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Der Berliner Bischoff Markus Dröge.

© Thilo Rückeis

Bischöf Dröge: "Wir verlieren das menschliche Maß"

Der Berliner Bischof Markus Dröge spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über Präimplantationsdiagnostik, die Gleichstellung des Islams zu den christlichen Kirchen und den Papst in der Hauptstadt.

Weihnachten ist das Fest der Familie. Viele Paare tun sich schwer damit, überhaupt schwanger zu werden. Künstliche Befruchtung ist keine Ausnahme. Paare mit schweren Erbkrankheiten wünschen sich, dass dabei die Präimplantationsdiagnostik angewendet wird, dass befruchtete Eizellen vor dem Einsetzen in die Gebärmutter auf Krankheiten untersucht werden dürfen. Haben Sie dafür Verständnis?
Es ist ein leidvoller Weg, wenn Paare mit schweren Erbkrankheiten Sorge um ein gesundes Kind haben. Da kann ich den Wunsch nach PID verstehen.

Wie könnte eine Lösung aussehen?
Mir leuchtet die Lösung ein, die Frankreich praktiziert. Dort gibt es nur drei Kliniken, die die Lizenz haben, PID durchzuführen, sie führen nur etwa 150 Untersuchungen im Jahr durch, streng eingegrenzt auf Eltern, die in Gefahr stehen, eine schwere Krankheit zu vererben.

Macht es sich die katholische Kirche mit ihrer klaren Ablehnung der PID zu leicht?
Was heißt leicht? Egal, wie man sich entscheidet, man kommt immer in unauflösbare Widersprüche hinein. In den USA hat der Leiter einer genetischen Forschungsstätte gefordert, die PID flächendeckend bei künstlicher Befruchtung einzusetzen und gleich hochgerechnet, welchen volkswirtschaftlichen Nutzen das haben könnte. Wenn man so etwas hört, kann man diejenigen schon verstehen, die sagen, dann lieber gar nicht. Aber nimmt man damit die Probleme der betroffenen Paare wirklich auf? Ich bin froh, dass die EKD nicht gleich eine Entscheidung getroffen hat, sondern eine neue gesellschaftliche Debatte gefordert hat. Das wird uns zwar als Zögerlichkeit vorgeworfen. Aber wir haben die Aufgabe als Kirche, die Gewissen zu schärfen und nicht von vornherein zu sagen, so muss es gemacht werden.

Auch bei einer natürlichen Schwangerschaft legen Ärzte Frauen eine Fülle von Untersuchungsmöglichkeiten nahe. Das verunsichert sehr.
Mit jeder neuen Untersuchungsmöglichkeit erhöht sich der Druck auf die Eltern. Deshalb lehne ich die generelle Freigabe der PID ab. Beides muss möglich sein: dass Eltern aus leidvollen Erfahrungen sagen, wir möchten eine PID, und dass andere Eltern auch einem behinderten Kind den Weg ins Leben ermöglichen wollen und für diese Entscheidung Respekt und Unterstützung erfahren. Wir müssen verhindern, dass es in unserer Gesellschaft normal wird, Behinderung zu vermeiden.

Nimmt das Verständnis für Behinderte, Arme, Kranke, Schwache ab?
Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer hat in seiner Studie zur „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ eine „zunehmend rohe Bürgerlichkeit“ festgestellt. Die Verteidigung von Privilegien geht mit der Stigmatisierung Schwacher einher. Fremdenfeindlichkeit ist in der oberen Einkommensgruppe signifikant gestiegen. Das ist gefährlich. Deshalb waren die Debatten, ausgelöst durch Thilo Sarrazin, sehr ärgerlich und schädlich. Sarrazin hat zwar einige Fakten richtig dargestellt, aber so, dass die Sachlage verzerrt wurde. Und damit dazu beigetragen, dass sich einfacher Vorurteile bilden, um Schuldige zu suchen.

Droht eine Spaltung der Gesellschaft?
Ich beobachte, dass das soziale Klima kälter wird und der Druck steigt.

Auch der Druck auf Kinder in der Schule hat sich erhöht. Alles muss immer schneller und früher erreicht werden.
Wir leben in einer globalisierten Welt, die unerbittlich Leistung fordert und in der Gefahr steht, die Maße des Menschlichen zu verlieren. Dagegen müssen wir die regionalen Lebensräume und Kulturen verteidigen. Ich kann eben nicht einem Arbeiter hier sagen: Weil dein Kollege in China billiger produziert, musst du dich mit einem Lohn zufriedengeben, der es dir hier nicht mehr ermöglicht, angemessen zuleben. Wir brauchen auch Ruhezeiten, deshalb setzen wir uns für den Sonntagsschutz ein. Druck entsteht auch durch zu starke Individualisierung. Der Mensch ist aber ein Sozialwesen und braucht ein soziales Netz.

