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Ischinger

© dpa

Britischer Blick auf Deutschland: "Eine Bundeskanzlerin? Das fasziniert die Briten"

Wolfgang Ischinger ist viel herumgekommen: Von 2001 bis 2006 war er deutscher Botschafter in Washington, anschließend in London. Seit dem 1. Mai ist er der neue Leiter der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik. Im Interview erzählt Ischinger, warum er London vermissen wird und was er über deutsch-britische Beziehungen gelernt hat.

Von Markus Hesselmann

Werden Sie London vermissen?

Ja sicher. London ist für mich und ich glaube für alle Diplomaten einer der lebendigsten Plätze. Hier wird nicht nur britische Politik gemacht, sondern zum Beispiel auch viel internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. Ein faszinierender Ort.

Was wird Ihnen besonders fehlen?

Man vergleicht ja immer mit anderen eigenen Erfahrungen. Für mich bietet sich der Vergleich an zwischen London und Washington, meinem Platz zuvor. Natürlich wird die große Weltpolitik stärker in Washington gemacht. Insoweit ist das für jeden Diplomaten natürlich ideal. Auf der anderen Seite habe ich hier in London viele Gelegenheiten gehabt, Leute aus der Kunst-, Literatur- und Kulturszene zu treffen, aber auch Banker und Hedge-Funds-Manager. Das ist ja jetzt besonders wichtig angesichts der Finanzkrise der letzten Monate.

Was erwarten Sie für London vom neuen Bürgermeister Boris Johnson?

Boris Johnson wünsche ich, wie es ihm sein unterlegener Kontrahent Ken Livingstone wünscht, dass seine Amtszeit als Bürgermeister die besten Jahre seines Lebens werden, und das besonders mit Blick auf großartige Olympische Spiele in London 2012.

Welche persönliche Begegnung war besonders spannend für Sie?

Ich saß mal bei einem Abendessen neben Harold Pinter, dem Dramatiker und Nobelpreisträger. Mit diesem Mann einen Abend verbringen zu können, war für mich absolut beeindruckend. Ich hatte viel über ihn gelesen und Stücke von ihm gesehen. Mich hat berührt, dass dieser Mann das, was er durch seine Stücke rüberbringt auch tatsächlich so denkt. Wir haben an dem Abend in einem nicht so großen Kreis intensiv diskutiert, und da wurde mir klar: Er glaubt fest daran, ich habe es mit einem Überzeugungsmenschen zu tun.

Wir erleben als Diplomaten ständig Diskussionen mit Politikern und anderen Diplomaten, aber mit jemandem aus anderen Lebensbereichen zusammenzutreffen, ist ein besonderes Erlebnis. Auch mit Jens Lehmann, unserem Nationaltorwart, und seiner Familie habe ich mich gern getroffen. Ich bin aus Loyalität sogar mehrfach zu Spielen seines Vereins FC Arsenal gefahren.

Jens Lehmann hat im Interview mit dem Tagesspiegel gesagt, dass sein Sohn von einem anderen Jungen in der Schule als "bloody German Nazi" beschimpft wurde. Haben Sie in Ihrer Zeit hier von solchen Vorfällen gehört?

Solche Erlebnisse gibt es leider immer wieder. Gerade Kinder und Jugendliche berichten von solchen Vorfällen. Aber ich glaube - ich hoffe, dass ich richtig liege mit meiner Einschätzung -, dass die Dinge auf dem Weg der Besserung sind. Ich habe keine präzisen Zahlen. Aber ich vermute, wenn man eine Statistik hätte, würde man feststellen, dass die Zahl der Klagen oder die Zahl der Vorfälle in den letzten zurückgegangen ist.

Haben Sie persönlich Vorfälle erlebt?

Nein. Aber das hängt damit zusammen, dass nur eines meiner Kinder mit uns hier in London lebt und erst dreieinhalb Jahre alt ist. In dem Alter wird noch nicht zwischen Deutschen, Engländern und Russen unterschieden. Ich kenne solche Vorfälle aber aus dem Bekanntenkreis.

Warum haben sich die Verhältnisse denn insgesamt gebessert?

Ich glaube, dass sich das Bild Deutschlands in den britischen Augen in den letzten Jahren verbessert hat. Es ist in einem Fazit meiner Dienstzeit hier in London eines der erfreulichsten Phänomene, dass sich beim früher oft als miserabel beklagten Image Deutschlands doch etwas getan hat.

Woher dieser Umschwung?

Es hängt sicherlich auch mit der Fußball-WM 2006 zusammen.

Kann ein Ereignis so viel bewirken?

Sicherlich nicht allein. Aber man darf die WM nicht unterschätzen. Über etliche Wochen, auch vorher und nachher, kamen Nachrichten über Deutschland, die alle erfreulich waren. Und die englischen Fans haben das ja auch noch persönlich mitgebracht. Die WM hat bestimmt dem deutsch-britischen Verhältnis mehr Gutes getan als jede teure PR-Kampagne, die wir uns mit Hilfe der besten Profis hätten einfallen lassen können.

Woran ist das erkennbar?

