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Eine Lehre aus dem Brexit: das EU-Parlament stärken.

© Vincent Kessler/Reuters

Brexit und die Folgen: Europa muss jetzt wirklich demokratisch werden

Der Brexit ist eine historische Niederlage, von der eine große Gefahr ausgeht. Es gilt, so viel Gemeinsamkeit wie möglich zu erhalten - und aus den Fehlern zu lernen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Vorbei, ein dummes Wort? Hier irrte Goethe, ausnahmsweise. Denn vorbei ist nach der Brexit-Entscheidung so viel. Die Vorstellung vor allem, dass es schon irgendwie immer gutgehen wird mit Europa, dass alle gleichsam von selbst verstehen, wie wichtig dieses Projekt ist. Die Jahrzehnte des Friedens und der friedlichen Entwicklung aufeinander zu, über alles Trennende hinweg – in einer Nacht offenbart sich als Illusion, was Kern des europäischen Gedankens zu sein schien. Dabei zeigt sich jetzt, dass Europa die demokratische Seele fehlt und damit der Glaube schöner Götterfunken.

Vorbei, kein dummes Wort. Nun, das ist hier kein Nachruf, noch nicht – es ist, nach allem, was geschehen ist, vorerst ein letzter Warnruf. Einer, der die Regierungen der sechs Gründerstaaten der EU mit ihren 21 weiteren Partnern in die Pflicht nimmt. Sie müssen sich befragen, sich selbst, nicht die Bevölkerung, was sie jetzt tun wollen, um Europa zu retten. Jawohl, zu retten!

Der Brexit ist eine historische Niederlage. Sie spaltet und rührt auf. Sie bringt noch mehr die Menschen in noch mehr Ländern dazu, die europäische Staatengemeinschaft, wie sie ist, infrage zu stellen. In Ost wie West. Polen, Ungarn, Tschechen, Niederländer, Franzosen – und am Ende auch uns Deutsche? Die Gefahr ist groß. Das Beben beginnt. Wir alle können es spüren.

Dass in der Krise das Rettende sich auch findet, darf nicht nur ein Satz fürs politische Poesiealbum sein. Drum ist die Antwort auf diese Frage existenziell: wie reagieren? Ja, den Briten darf nicht signalisiert werden, dass ihr Votum keine einschneidenden Konsequenzen haben wird. Die hat es, zwangsläufig. Immerhin verlässt die fünftgrößte Ökonomie der Erde die EU, die auf diesem Weg knapp 20 Prozent ihrer Wirtschaftskraft verliert. Hunderttausende Arbeitsplätze sind damit verbunden. Der drittgrößte Nettozahler scheidet aus. Und allein für Deutschland ist Großbritannien der drittwichtigste Handelspartner. Aber deswegen ist Augenmaß in den Verhandlungen, die jetzt anstehen, ebenso zwingend.

Das Versagen des David Cameron

Es gilt, so viel Gemeinsamkeit wie möglich zu erhalten. Und das gilt trotz aller Wut und Enttäuschung über einen Regierungschef, der wie kein anderer in der großen britischen Geschichte versagt hat. Alles hat David Cameron falsch eingeschätzt, zehn Jahre gegen Europa geredet und dann doch geglaubt, in sechs Wochen dieses Votum abwenden zu können. Bizarr. Doch zumindest das sollte ein unverrückbares Erbe Britanniens für die EU der Zukunft sein – die Coolness und der Pragmatismus, aus dieser Lage heraus größer und nicht kleiner zu werden.

Die eine historische Wahrheit ist: Wer die Briten nur bestrafen will, bestraft am Ende sich. Die zweite lautet: Auch andere Regierungschefs haben versagt. Sie haben ausreichende Unterstützung versagt. Dass in den vergangenen Wochen Angela Merkel weniger um Großbritannien in der EU geworben hat, als sie die Türkei umwarb, war ein großer Fehler.

Vorbei. Jetzt muss Europa britischer werden, aber ja doch. Es muss wirklich demokratisch werden. Das Parlament muss alle Rechte eines Parlaments bekommen, muss über Einnahmen und Ausgaben entscheiden, die „Regierung“, die Kommission, wählen. Die Macht in der EU muss auf die Menschen übergehen. Denn nur dann wird sie der europäische Gedanke beseelen. Wollen wir hoffen.

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