Sie haben in den vergangenen Monaten zusammen mit Katholiken, Juden und Muslimen Erklärungen herausgegeben und vor Gewalt gewarnt. Ist dieser neue Schulterschluss eine Maßnahme, um der Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken?
Es kann unterschiedliche religiöse Kulturen geben, aber es dürfen keine Schattengesellschaften entstehen, in der die Menschenrechte nicht mehr gelten. Wir leben in einer offenen Gesellschaft, in der man die eigene Identität einbringen und offen diskutieren lassen muss. Unsere gemeinsamen Erklärungen dienen diesem Ziel. Es gibt aber Christen, die erwarten, dass Sie sich für Ihre Kirche stark machen und nicht für Muslime. Was sagen Sie ihnen?
Das eine darf das andere nicht ausschließen. Muslimische Bürger gehören selbstverständlich zur Gesellschaft. Aber wir müssen dagegen vorgehen, wenn Muslime die Würde von Christen missachten.

Haben Sie diese Erfahrung gemacht?
Ich persönlich nicht. Aber ich weiß, dass so etwas in Schulen vorkommt, dass Christen wegen ihrer Religion diskriminiert werden. Das ist nicht zu akzeptieren.

Ist die Integrationsdebatte zu sehr eine Religionsdebatte geworden?
Die Integrationsdebatte muss auch eine Religionsdebatte sein. Wir haben nur noch nicht den richtigen Dreh gefunden.

Wie würde der aussehen?
Wir müssen uns über religiöse Vorstellungen austauschen. Wir müssen aus unserem jeweiligen Glauben heraus gemeinsame gesellschaftspolitische Positionen finden. Beispiele dafür sind die gemeinsamen Aufrufe gegen Gewalt am 1. Mai und angesichts der Terrorwarnungen.

Sollte der Islam den Kirchen gleichgestellt werden?
Wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière festgestellt hat, ist der Islam rechtlich gleichberechtigt. Jetzt geht es um die Frage, wie der Islam diese Gleichberechtigung wahrnehmen kann. Dazu braucht es eine institutionalisierte Form, nicht unbedingt eine Form, wie sie die Kirchen entwickelt haben. Es muss klar sein, wer für wie viele Menschen spricht und gewährleistet sein, dass eine Organisation auf Dauer angelegt ist. Das ist noch schwierig. Wenn Thomas de Maizière Übergangsregelungen anstrebt, um etwa islamischen Religionsunterricht zu ermöglichen, ist das ein Schritt in die richtige Richtung.

Befürchten Sie, den Kirchen könnte etwas weggenommen werden, wenn der Islam als institutionalisierte Form hinzukommt?
Religion muss in der Öffentlichkeit präsent sein können, das können wir nicht nur für uns in Anspruch nehmen, wir setzen uns auch dafür ein, dass andere das gleiche Recht in Anspruch nehmen können. Aber wir müssen darauf achten, dass durch die Debatte um den Islam unsere Rechte nicht zurückgeschraubt werden.

Wird der Besuch des Papstes kommendes Jahr Impulse für die Religionen bringen?
Ich hoffe. Ich bin selbstverständlich dafür, dass der Papst eine öffentliche Messe hält und im Bundestag reden soll. Das wäre ein wichtiges Zeichen, um deutlich zu machen, dass die Religion Teil des öffentlichen Lebens ist.

Benedikt will bei seinem Besuch einen Schwerpunkt auf die Ökumene legen. Was erwarten Sie?
Die Evangelische Kirche bereitet sich auf das Reformationsjubiläum 2017 vor. Ein wichtiges Zeichen für die Ökumene wäre, wenn der Papst darauf eingehen würde, was die Reformation positiv für die katholische Kirche bedeutet. Auch die katholische Kirche hat sich durch die Reformation maßgeblich verändert.

In seiner Regensburger Rede 2006 hat der Papst sinngemäß gesagt, seit der Reformation ist es mit der Kirche bergab gegangen.
Wir haben gerade keine einfache Zeit miteinander.

Haben die Missbrauch-Skandale auch die Glaubwürdigkeit der evangelischen Kirche geschmälert? 
Sie haben an der Glaubwürdigkeit beider Kirchen genagt, denn in der Öffentlichkeit wird zunehmend weniger zwischen den Konfessionen unterschieden.

