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Kanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker am Mittwoch in Brüssel.

© dpa

Besuch bei Jean-Claude Juncker: Angela Merkel: Deutschland will TTIP jetzt

Die Bundeskanzlerin drängt auf einen zügigen Abschluss des TTIP-Abkommens: Deutschland wolle die EU-Kommission dabei unterstützen, bis zum Jahresende die politischen Gespräche mit den USA abzuschließen, sagt sie in Brüssel.

Bei einem Besuch bei der EU-Kommission am Mittwoch in Brüssel hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) deutlich für einen zügigen Abschluss der Verhandlungen über das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA ausgesprochen. Sie habe „für Deutschland klar gemacht, dass wir TTIP wollen“, sagte die Kanzlerin nach einem Treffen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und seinen Kommissarskollegen.

Merkel verwies dabei auf einen Beschluss der Staats- und Regierungschefs, dem zufolge ein Abschluss des politischen Teils der TTIP-Gespräche bis Ende 2015 angestrebt wird. Im Gespräch mit der EU-Kommission habe sie die Unterstützung Deutschlands angeboten, die Gespräche in diesem Zeitrahmen zum Abschluss zu bringen.

Auf die Frage, ob die umstrittenen Klauseln zum Investorenschutz Bestandteil des Freihandelsabkommen mit den USA sein sollten, antwortete Merkel, dass das Handeln von Regierungen künftig nicht zu Gunsten des Investorenschutzes „an den Rand gedrängt werden“ dürfe. Gleichzeitig wies Merkel aber auch darauf hin, dass Deutschland mit dem Investorenschutz in bilateralen Abkommen gute Erfahrungen gesammelt habe. „Wo der Wille ist, ein solches Abkommen abzuschließen, wird auch ein Weg gefunden“, sagte die Kanzlerin.

Warnung vor Verschärfung der Russland-Sanktionen

Gleichzeitig warnte Merkel Russland vor einer möglichen Verschärfung der von der EU wegen der Ukraine-Krise verhängten Sanktionen. Wenn das Abkommen von Minsk stark verletzt werde, so müsse sich Russland darauf einstellen, „dass weitere Sanktionen vorbereitet beziehungsweise verabschiedet werden“, sagte sie. Juncker erklärte, dass gegenwärtig die Bedingungen für einen Gipfel zwischen der EU und Russland nicht gegeben seien.

Merkel und Juncker gegen Diskussion über drittes Griechenland-Paket

Sowohl Merkel als auch Juncker wandten sich dagegen, über ein mögliches drittes Hilfspaket für Griechenland zu diskutieren. Jetzt gehe es darum, das gegenwärtige Hilfsprogramm mit Griechenland erfolgreich zu Ende zu bringen, erklärte die Kanzlerin. Die vormals als Troika bezeichneten Institutionen der Geldgeber – der Internationale Währungsfonds (IWF), die Europäischen Zentralbank (EZB) und die EU-Kommission - müssten bewerten, ob Athen die mit dem Programm verbundenen Auflagen erfülle, so Merkel. Juncker fügte hinzu, es sei „verfrüht, über ein drittes Hilfsprogramm zu spekulieren“. Zudem rief der Kommissionschef die griechische Links-Rechts-Regierung dazu auf, zusätzliche Haushaltsausgaben an anderer Stelle wieder auszugleichen.

Lobende Worte fand die deutsche Regierungschefin indes für die Reformbemühungen der sozialistischen Regierung in Frankreich. Eine Woche zuvor hatte die EU-Kommission Frankreich einen Aufschub bis 2017 gewährt, um das Defizitziel einer Neuverschuldung von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zu erreichen. Anstatt sich in die Politik in Paris einzumischen, wolle Deutschland „Frankreich in diesen Reformbemühungen unterstützen“, sagte die Kanzlerin. Dabei verwies sie auf die „gemeinsame Erkenntnis", dass Arbeitsplätze nur da entstünden, wo auch Wettbewerbsfähigkeit herrsche. „Frankreich ist da auf einem guten Weg“, sagte Merkel.

