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"Der Euro war von Beginn an ein Fehler", sagt Börsenmakler Dirk Müller.

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Börsenmakler Dirk Müller: "Der Euro war von Beginn an ein Fehler"

"Mister Dax" wird Börsenmakler Dirk Müller in Finanzkreisen genannt. Ein Gespräch über wirtschaftlichen Selbstmord, amerikanische Angriffe auf den Euro und das Versagen der Politik.

Herr Müller, was ist gefährlicher: Die ökonomische Krise in Griechenland oder die nun akute politische Krise?

Das geht alles Hand in Hand. Was wir derzeit in ganz Europa erleben, ist nichts als Wahnsinn. Die Politik ist nur noch dabei, das Chaos zu verwalten und zu versuchen, die nächsten Tage zu überstehen. Eine Idee, wie es tatsächlich weitergehen kann, hat niemand mehr. 

Woran liegt das?

Wir haben es momentan mit zwei großen Baustellen zu tun. Die erste ist der Euro. Der war von Beginn an ein Fehler, denn man kann keine einheitliche Währung über verschiedene Nationalstaaten stülpen und glauben, dass das gut geht. Im Gegenteil: So etwas lässt Zerreißkräfte entstehen.

Sind wir denn nicht bisher mit dem Euro ganz gut gefahren?

Wenige Exportunternehmen ja, aber der Masse der Bürger wurde mit einer zu schwachen Währung für ihre Leistung bezahlt. Das fehlt uns als Binnennachfrage. Der Euro ist auch für Griechenland die falsche Währung, weil er zu stark ist für eine viel zu schwache wirtschaftliche Kraft. Das freut die Bürger, weil sie eine viel höhere Kaufkraft besitzen als sie eigentlich hätten. Finanziert wird das ganze aber auf Pump. Und wir in Deutschland haben eigentlich eine viel zu schwache Währung, weil sie wiederum an der Schwäche der Griechen hängt. Wir werfen den Chinesen vor, sie würden ihre Währung künstlich schwach halten, aber wir machen letztlich genau dasselbe, um unsere Exportquote so hoch zu halten.

Und die zweite Baustelle?

Die hängt letztlich mit dem eben beschriebenen Problem zusammen: das ist die Schuldenkrise. Und die ist kein europäisches Problem, sondern ein internationales. Jeder OECD-Staat ist viel zu hoch verschuldet, weil es eine systemimmanente Schuldenspirale gibt. Denn unser Geld ist letztlich ein Schuldensystem. Wir häufen immer mehr Geld durch immer mehr Kredite an. Und das Perfide ist: Immer weniger Menschen sammeln immer mehr Geld an, was von der Masse finanziert wird. Und da ist es egal, ob die Schulden beim Staat angehäuft werden, in Privathaushalten oder in Unternehmen – am Ende zahlt die Masse: entweder über Steuern, über Zinsen für Privatkredite oder über hohe Preise.

Haben Sie Zahlen, die das belegen?

In Deutschland haben wir ein Geldvermögen von rund fünf Billionen Euro. Zwei Drittel davon sind in der Hand von zehn Prozent der reichsten Deutschen. Über die Hälfte partizipiert nicht am Reichtum. Weltweit besitzen acht Prozent der Reichsten 87 Prozent des Vermögens. Und diese Dynamik wird immer rasanter. Man muss immer schneller arbeiten, um immer höhere Erträge zu erwirtschaften. Irgendwann aber kommt der Kollaps, dann gibt es einen Reset, eine Neuordnung der Schulden und alles geht wieder von vorne los.

Was heißt Neuordnung der Schulden?

Das kann entweder ein Schuldenschnitt, eine steuerlicher Zwangsausgleich zwischen Vermögenden und Schuldnern oder eben der beliebteste Weg eine hohe Inflationsrate sein.

So gesehen ist es doch ein stabiles System?

Nein, denn das ist keine geradlinige Entwicklung, sondern exponentiell. Es geht immer schneller und irgendwann kommt der Crash. Das ist nicht unendlich weiter so machbar.

Und wie soll man da rauskommen?

Es gibt keinen Königsweg. Den letzten Schnitt hatten wir in Deutschland vor sechzig Jahren, und danach folgte das Wirtschaftswunder. Denn alles erwirtschaftete Geld wurde direkt in den Wirtschaftskreislauf reinvestiert. Doch irgendwann bekommen Kredite und Zinszahlungen immer mehr Gewicht und dann kehrt sich das Verhältnis um.

Warum Angriffe auch Angriffe aus Amerika hinter der Schuldenkrise stecken, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Börsenmakler Dirk Müller - besser bekannt als "Mister Dax".
Börsenmakler Dirk Müller - besser bekannt als "Mister Dax".

© dpa

Also brauchen wir ein strenges Spardiktat in Griechenland und in Europa insgesamt?

