar sind, um notfalls aufkommende Unruhen in den Wahlbezirken zu unterbinden.

Obwohl die Nato-Staaten zusätzliche Kampfflugzeuge, Hubschrauber und Transportflugzeuge zur Verfügung gestellt haben, klagen die Kommandeure der Isaf darüber, dass in Kabul Hubschrauber fehlen, um die Verlegung der italienischen Soldaten tatsächlich zu gewährleisten. Als letzte Reserve für den Ernstfall stehen im bayerischen Vilseck 560 US-amerikanische Soldaten des 63. bewaffneten Regiments bereit, die binnen drei Tagen nach Afghanistan verlegt werden können.

Grundsätzlich, so heißt es bei der Nato in Brüssel, seien jedoch immer zuerst die örtlichen Behörden, also die von Deutschland ausgebildete Polizei und die neue afghanische Armee, zuständig. Sie verfügt über rund 15 000 Soldaten, insgesamt 70 000 sollen es einmal werden.

Nach den Worten ihres Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffer sollte die Nato in Afghanistan künftig noch mehr tun als bisher. Der Preis eines Scheiterns wäre sehr hoch, mahnte Scheffer am Donnerstag bei einem Besuch in Berlin unter Hinweis auf den Terrorismus. Scheffer, der unter anderen Verteidigungsminister Struck traf, lobte ausdrücklich das deutsche Engagement.

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