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Bremen: Alles hängt an einer Stimme

Bremer Rechtspopulisten fechten die Landtagswahl vom letzten Jahr an. Ihnen fehlte eine Stimme, um ins Parlament einzuziehen. Mit gerichtlicher Hilfe erzwangen sie Einsicht in die Wahlunterlagen – und wurden fündig.

Bremen - „Was zählt schon meine Stimme?“, fragen sich viele Bürger und bleiben an Wahltagen lieber zu Hause. Dass es manchmal doch auf eine einzelne Stimme ankommt, zeigt ein Wahlprüfungsverfahren, das derzeit vor dem Bremer Staatsgerichtshof läuft. Dabei geht es um die jüngste Wahl zur Bürgerschaft, also zum Landtag des kleinsten Bundeslandes, das aus Bremen und Bremerhaven besteht. An jenem 13. Mai 2007 fehlte der rechtspopulistischen Wählervereinigung „Bürger in Wut“ (BIW) nur eine Stimme, um in Bremerhaven die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen und somit einen Abgeordneten ins Landesparlament entsenden zu können. Die BIW, die lediglich in Bremerhaven angetreten war, schaffte dort genau 4,9981955 Prozent, wie der Gerichtshof präzise ausgerechnet hat.

Damit wollten sich die Wut-Bürger nicht abfinden. Mit gerichtlicher Hilfe erzwangen sie Einsicht in die Wahlunterlagen – und wurden fündig. So gab es in einem Wahlbezirk rechnerische Unstimmigkeiten; deshalb stopfte die Wahllokalvorsteherin die Zettel einfach unversiegelt in einen Rucksack und radelte damit zwecks Neuauszählung in die zentrale Wahlbehörde.

So geht es nicht, befand im November 2007 ein Wahlprüfungsgericht erster Instanz und ordnete an, alle Stimmzettel in Bremerhaven neu auszuzählen. Doch das war der BIW zu wenig: Durch bloßes Zählen ließen sich manche Fehler nicht mehr heilen. Zum Beispiel habe ein BIW-Anhänger nicht mitwählen dürfen, weil er versehentlich aus dem Melderegister gestrichen worden war.

Jedenfalls rief die Vereinigung als nächste Instanz den Bremer Staatsgerichtshof an. Ihr Ziel: Neuwahlen. In einem Zwischenbeschluss ordnete das Gericht zunächst eine öffentliche Neuauszählung in zwei Wahlbezirken an. Vielleicht findet sich schon dabei die entscheidende zusätzliche Stimme für die BIW. Noch nicht geklärt haben die Richter, wie sie auf den Rucksacktransport reagieren wollen. Hier wäre eine Neuwahl in nur diesem einen Wahlbezirk denkbar, wie der Tagesspiegel aus Justizkreisen erfuhr. Darüber entscheidet das Gericht aber frühestens im Mai.

Falls die „Bürger in Wut“ doch noch ins Bremer Landesparlament einziehen, würden sie die rot-grüne Mehrheit nicht gefährden, aber die Debatten noch umständlicher machen. Schon jetzt sitzen dort fünf Fraktionen und ein Einzelabgeordneter.

Neben dem Staatsgerichtshof beschäftigt sich übrigens auch die Staatsanwaltschaft mit der BIW: Sie ermittelt gegen Spitzenkandidat Jan Timke und die Listenzweite Annefriede Laue wegen des Verdachts der Wahlfälschung. Sie sollen nur zum Schein ihren ersten Wohnsitz in Bremerhaven angemeldet haben, obwohl sie in Wirklichkeit ihren Lebensmittelpunkt woanders gehabt hätten – Laue in Bremen und Timke als Bundespolizist in Berlin.Eckhard Stengel

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