Wir brauchen große strukturelle Anpassungen in den europäischen Staaten aber diese müssen langfristig vorgenommen werden. Die brutalen Sparmaßnahmen in die Krise hinein führen nach allen Erfahrungen in die Katastrophe. Für Griechenland war das von der europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds aufgelegte Sparpaket wirtschaftlicher Selbstmord. Denn gerade wir in Deutschland wissen doch aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, was passiert, wenn man in der Krise spart. Auch der Marschall-Plan nach dem Krieg war kein Sparpaket. Man hätte Griechenland gleich vor zwei Jahren vom Kapitalmarkt abkoppeln müssen und eine Art Marschallplan auflegen sollen, das wäre eine wesentlich günstigere Variante gewesen.

Was kann in der akuten Krise für Griechenland getan werden?

Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder, das Land verlässt den Euro oder wir schaffen schnellstmöglich eine politische Union, eine Art Vereinigte Staaten von Europa. Aber auch dazu werden über Jahre hohe Milliardensummen nötig sein, um das Land wirtschaftlich wieder aufzubauen. Wir haben diesbezüglich mit der Wiedervereinigung unsere Erfahrung gesammelt.

Aber glauben Sie im Ernst, dass ein französischer oder deutscher Politiker die Bevölkerung für Milliarden-Garantien für Griechenland hätte begeistern können, ohne eine Gegenleistung zu verlangen?

Doch, es hätte eine Gegenleistung gegeben: die Abgabe von Kompetenzen an Brüssel.

Auch US-Präsident Barack Obama macht sich Sorgen. Können Sie diese Sorge, die Krise könnte nach Amerika überschwappen, nachvollziehen?

Das ist Quatsch. Im Gegenteil. Von dort kommt die Krise. Das Platzen der amerikanischen Immobilienblase ist ein Grund für die aktuelle Krise. Dadurch mussten sich auch die europäischen Staaten bis zum Hals verschulden, um ihre Banken zu retten. Gleichzeitig ist Amerika so stark verschuldet, dass mittlerweile 46 Millionen Amerikaner nur noch von Essensmarken leben, dass die Menschen dort auf die Straße gehen und ihren Optimismus verlieren. Die USA haben schlicht kein Interesse an einem starken Euro und einem starken Europa.

Dann kommt der Internationale Währungsfonds als Finanzfeuerwehr doch genau richtig?

Nein. Jetzt haben sich die Europäer genau den ins Boot geholt, der die Angriffe auf dem Finanzmarkt initiiert hat: die USA. Denn die dominieren den IWF.

Sie sprechen von Angriffen. Begeben wir uns da in den Bereich der Verschwörungstheorien?

Nein. Man darf sich das nicht so vorstellen, dass es da eine dunkle Macht gebe, die sich zusammenrottet und dann den Angriff startet. Aber es gibt ein heterogenes Geflecht aus Wall Street und Politik in den USA. Darunter gibt es ungefähr 200 einflussreiche Familien und Unternehmen, die im Prinzip alle unterschiedliche Interessen haben, aber ein gemeinsames geopolitisches Ziel: die amerikanische Vormachtstellung zu erhalten und auszubauen. Eine unangefochtene amerikanische Weltleitwährung gehört hier dazu. Kaum jemand kann sich daran erinnern, dass es noch vor einigen Jahren so aussah, als würde der Euro den Dollar als Leitwährung ablösen. Genau dagegen sind amerikanische Spekulanten aktiv geworden, indem sie die Schwachstellen im europäischen System angegriffen haben.

Welche sind das?

Europa hat eine gemeinsame Währungspolitik, aber die Staaten verfolgen jeweils eine ganz eigene Wirtschaftspolitik, sei es bei der Verschuldung, der Konjunktur oder der Steuerpolitik. Dazu kommen die starken Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eurostaaten. Das konnten die Gegner unserer Währung sich zunutze machen.

Ein düsteres Bild. Gibt es denn etwas, das ihnen Hoffnung macht?

Ja, die Vergangenheit. Denn in Krisenzeiten wie diesen war es immer so, dass notwendige politische Entwicklungen schneller vorangingen. Was in Aufschwungzeiten unmöglich erscheint, geht in Krisenzeiten plötzlich.

Und was soll das jetzt sein?

Die Schaffung einer politischen Einheit in Europa. Nur muss das jetzt schnell gehen. Denn die Griechenland-Krise kann ganz schnell andere Staaten anstecken und zu einem Flächenbrand werden. Europa muss nachholen, woran es in der Vergangenheit immer wieder gescheitert ist: Es muss zu einem föderalen System zusammenwachsen, mit starken nationalen Staaten, aber einem einheitlichen Steuer- und Wirtschaftssystem. Nur dann kann Europa auch gegenüber den USA als Einheit auftreten.

Mit dem Euro?

Es wäre sinnvoller, zu den nationalen Währungen zurückzukehren, eine politische Einheit zu schaffen und dann eine gemeinsame Währung ins Leben zu rufen. Aber der Euro ist nun einmal vor dieser Entwicklung geschaffen worden, und deshalb muss man diese Entwicklung jetzt nachholen.

Dirk Müller ist Makler an der Frankfurter Börse und Herausgeber der Internetplattform "Cashkurs". In der Finanzkrise wurde er als "Mister Dax" bekannt. Mit ihm sprach Christian Tretbar.

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