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Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande

© EPA/Daniel dal Zennaro

Update

Besuch für Wladimir Putin: Angela Merkel und François Hollande auf Mission in Moskau

Die Reise von Angela Merkel und François Hollande zum russischen Präsidenten Wladimir Putin hat nicht zuletzt symbolische Bedeutung – und zeigt, wie ernst die Lage in der Ukraine wirklich ist. Vor dem Treffen haben die Konfliktparteien einen eintägigen Waffenstillstand für die Stadt Debalzewe beschlossen.

Angela Merkel hält nichts von dramatischen Auftritten in der Weltpolitik, aber diesmal blieb der Bundeskanzlerin offenkundig keine bessere Wahl. Die Ukraine-Krise hat sich in den vergangenen Tagen auf allen Ebenen derart rasant verschärft, dass sich Merkel kurzfristig zur Intervention auf höchster Ebene entschloss. Am Freitag will sie gemeinsam mit dem französischen Präsidenten François Hollande nach Moskau zu Präsident Wladimir Putin reisen; bereits am Donnerstag flog das deutsch-französische Krisenduo nach Kiew. Es ist ein Versuch, die militärische und politische Eskalation zu stoppen, die angesichts der Schlacht im Donbass droht.

Einen kleinen Erfolg gab es bereits am Freitagmorgen, als eine eintägige Waffenruhe rund um die umkämpfte Stadt Debalzewe beschlossen wurde. Während der Feuerpause am Freitag sollten Zivilisten aus der Gegend in Sicherheit gebracht werden, sagte der Polizeichef der Region Donezk, Wjatscheslaw Abroskin.

Militärisch spitzt sich die Lage im Osten zu

Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, wollten Merkel und Hollande einen weitreichenden Friedensplan vorlegen. Danach soll ein sofortiger Waffenstillstand vereinbart und den prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine Autonomie in einem viel größeren Gebiet als bisher geplant zugestanden werden. Die Bundesregierung dementierte den Bericht. Auf jeden Fall hat die Reise ein großes symbolisches Gewicht. Sie soll ein Scheitern der Diplomatie verhindern.

Militärisch spitzt sich die Lage in der Ostukraine weiter zu. Alleine am Vortag sind nach Angaben der ukrainischen Streitkräfte, der prorussischen Separatisten und unabhängiger Quellen mehr als 50 Menschen ums Leben gekommen. Die Großstadt Donezk soll 24 Stunden lang unter Feuer schwerer Artillerie gelegen haben. In ukrainischen Medien ist vom Einsatz von Brandbomben die Rede. In sozialen Medien kursieren obendrein Fotos von russischen MIG-29-Kampfbombern, die angeblich kurz hinter der Grenze in Rostow am Don einsatzbereit gemacht werden.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier fürchtet einen "völligen Kontrollverlust"

Außenminister Frank-Walter Steinmeier, eigentlich auch kein Mann dramatischer Worte, fürchtet schon einen "völligen Kontrollverlust". Wenn es jetzt nicht gelinge, den Konflikt einzudämmen, drohe er jeder politischen Steuerung zu entgleiten, warnte Steinmeier bei einem Besuch in Warschau.

Zu dieser Einschätzung beigetragen haben die Überlegungen in Washington, die Ukraine mit Militärgerät auszurüsten. Bei den Europäern hat dies Alarm ausgelöst, ungeachtet der Beteuerungen der Regierung in Washington, man werde solchen Schritte nicht ohne Rücksprache mit den Verbündeten unternehmen. Der designierte US-Verteidigungsminister Ashton Carter sprach sich kürzlich allerdings dafür aus. Mehrere US-Senatoren sowohl von der republikanischen als auch von der demokratischen Partei drängten Obama am Donnerstag erneut dazu, die Ukraine mit Waffen zu beliefern.

Ein Rüstungswettlauf in der Ostukraine, so die deutsche Einschätzung, wäre für den Westen nicht zu gewinnen, könnte aber alle Wege zu einer Verständigung mit Moskau auf absehbare Zeit zusperren – von der Gefahr eines Stellvertreterkriegs der Großmächte ganz zu schweigen.

Zweifelhaft ist, ob die Bundeskanzlerin ihre Sicht Barack Obama vermitteln kann

Ob Merkel diese Sicht dem US-Präsidenten Barack Obama bei ihrem anstehenden Kurzbesuch in Washington vermitteln kann, ist nicht sicher. Die Kanzlerin dürfte sich noch gut erinnern, auf wie wenig Verständnis sie im Jahr 2008 bei den Amerikanern traf, als sie beim Nato-Gipfel in Bukarest die Aufnahme der Ukraine in das Bündnis blockierte – übrigens ebenfalls gemeinsam mit Frankreich.