Die Kanzlerin will der Juncker-Kommission ihre Eigenständigkeit lassen

Allerdings übertünchen derartige Äußerungen, dass es gerade in der Bewertung der französischen Haushaltspolitik sehr wohl Differenzen zwischen Berlin und Brüssel gibt. Viele Unionspolitiker sind irritiert über die flexible Auslegung des Euro-Stabilitätspakts und die weitere Fristverlängerung für Frankreich beim Schuldenabbau. Auch die Mittlertätigkeit der EU-Kommission im Schuldenstreit mit Athen stieß nicht auf  Gegenliebe. Dass die strittigen Punkte bei der Pressekonferenz von Merkel und Juncker nicht zur Sprache kamen, wird in der Bundesregierung mit Rücksichtnahme begründet. „In den Punkten Stabilitätspakt, Frankreich oder Griechenland öffentlich nachzuhaken, hätte nur zu Riesenstreit und  einem Gesichtsverlust Junckers geführt“, sagt ein EU-Diplomat. Zudem sehe man tatsächlich viele positive Veränderungen gegenüber der Vorgänger-Kommission unter José Manuel Barroso: „Merkel ist bereit, dieser politischeren Kommission, die auch auf Stimmungen in der Bevölkerung eingeht, diese  Eigenständigkeit zuzugestehen.“

Merkel weiß, dass die neue wirtschaftspolitische  Eigenständigkeit der  Juncker-Kommission, die  auch von den Sozialdemokraten im Europaparlament getragen wird, gut für das politische Klima in Europa ist. Nicht zuletzt, weil es immer mehr als deutsches Europa wahrgenommen worden ist. Vom liberalen Europapolitiker Guy Verhofstadt etwa stammt das Wort, Barroso habe vor jeder Initiative immer erst Merkel um Genehmigung gefragt. „Die deutsche Dominanz unter Barroso war  fast erstickend“, sagt ein belgischer Regierungsvertreter, „es ist  auch für    Deutschland gut, wenn die Mitgliedstaaten mit Juncker nun sehen, dass auch Merkel einmal Kompromisse eingehen muss.“ Im Gegenzug zeichnet auch Juncker  ein  ganz undogmatisches Bild der Bundesregierung, etwa beim jüngsten Griechenland-Beschluss. „Es gab mehrere Länder, die  viel strenger waren als die Deutschen“, sagte er – rechtzeitig vor Merkels Visite  – der Zeitung „El País“.

Oettinger: Arbeitsbeziehung zwischen Brüssel und Berlin ist "voll intakt"

An einem Interessensausgleich ist auch dem deutschen Kommissar Günther Oettinger gelegen, der intern im Sinne Merkels Verbesserungen am Beschluss  zum Pariser Defizit  erreicht hat. Er verteidigt die jüngste Entscheidung dementsprechend: „Wir haben die Entscheidung zu Frankreich immerhin mit gewisser Konsequenz getroffen“, sagte Oettinger dem Tagesspiegel: „Die Kommission ist in der Balance durchaus auf dem richtigen Weg.“  Es gibt also gar keine Konflikte mit der Bundesregierung? „Konflikte nein, unterschiedliche Positionen ja - und wenn der Streitwert steigt, können auch die Unterschiede größer werden“, sagte Oettinger weiter, „aber die Arbeitsbeziehung ist voll intakt.“

Das zu betonen, wurden Juncker und Merkel auch am Mittwoch nicht müde.  Es sei ein „freundschaftliches Gespräch wie immer“ gewesen, sagte der  Luxemburger; die Zeitungen, die „dauernd schwerste Konflikte ausmachen“, irrten. Merkel  betonte, dass über den guten Draht zwischen Bundesregierung und Brüsseler Kommission  nicht ständig geredet werden müsse. Das sei  „wie Eulen nach Athen zu tragen oder, wie es auf Englisch heißt, Kühlschränke zu den Eskimos“. Für Heiterkeit sorgte das auch deshalb , weil die Redewendung eigentlich auf einen geschickten Verkäufer gemünzt ist, der sogar Eskimos einen Kühlschrank andrehen könne. Und Merkel trauen die meisten Beobachter sehr wohl zu, Streit als Harmonie zu verkaufen.

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