Eine potenzielle Bedrohung für beide Kirchen könnten auch die Laizismus-Initiativen etwa in den politischen Fraktionen im Bundestag sein. Nehmen Sie die ernst?
Die Diskussionen werden zum Teil sehr verzerrt geführt. Es wird so getan, als würden die Kirchen die öffentlichen Mittel nur dazu verwenden, um die eigenen Institutionen zu stärken. Dabei wird unterschlagen, dass die Kirchen unterstützt werden, weil sie Aufgaben, etwa im sozialen Bereich übernehmen, für die sonst der Staat zuständig wäre. Wenn sich der Staat darum kümmern würde, wären diese Leistungen teurer. Es geht aber auch grundsätzlich um unser zivilgesellschaftliches Verständnis: Wir leben davon, dass sich Bürger zusammentun und Pflichtaufgaben wahrnehmen und dafür refinanziert werden.

Vor einem Jahr hat die damalige EKD- Ratsvorsitzende Margot Käßmann in der Weihnachtspredigt gesagt: „Nichts ist gut in Afghanistan.“ Sie hat dafür viel Kritik geerntet. Jetzt spricht auch die Bundeskanzlerin davon, dass die Bundeswehrsoldaten am Hindukusch Krieg führen.
Margot Käßmann hat eine gesellschaftliche Debatte entfacht, die lange überfällig war. Ich denke, sie ist auch im Sinne der Soldaten. Die evangelische Friedensethik besagt, dass Krieg immer nur Ultima Ratio sein kann, Militäreinsätze nur dann legitim sind, wenn sie Menschenrechtsverletzungen verhindern und es eine Exit-Strategie gibt. Diese Kriterien waren für den Afghanistaneinsatz nicht von Anfang an klar erkennbar.

Sollte Deutschland die Truppen so schnell wie möglich abziehen?
Die Frage sollte nicht nur sein, wie wir dort so schnell wie möglich herauskommen, sondern welche zivilen Hilfen die Staatengemeinschaft der afghanischen Gesellschaft auch in Zukunft anbietet. Es war nicht gut, dass wir ohne Exit-Strategie in das Land hineingegangen sind. Es wäre nicht gut, ohne Verantwortung für die Zukunft des Landes hinauszugehen.

Sollte die Kirche politischer sein?
Nicht im Sinne von Parteipolitik. Die Kirchen sollen um Sachlichkeit werben, damit alle Argumente gehört werden und nicht durch Emotionalisierung radikalisiert und durch Sarrazinierung verdreht werden. Aber wir können den Politikern nicht die Verantwortung für politische Entscheidungen abnehmen.

Würden Sie auch öffentlichen Protest organisieren?
Unser Auftrag ist es vor allem, durch Worte und Überzeugungskraft die gesellschaftliche Diskussion zu beeinflussen. Ich glaube, mit Protestaufrufen sollten Kirchen sehr vorsichtig sein.

Muss man nicht auch provozieren, wenn man gehört werden will?
Es braucht Provokationen, um auf Probleme hinzuweisen. Die Provokationen dürfen nicht so angelegt sein, dass sie Probleme verschleiern statt aufdecken.

Braucht es mehr Mut, um den Leuten eine klare Orientierung zu geben?
Es gibt so eine Sehnsucht nach Klarheit, die aber nur Scheinklarheiten herstellt, weil sie das Problem nicht richtig durchdrungen hat. Bei der Präimplantationsdiagnostik zum Beispiel wünschen sich manche, dass mal einer deutlich sagt, was richtig ist. Da plädiere ich für Nachdenklichkeit und eine Lösung, die jedem eine Gewissensentscheidung ermöglicht.

Das Gespräch führten Claudia Keller und Gerd Nowakowski.

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WELTOFFEN

Der evangelische Bischof ist 56 Jahre alt und wuchs als Diplomatensohn in Washington, Bonn, Paris und Brüssel auf. Andere Lebensformen zu akzeptieren, ist Familientradition.

GRÜNDLICH

Den Wehrdienst wollte er nicht mit Standardargumenten verweigern und arbeitete sich durch die Schriften des Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer. Danach stand der Berufswunsch fest: Pfarrer. Nach 23 Jahren in der rheinischen Kirche, auch in leitender Funktion, wurde er 2009 Berliner Bischof.

VERBINDEND

Er polarisiert nicht gern, sondern bringt Menschen zusammen. Er weiß sich auf leise Art durchzusetzen.

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