Die Zahl der hässlichen Artikel in der Boulevardpresse ist dramatisch zurückgegangen. Ich musste in den zwei Jahren als Botschafter hier nicht einen einzigen Leserbrief schreiben, um mich zu beschweren.

Ihren Vorgängern ging es da anders. Deutschland wurde zu ihrem Entsetzen meist auf die Nazi-Zeit reduziert.

Meine Vorgänger haben mich auf das Schlimmste vorbereitet. "The Hun meets The Sun" (Der Hunne trift die ‚Sun', Anm. d. Red.) stand einmal über einem Interview des Boulevardblatts mit einem meiner Vorgänger. Das wird er sein Leben lang nicht vergessen.

Wie waren Ihre eigenen Erfahrungen mit der britischen Presse?

Es gab da für mich ein kleines Schlüsselerlebnis: Kurz vor der WM kam eine Interview-Anfrage von der "Sun". Der damalige Pressereferent der Botschaft sagte: Um Gottes Willen, das geht schief. Da wird dann wieder ein Hitler-Bild dazu abgedruckt. Machen Sie das nicht! Ich habe mich über den Rat hinweggesetzt, weil ich gedacht habe, beim Fußball kann es ja nicht so schlimm sein. Ein junger Sportjournalist von der "Sun" hat mich dann interviewt. Und am nächsten Tag erschien das Interview neben einem Interview mit Franz Beckenbauer. Beide Stücke waren völlig in Ordnung. Ohne Hass, ohne schreckliche Überschrift. Ich habe den Journalisten dann noch mal angerufen, mich bedankt und daran erinnert, dass ich mir ja Sorgen gemacht hatte, dass ich von seiner Zeitung als "Nazi" durch den Kakao gezogen werde. "Wissen Sie", sagte er. "Selbst bei der ‚Sun' ist dieser Witz langsam zu alt." Den Satz werde ich niemals vergessen.

Das war kurz vor der WM. Also hatte sich da bereits etwas zum Guten gewendet. Was sind die weiteren Gründe für die Verbesserung des Deutschland-Bildes der  Briten?

Ein Punkt ist die Tatsache, dass wir seit Ende 2005 eine Bundeskanzlerin hatten. Das hat die Briten fasziniert. Sie hatten immerhin zwei Jahrzehnte vorher schon eine Regierungschefin, mit der manche Briten bessere und andere Briten schlechtere Erfahrungen gemacht haben. Da war das Interesse übergroß: Was ist jetzt da mit Deutschland? Was passiert da mit einer Regierungschefin, die noch dazu aus dem Osten stammt, für viele Briten terra incognita. Was war das, diese DDR? Die Lebensgeschichte von Frau Merkel faszinierte die Briten. Hinzu kommt, dass sie dann öffentlich sehr schnell dargestellt wurde als jemand, der mit der britischen Regierung ein gutes, unkompliziertes Verhältnis entwickeln konnte. Mit dem damaligen Premierminister Blair und inzwischen auch mit dessen Nachfolger Brown. Das hat zu einer entspannteren Atmosphäre beigetragen.

Also liegt es am Fußball und an Frau Merkel …

… noch ein weiterer Punkt: Als ich herkam, herrschte weithin das Gefühl, die Deutschen brauchen wir eigentlich nicht zu respektieren. Die kriegen das ja nicht gebacken. Die sind das Schlusslicht bei den Wirtschaftsreformen in der EU. Großbritannien ist eine kapitalistische, von Händlern geprägte Nation. Da verdient der Respekt, der es schafft. Ich glaube, dass Deutschland heute wieder Respekt, gekoppelt mit Sympathie, entgegengebracht wird. Man sagt: Respekt, Respekt, die haben es tatsächlich hingekriegt.

Wir sind gute Händler für die Briten. Jetzt sollen wir auch wieder Helden sein und in Afghanistan mit der Waffe in der Hand an ihrer Seite kämpfen.

Ich verstehe, dass britische Politiker eine Lage anstreben, wo sie innenpolitisch sagen können: Wir sind nicht allein, die anderen tragen diese Last mit und werden auch angeschossen. Ich kann aber als Botschafter sagen, dass ich den Druck, der hier in Zeitungsinterviews gelegentlich nach außen getragen wird, auf mich selbst so intensiv nicht erlebt habe. Ich habe viele Gesprächspartner, egal ob aus der Verteidigungs- oder der Außenpolitik oder aus dem Parlament, die verstehen, dass die Deutschen einen überdurchschnittlich guten Beitrag leisten, der auch überdurchschnittlich erfolgreich ist. Und dass Deutschland aus historischen und innenpolitischen Gründen eben auch an Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gelangt. Dass es darüber in Großbritannien gelegentlich zu Frustrationsausbrüchen kommt, weil man das Gefühl hat, die Lastenteilung ist nicht ganz ausbalanciert, halte ich für verständlich. Aber ich finde, wir haben das bisher ganz ordentlich kanalisiert.

Gibt es gerade wegen der deutschen Geschichte so etwas wie eine spezifisch deutsche, weichere Konfliktdiplomatie?

