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Bischof Fürst: „Die Distanz zwischen Union und Kirchen ist größer geworden“

Der katholische Bischof Gebhard Fürst über den Stammzellbeschluss der CDU und den wachsenden Konsens mit den Grünen.

Nun will auch die CDU eine Stichtagsverschiebung im Stammzellgesetz nicht mehr ausschließen. Wie finden Sie das?

Ich bedaure den Beschluss des Parteitags sehr. Bisher bin ich davon ausgegangen, dass die Union diese Richtung noch nicht eingeschlagen hat. Aber schon bei der Einführung des ersten Stichtags für den Import embryonaler Stammzellen haben wir befürchtet, dass es dabei nicht bleiben wird. Und meine Kontakte zu Wissenschaftlern sagen mir eindeutig: Das wird auch nicht die letzte Verschiebung sein. Das Ganze ist ein Schritt zu einer Liberalisierung auf breiter Front in der Frage der Vernutzung von Embryonen.

Die Befürworter von Forschungserleichterungen berufen sich auf eine Ethik des Heilens. Mit den Ergebnissen könne man irgendwann schwer kranken Menschen helfen. Wollen die Kirchen die Menschen lieber leiden lassen?

Darum geht es nicht. Wir müssen uns darüber klar sein, was ein Embryo ist: kein Zellhaufen, sondern ein Mensch im Werden. Ich nenne Embryonen deshalb embryonale Menschen. Die dürfen wir nicht töten, bloß weil daraus in weiter Ferne möglicherweise irgendwelche Therapien entwickelt werden. Wir sollten in Deutschland viel stärker auf die Forschung mit adulten Stammzellen setzen als auf embryonale Stammzellen, mit denen noch kein einziges therapeutisches Verfahren geglückt ist. Im Gegenteil: Embryonale Stammzellen sind dort, wo sie im Tierversuch ausprobiert worden sind, krebserregend.Wenn wir uns auf adulte Stammzellen konzentrieren würden, kämen wir nicht in dieses ethische Dilemma. Und die jüngsten Erfolge mit adulten Stammzellen zeigen, dass die ethische Begrenzung von Forschungsprojekten kreativ und produktiv sein kann, um andere Wege zu finden.

Wo sind denn für die Kirche Grenzen der Forschung? Auch Arzneitests gefährden im Extremfall Menschenleben ...

Das ist etwas ganz anderes, als Embryonen einfach zu nutzen und zu töten. Erwachsene Menschen können in solche Tests einwilligen, sie wissen, auf welches Risiko sie sich einlassen. Embryonen kann man nicht fragen.

Bundeskanzlerin Merkel hat den Parteitagsbeschluss persönlich befördert – und sich damit klar gegen die Position der katholischen Kirche gestellt. Sind die Kirchen der CDU nicht mehr so wichtig?

Die Kanzlerin muss natürlich wissen, wie stark sie die Positionen der Kirche berücksichtigen will. Aber sie sollte auch berücksichtigen, dass eine große Mehrheit der Bürger bei der Frage, ob man Menschen im Werden um therapeutischer Verfahren willen töten dürfen sollte, mit Nein antwortet. Es ist nur leider oft so, dass das Kernproblem aufgrund der Komplexität dieser Materie in der Öffentlichkeit nicht wirklich verstanden wird. Wenn den Menschen deutlich wird, was embryonale Stammzellforschung bedeutet, sind sie sehr viel zurückhaltender. Sie sagen dann nur: Die Interessen der Forschung und der Industrie sind so groß, dass sich das möglicherweise nicht verhindern lässt.

Noch mal: Wächst die Distanz zwischen den Kirchen und der Union?

Also, in den Fragen der Bioethik ist die Distanz ganz klar größer geworden.

Und umgekehrt: Wie wichtig sind die Unionsparteien noch für die Kirchen?

Die Unionsparteien sind für die Kirchen natürlich von großer Bedeutung. Wie aber alle andere Parteien auch. Wir schauen, bei welcher Partei welche christliche Grundorientierung gegeben ist, und messen sie daran. Um es klar zu sagen: Wenn bei der CDU „C“ draufsteht, muss auch „C“ drin sein.

Beim Stammzellgesetz sind es aber die Grünen, die sich als Einzige fast geschlossen gegen Änderungen am Stammzellgesetz wehren. Werden die nun die neue Partei für christliche Werte?

Im Bereich der Bioethik und der Biotechnologie sind die Grünen oft sehr nahe, wenn nicht identisch mit Positionen der katholischen Kirche. Da gibt es auch viele Gespräche und gute Kontakte. Wir sehen, dass die Ehrfurcht vor dem Leben und der Schöpfung bei dieser Partei sehr stark ausgeprägt ist. Das wollen wir auch deutlich markieren.

In der Theorie bekennt sich die Union gerne zu ihrem „C“ ...

Die christlich-demokratische Union geht in ihrem Parteiprogramm vom christlichen Bild des Menschen aus. Das ist eine Selbstverpflichtung, und darin ist sie den Kirchen natürlich sehr nahe. Aber sie muss sich auch in ihrer Alltagspolitik daran messen lassen. Im Übrigen nicht nur in Fragen der Bioethik, sondern auch in ihrer Wirtschafts- und der Sozialpolitik.

Sehen Sie da denn auch Entwicklungen, die Sie kritisieren?

Ich möchte hier keine Detailkritik betreiben, Einzellösungen sind immer sehr schwierig zu benennen. Aber generell ist es leider so, dass in unserem Land die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht. Der Aufschwung kommt nicht bei allen Menschen an. Aus christlicher Sicht ist die Würde des Menschen auch tangiert, wenn die Rate der von Armut bedrohten oder in Armut befindlichen Menschen steigt. Besonders betrifft das in unserer Gesellschaft inzwischen Familien mit mehreren Kindern. Und das ist eine Entwicklung, die wir als Christen so nicht unwidersprochen hinnehmen können.

Die Fragen stellte Rainer Woratschka.

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