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© dpa

Bilateraler Konflikt: Gaddafis Nervenkrieg

Der Konflikt zwischen der Schweiz und Libyen eskaliert: Jetzt hat Tripolis zwei Geschäftsleute eingesperrt.

Berlin - Die Eidgenossen mögen keinen Krach. Berühmt für ihr Bankgeheimnis, ihre guten Hotels und ihre diskrete Gastfreundschaft – seit einigen Tagen jedoch finden sich die Schweizer verwickelt in einen ungewohnten Nervenkrieg mit einem bizarren Gegenspieler. Libyens Revolutionsführer Muammar al Gaddafi, von westlichen Staatslenkern gerne als geläuterter Despot hofiert, hat den Ölhahn zugedreht. In Tripolis ließ er zwei Schweizer Geschäftsleute der Firma Nestlé und des Technologiekonzerns ABB quasi als Geiseln festnehmen, und die Flugverbindungen zwischen Libyen und der Schweiz drastisch reduzieren. Die beiden Männer sind seither mit 20 anderen Gefangenen in einer kleinen Zelle eingesperrt – Vertretern ihrer Botschaft ist jede Kontaktaufnahme verwehrt.

Der dienstälteste Revolutionsführer der Welt reagierte damit auf die vorübergehende Festnahme seines jüngsten Sohnes Hannibal und von dessen hochschwangerer Frau Aline durch die Schweizer Polizei. Maghrebinische Angestellte des Paares, eine Tunesierin und ein Marokkaner, hatten Anzeige wegen Körperverletzung erstattet und ausgesagt, sie seien mit Gürtel und Kleiderbügel verprügelt worden. Gaddafi-Junior und Gattin sind mittlerweile gegen eine hohe Kaution freigekommen und Hals über Kopf abgereist. Hannibal, der eigentlich Motassim heißt, war in Europa schon früher als Rowdy aufgefallen. Mit 140 Stundenkilometern raste er 2004 die Champs-Élysée in Paris herunter, ein Jahr später nahm ihn die französische Polizei fest, weil er im Hotel seine damalige Freundin verprügelt hatte. Nachdem er in Frankreich wegen des Besitzes eines Schnellfeuergewehres zu vier Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden war, bekommt der jähzornige Spross des libyschen Revolutionsführers kein französisches Visum mehr. Darum zog es den 32-Jährigen diesmal in die Schweiz, wo er bis zu seiner Festnahme im Genfer Fünf-Sterne-Hotel „Präsident Wilson“ logierte.

Der libysche Rachefeldzug gegen die Schweiz zeigt, wie wenig „normalisiert“ nach wie vor das Verhältnis des ölreichen arabischen Mittelmeerlandes zum Rest der Welt ist. Unverändert konzentriert sich die Macht auf einen kleinen Personenkreis um Clanchef Gaddafi, der die Geschicke seine Landes in selbstherrlicher und wenig transparenter Weise lenkt. Bei Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit gibt es große Defizite. So erinnert die willkürliche Verhaftung und rohe Behandlung der beiden Schweizer Geschäftsleute an das Schicksal der fünf bulgarischen Krankenschwestern. Erst ließ Gaddafi sie foltern, jahrelang einsperren und zum Tode verurteilen, bevor er sie mit großer Geste gegen die Zusage französischer Waffenlieferungen freigab.

Entsprechend nervös reagierte jetzt die Schweizer Staatsspitze. Außenministerin Micheline Calmy-Rey unterbrach ihren Urlaub und sprach von „beunruhigenden Vergeltungsmaßnahmen“. Bundespräsident Pascal Couchepin bot dem libyschen Staatschef sogar direkte Gespräche an. Das Ölembargo glaubt man in Genf ohne Warteschlangen an den Tankstellen bewältigen zu können. Libyen ist mit rund 50 Prozent der wichtigste Lieferant der Eidgenossen, gefolgt von Nigeria (30 %) und Kasachstan (12 %). Doch wie immer die Kraftprobe mit dem unberechenbaren Wüstenherrscher ausgeht: In Zukunft werden die Eidgenossen ihr Erdöl wohl weniger einseitig einkaufen.

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