Zugleich registrieren die Europäer mit Sorge, dass die amerikanischen Erwägungen in Kiew die Hoffnung nähren, eben doch militärisch wieder in Vorderhand zu kommen, nachdem die Regierungstruppen in den vergangenen Wochen unter massivem Druck zurückweichen mussten. Präsident Petro Poroschenko versicherte zwar am Donnerstag der spanischen Zeitung "El Pais", es gehe bei Waffenlieferungen nur um "defensive Systeme". Und US-Außenminister John Kerry, am Donnerstag ebenfalls auf Besuch in Kiew, versicherte, sein Land suche "keinen Konflikt mit Russland". Aber die USA würden auch nicht die Augen davor verschließen, wenn russische Panzer und Kämpfer in die Ukraine zögen.

Poroschenko drohte, er werde im ganzen Land das Kriegsrecht verhängen, wenn die Kämpfe nicht abflauten. Im Parlament, der Werchowna Rada in Kiew, ist die Stimmung mehrheitlich für US-Waffenlieferungen und gegen weitere Versuche, die Minsker Waffenstillstandbemühungen wiederzubeleben. Die Parlamentarier begannen ihre Sitzung am Donnerstag mit einer Schweigeminute für die Opfer in der Ostukraine.

Es ist das erste Treffen in dieser Krise im Kreml

Vor diesem Hintergrund wirkt die Reise von Merkel und Hollande wie ein womöglich letzter Versuch, die „europäische“ Linie einer ausschließlich diplomatischen Verhandlungslösung zu halten. Beide haben sich schon mehrfach mit Putin getroffen, aber noch nie in Moskau. Die Visite im Kreml hat allein deshalb symbolisches Gewicht, zumal der russische Präsident bei seinen regelmäßigen Telefonaten mit Merkel schon sehr früh um einen Besuch der deutschen Regierungschefin geworben hat. Für Wladimir Putin ist Merkel seit Beginn der Krise die zentrale Ansprechpartnerin im Westen.

Sein Berater Juri Uschakow wertete den angekündigten Besuch denn auch sofort als "positiven Schritt"; der russische Präsident sei zu einem konstruktiven Gespräch bereit. Russland hoffe allerdings auch, dass die Gäste bei allen Vermittlungsversuchen die früheren Vorschläge Putins berücksichtigten.

In Regierungskreisen in Berlin werden Hoffnungen auf einen Durchbruch gedämpft

Ob die Reise in den russischen Winter einen Durchbruch bringen kann? In Berlin werden nach allen Erfahrungen der letzten Monate die Erwartungen gedämpft. Merkel mache sich keine Illusionen, heißt es. Aber bald stehen weitere wichtige Treffen an – am Rande der Müncher Sicherheitskonferenz, beim informellen EU-Rat und mit Obama Anfang nächster Woche. Merkel wolle sich selbst ein Bild in Kiew und Moskau machen – und "noch einmal alles versucht haben".

Verteidigungsministerin von der Leyen sagte am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung "maybrit illner", in dieser schwierigen Krise werde es wohl "nie eine angenehme und einfache Lösung" geben. Vor dem Hintergrund der deutsch-französischen Friedensmission fügte sie hinzu, sie wolle "die Erwartungen nicht zu hoch hängen". Es gehe nun darum, Russland zurück an den Verhandlungstisch zu bewegen und auszuloten, wie mit Moskau wieder gemeinsame Projekte entwickelt werden könnten. Als Beispiel nannte die Ministerin den Kampf gegen die Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS).

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte in der Sendung, er glaube auch weiterhin "an die Zusammenarbeit von Staaten". Die Nato sehe "keine Konfrontation mit Russland". Er sprach sich für eine friedliche Verhandlungslösung aus, bei der die "Ukraine als unabhängiges Land" geachtet werde.

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk wertete die Friedensmission als "Zeichen der Unterstützung und Solidarität" für sein Land.

Vor dem Treffen in Kiew hatte Hollande angekündigt: "Wir werden einen Vorschlag zur Lösung des Konflikts unterbreiten, der auf der territorialen Integrität der Ukraine basiert." Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, betonte, dass Merkel und Hollande die Bemühungen um eine friedliche Lösung des Konflikts "angesichts der Eskalation der Gewalt in den letzten Tagen" nun verstärkten.

Es gilt allerdings als fraglich, ob die Ukraine größere territoriale Zugeständnisse an die Separatisten billigt. "Wir werden niemals etwas in Betracht ziehen, das die territoriale Integrität, die Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine und ihre europäische Zukunft unterminiert", erklärte Regierungschef Arseni Jazenjuk am Donnerstagabend.

Bei den Gesprächen in Moskau könnte es auch um eine mögliche Entsendung von UN-Friedenstruppen in die Ukraine gehen. Dies sei auf Expertenebene bereits diskutiert worden, sagte der Sprecher des russischen Außenministeriums, Alexander Lukaschewitsch, nach Angaben der Nachrichtenagentur Tass. Er hoffe nun auf "Klarheit" bei diesem Thema. Putins Berater Juri Uschakow sagte, der Präsident sei zu konstruktiven Beratungen bereit. Der Besuch von Merkel und Hollande sei ein "positiver Schritt". (mit AFP)

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