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Politik: Blairs Euro-Vision

Der Premierminister will das Europaparlament am Donnerstag vom britischen Sozialmodell überzeugen

Wer hat in Europa die besten Argumente in der Debatte über die Zukunft der EU? Spätestens seit dem gescheiterten Gipfel von Brüssel ist der Wettstreit eröffnet, und am Donnerstag wird der britische Premierminister Tony Blair die Schlacht ins Europaparlament tragen. Dort will er der harschen Kritik entgegentreten, die dem vermeintlich „ultraliberalen“ britischen Sozialmodell vom Kontinent entgegenweht. Beratern zufolge will der britische Regierungschef darauf hinweisen, dass es nicht darum gehe, in der EU zwischen sozialer Absicherung und wirtschaftlicher Effizienz zu wählen. Vielmehr könne beides erreicht werden.

Blair will erläutern, dass in Großbritannien nicht viktorianische Zustände wie in den Romanen von Charles Dickens herrschen. Er wird aufzeigen, wie der Abbau der Arbeitslosigkeit in Großbritannien Wohlstand und den Ausbau des Sozialstaates befördert hat und wie die Labour Party einen Mindestlohn und die europäische Sozialcharta einführte.

EU-Handelskommissar Peter Mandelson, immer noch ein enger Verbündeter Blairs, erläuterte in einem Meinungsbeitrag für den „Guardian“ die Stoßrichtung. Der Streit um das EU-Budget sei Bestandteil der großen Debatte über einen neuen europäischen Konsens, so Mandelson. Dieser Konsens hat nach britischer Lesart die Überschrift: Wirtschaftsreform, beruhend auf sozialer Gerechtigkeit. „Nicht eine Amerikanisierung Europas ist das Ziel, sondern die Sicherung unseres europäischen Gesellschaftsmodells für kommende Generationen“.

Dabei will Blair offenbar vor dem Europaparlament über die Köpfe von Frankreichs Präsident Jacques Chirac, Bundeskanzler Gerhard Schröder und Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker hinweg direkt an die Menschen Europas appellieren. Wie er das tun will, deutete er schon am Montag im Londoner Unterhaus an. Die eigentliche Krise, so erklärte Blair, bestehe darin, dass zwischen den politischen Führern Europas und den Menschen keine Übereinstimmung mehr in der Frage bestehe, worauf es wirklich ankommt.

Im eigenen Land kann sich Blair einer solchen Übereinstimmung allerdings sicher sein. Selten verlief eine Unterhaussitzung nach einem europäischen Rat so harmonisch. Blair ist es gelungen, nach fast zwei Jahrzehnten des europapolitischen Parteienstreits in Großbritannien in dieser Frage einen neuen Konsens auf der Insel herzustellen. Nachdem er zwei Jahre damit verschwendet habe, den Briten ein „überholtes Europamodell zu verkaufen“, habe er sich nun zu einem dezentralisierten, offenen Europa bekehrt, freute sich Oppositionschef Michael Howard. „Wenn diese Bekehrung echt ist, ist niemand glücklicher als ich.“ 

Die Boulevardzeitung „Sun“ sang ebenfalls ein Loblieb auf den frisch gebackenen „Euroskeptiker Blair“: „Großbritannien kann wirklich im Herzen Europas sein, wenn es die Reformen durchsetzt, die Europa aus seiner wirtschaftlichen Zwangsjacke befreien.“

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