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Blairs Rücktritt: Pressestimmen

Nachdem Tony Blair seinen Rücktritt für den 27. Juni 2007 angekündigt hat, äußert sich die internationale Presse zu Blairs Amtszeit.

Großbritannien, The Independent

London - "Tony Blair lässt Großbritannien als ein verändertes Land zurück. Es ist toleranter, sozialer und ethnisch stärker durchmischt, und es ist in jeder Beziehung offener als es vor zehn Jahren war. Es ist auch ungleicher geworden und, leider, sozial weniger mobil als es war. Ob Blair für all das verantwortlich ist oder ob es lediglich die sich verändernden Zeiten reflektiert, kann debattiert werden. Was jedoch völlig außer Frage steht, ist seine Schuld am größten außenpolitischen Fehler der Nachkriegszeit. Die Folgewirkungen werden noch viele Jahre zu spüren sein. Das ist die tragische Grabinschrift für Tony Blairs Dekade als Premierminister."

Frankreich, La Presse de la Manche

Paris - "Tony Blair war für die Labour-Partei der Erneuerer, den sie gebraucht hat. Das war radikal. Der Einfluss der Gewerkschaften wurde zurückgestutzt, die Modernisierung fand auf allen Etagen statt, neue Köpfe tauchten auf. (...) Die alte Garde hat etwas gebrummt, doch Tony Blair, der Großbritanniens jüngster Regierungschef war, ist ein großes Kommunikationstalent, weshalb er manchmal als großer Manipulator bezeichnet wurde. Mit seinem Talent ist es ihm gelungen, neue Wege zu eröffnen und dafür die britischen Wähler zu gewinnen."

Frankreich, Libération

Paris - "Sicher, Tony Blair hinterlässt eine Bilanz der Kontraste, alles in allem sieht sie aber weit besser aus als das, was in Frankreich geleistet worden ist. Es gibt mehr Milliardäre in Großbritannien als früher, aber auch deutlich weniger Arme. Viele brauchen Unterstützung und sind dabei vom aktiven Arbeitsleben ausgeschlossen. Auf dem gut funktionierenden Arbeitsmarkt findet man jedoch leicht Arbeit. Die soziale Schere hat sich weiter geöffnet. Doch hat noch nie eine britische Regierung so viel in den öffentlichen Sektor investiert, vor allem in die Erziehung. Kurzum, Tony Blair, der Liberale, hat die (Markt-)Wirtschaft fortentwickelt und gleichzeitig die Instrumente der Solidarität verstärkt. Man kann dieses spezielle Experiment nicht einfach so kopieren. Man kann aber zumindest darüber nachdenken."

Italien, La Repubblica

Rom - "An dem Ort, an dem sein Abenteuer begann, leitet Tony Blair den Anfang vom Ende ein. Im Durham Trimdon Labour Club (...) hatten sich zahlreiche Anhänger versammelt, die ihm begeistert applaudierten und Schilder mit der Aufschrift "Thank you" in den Händen hielten. Dann erklärte der Mann, der seit zehn Jahren das Gesicht Großbritanniens ist, seinen sofortigen Rücktritt als Labour-Chef und seinen Rücktritt vom Amt des Premierministers am 27. Juni (...).

Ihm bleiben noch sieben Wochen, um zu regieren, in Erwartung, dass sein designierter Nachfolger Gordon Brown seinen Platz einnimmt. Aber die Rede, die eine Epoche abschließt, sein Abschied von den Anhängern und vom Land, - dies alles hat sich hier und jetzt abgespielt. (...) Nach einem unvergesslichen Jahrzehnt beginnt der Vorhang für Tony Blair zu fallen. Nach Bill Clinton geht ein weiterer Matador der Weltpolitik in Pension. Und nicht nur er hat einen Kloß im Hals."

Niederlande, Trouw

Den Haag - "Blair ist noch immer vollständig davon überzeugt, dass der Krieg gegen den Irak als Teil des Kampfes gegen das Böse in der Welt gerechtfertigt war. Das kostete ihn die Unterstützung der Mehrheit der Briten, die ihm diesen Fehler nie verziehen haben. Aber es wäre ungerecht, Blairs internationale Bedeutung auf seine umstrittene Rolle im Irak zu verengen. (...) Alles in allem gab es in den zurückliegenden Jahrzehnten in Europa nur wenige Politiker mit dem Elan von Tony Blair. Mit seinen 54 Jahren ist er noch lange nicht von der Weltbühne verschwunden. Und davon kann diese Welt noch großen Nutzen haben."

Schweiz, Tages-Anzeiger

Zürich - "Mit Tony Blair tritt der erfolgreichste und auch bemerkenswerteste Politiker Europas des vergangenen Jahrzehnts ab. Bei all den Verdiensten, die dieser herausragende britische Premier vorzuweisen hat: Er war in erster Linie ein Hoffnungsträger, ein politisches Wunderkind (...). Mit ihm schien endlich die neue Ära anzubrechen, die sich mit dem Ende des Ost-West-Konflikts angekündigt hatte. (...) Doch mit der Zeit erhärtete sich, dass der 'Dritte Weg' letztlich nur aus neoliberaler Wirtschaftspolitik unter einem Labour-Etikett bestand. Die Absage an jede Ideologie führte zu einer Beliebigkeit und einem Pragmatismus im täglichen Politgeschäft, die sich schließlich als reiner Opportunismus zum Machterhalt entlarvten."

Bulgarien, Dnewnik

Sofia - "Anthony Blair, bequemer und mit einem PR-Effekt auf Tony Blair verkürzt, nimmt bereits einen Platz in der noblen Gruppe der britischen Premiers ein, die länger als zehn Jahre regiert haben. Über diese unbestreitbare Mitgliedschaft hinaus bleiben aber Fragen offen: Erhielt er diesen Platz als Folge eines individuellen politischen Stils des Widerstands oder eines authentischen und überlieferten Ideengerüsts wegen, das von den Konservativen geerbt wurde? Oder erhielt er ihn einfach mit virtuosen politischen Sprüngen zur Tagesordnung. (...) Anthony Blair vereinbarte alle drei Elemente."

Ungarn, Nepszbadsag

Budapest - "... Seinem Beispiel folgend erscheinen auf der politischen Bühne die Blair-Klons, die der Reihe nach eine Rolle für die Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert suchen. Leicht haben sie es nicht. Sie wollen auf eine Weise links sein, wie es der jetzt abtretende Politiker war: mit einer liberalen Wirtschaftspolitik und ideologiefrei. Eine gewisse soziale Anschauungsweise und einige kulturelle Duftmarken behalten sie bei. Noch ist dies auf dem europäischen politischen Markt eine gefragte Ware. Die wirksamsten Elemente aus Blairs Erbe sind das politische Marketing, der Starkult, die streng befolgte Ideologielosigkeit, das strikte Verbot jeglichen gesellschaftlichen Zukunftsbildes." (tso/dpa/AFP)

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