zum Hauptinhalt

Politik: Brechmittelgabe in Bremen – mutmaßlicher Drogendealer tot

Zum zweiten Mal in drei Jahren ist ein mutmaßlicher Drogenhändler ums Leben gekommen, nachdem ihm ein Arzt ein Brechmittel verabreicht hatte. Das Opfer ist diesmal ein 35-jähriger Mann in Bremen.

Zum zweiten Mal in drei Jahren ist ein mutmaßlicher Drogenhändler ums Leben gekommen, nachdem ihm ein Arzt ein Brechmittel verabreicht hatte. Das Opfer ist diesmal ein 35-jähriger Mann in Bremen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft starb er am Freitagabend. Bereits Ende 2001 war ein 19-Jähriger in Hamburg nach einem Brechmitteleinsatz gestorben. Die Bremer Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt wegen fahrlässiger Tötung, wie ein Behördensprecher dem Tagesspiegel am Sonntag sagte.

Der mutmaßliche Straßendealer hatte Ende Dezember bei einer Polizeikontrolle Kokain-Kügelchen verschluckt. Um die Kapseln als Beweismittel sicherzustellen, ließ die Polizei ihm von einem Vertragsarzt auf der Wache einen Brechsirup und Wasser durch einen Schlauch in den Magen einflößen. Daraufhin kollabierte der Mann und fiel ins Koma.

Ein hinzugezogener Notarzt erhob nach dem Einsatz schwere Vorwürfe gegen den Polizeivertragsarzt: Dieser habe literweise Wasser in den Magen gespült, das dann in die Lunge geraten sei und einen „wahrscheinlich zum Tode führenden Hirnschaden“ bewirkt habe. Die nötige künstliche Beatmung sei erst „nach relativ langer Zeit“ geglückt, da immer wieder „Unmengen von Wasser“ aus Speise- und Luftröhre den Rachen gefüllt hätten. Auf das Einsatzprotokoll schrieb der Notarzt: „Erstdiagnose Ertrinken“. Die Staatsanwaltschaft ermittelt aber nicht nur gegen den Polizeiauftragsarzt, sondern auch gegen den Notarzt. Vielleicht habe auch er Fehler gemacht, deutete Staatsanwalt Frank Passade im Gespräch mit dem Tagesspiegel am Sonntag an. Die in Bremen und einzelnen anderen Bundesländern praktizierte Brechmittelvergabe ist auf heftige Kritik gestoßen. Amnesty international und die Internationale Liga für Menschenrechte nannten die Zwangsvergabe menschenunwürdig und unverhältnismäßig. 20 Bremer, Hamburger und Oldenburger Jura-Professoren und andere Wissenschaftler erinnerten an das Urteil im Frankfurter Folterandrohungsprozess, wonach selbst schwere Verbrechen keine Misshandlung von Verdächtigen rechtfertigten. Der Brechmitteleinsatz richte sich aber meist nur gegen Kleindealer. Mit Rücksicht auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel verzichten einige Bundesländer wie auch das CSU-regierte Bayern auf die Zwangsvergabe von Brechmitteln.

Die Gewerkschaft der Polizei in Bremen und Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) verteidigten dagegen die Methode, die seit 1992 allein in Bremen rund tausendmal angewandt wurde. Sie werde jetzt zwar bis zur Aufklärung des „tragischen Einzelfalles“ ausgesetzt, sagte Jurist Röwekamp noch vor der Todesnachricht. Doch sei sie grundsätzlich unverzichtbar im Kampf gegen die „Schwerstverbrecher“, die nun mal mit „körperlichen Nachteilen“ rechnen müssten, erklärte der Innensenator.

Laut Strafprozessordnung sind körperliche Eingriffe bei einem Beschuldigten nur zulässig, „wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist“. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft gilt der Straßenhandel mit Drogen meist nur als Vergehen und nicht als Verbrechen, so auch in diesem Fall. Die von dem 35-Jährigen erbrochene Kokainmenge liege im Grammbereich. Die Bremer Grünen wollen nach einer Anhörung entscheiden, ob sie einen Misstrauensantrag gegen Röwekamp stellen. Auch der Koalitionspartner SPD ging auf Distanz zu Röwekamp, nahm ihn aber – ebenso wie die CDU – gegen Rücktrittsforderungen in Schutz.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false