Beim Thema Afghanistan hat sich die Diskussion im letzten Jahr in eine Richtung entwickelt, die uns sehr zugute kommt. Nämlich in die Richtung einer Prioritätensetzung, die erkennt, dass das Afghanistan-Problem nicht allein militärisch gelöst werden kann. Neben den sicherlich notwendigen militärischen Elementen müssen auch Wiederaufbauelemente, finanzielle Elemente, polizeiliche und andere Elemente einen gleichberechtigten Platz finden. Da sind die Deutschen mit vorne dran. Ich will nicht für uns beanspruchen, dass wir hier eine Modellrolle spielen, aber ich glaube schon, dass wir aufrechten Haupts gerade in der Diskussion mit unseren britischen Freunden darauf pochen können, dass wir sinnvolle Beiträge in Afghanistan erbringen und dass wir uns ja nicht der Erkenntnis verweigern, dass auch klassisches militärisches Eingreifen - leider -immer häufiger erforderlich ist. Diese Mission kann nur dann erfolgreich sein, wenn wir alle, kollektiv, nicht nur die bisherigen Leistungen aufrechterhalten, sondern sie weiter intensivieren.

Kosovo ist eine weitere gemeinsame Mission. Wie verfolgen Sie als ehemaliger Sonderbeauftragter die Entwicklung dort?

Es ist erfreulicherweise nach der Unabhängigkeit nicht zu Übergriffen auf die serbische Minderheit gekommen. Die politische Entwicklung geht in die richtige Richtung. Aber es dauert lange, bis Menschen ihr Denken verändern. Das Bauen von Straßen geht schneller. Das kann man auch aus der deutschen Wiedervereinigung lernen.

War der Schritt in die Unabhängigkeit und deren Anerkennung wirklich ohne Alternative?

Wir haben ja viele Kompromissvorschläge gemacht. Angesichts der Unmöglichkeit, eine gemeinsame Lösung zu finden, ist das, was wir als Europäer mit den USA dann beschlossen haben, nämlich Kosovo anzuerkennen, die alternativlos richtige Entscheidung gewesen. Wer hätte es denn verantworten wollen, die kosovarische Bevölkerung dem russischen Vorschlag entsprechend wieder den Serben zu unterstellen? Nachdem sie von der Milosevic-Regierung misshandelt worden war und nun acht Jahre frei von serbischer Herrschaft unter UN-Schutz gelebt hatte? Wäre das menschenrechtspolitisch, moralisch, sicherheitspolitisch vertretbar gewesen? Sicher nicht. Das wäre das Rezept gewesen für Mord und Totschlag.

Eine der Kritiken lautet, die organisierte Kriminalität habe nun einen eigenen Staat erhalten.

Natürlich ist durch die Repression und die Hoffnungslosigkeit aus der Zeit unter Slobodan Milosevic eine Situation entstanden, in der die meisten Menschen keine Chance hatten, durch einen normalen Job ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Landwirtschaft trägt auch nicht die ganze Bevölkerung.

Wo liegt der Ausweg?

Wenn es in den nächsten Jahren gelingt, Wirtschaftswachstum zu erzeugen und Arbeitsplätze zu schaffen, damit diese sehr junge Bevölkerung überhaupt Anreize entdeckt, ein normales Arbeitsverhältnis anzufangen, dann werden auch im Kosovo die Menschen ihre Zukunft in geordneten Berufen sehen. Man kann die Kosovaren selber nicht dafür verantwortlich machen, dass Jahrzehnte einer Vernachlässigungspolitik oder sogar aktiven Repressionspolitik dazu geführt haben, dass es im Kosovo solche Erwerbsmöglichkeiten nicht gab.

Sie sagen, dort gibt es nichts. Ist das nicht gerade der Grund dafür, dass ein solcher Staat nicht überlebensfähig ist?

Natürlich wären größere Gebilde erstrebenswert. Aber schauen Sie sich Montenegro an, einen von allen EU-Staaten anerkannten Staat, der von der Bevölkerung her sogar kleiner ist Größe ist nicht der Punkt, der über Überlebensfähigkeit entscheidet. Was wir brauchen in dieser Region ist ein Bewusstsein, dass über ethnische und nationale Grenzen hinweg Zusammenarbeit gesucht wird. Das kann die EU erzeugen. Auf dem Balkan hat es über Jahrhunderte hinweg viel zu viel Abgrenzung gegeben. National, ethnisch, ideologisch. Wenn uns eine Öffnung gelingt, dann haben wir einen Beitrag geleistet zur Modernisierung dieser ganzen Region, die zu Europa gehört und eine europäische Zukunft haben soll. Das hat die EU vor Jahren schon so beschlossen. Die Antriebskräfte auf dem Balkan sind genauso stark wie in anderen Teilen Europas: Man möchte Mitglied des modernen Europas werden, man möchte in die EU.

Muss es denn dann immer gleich die Unabhängigkeit sein? Den Deutschen wird zuweilen vorgeworfen, dass sie mit der schnellen Anerkennung Kroatiens und Sloweniens damals den Schlamassel auf dem Balkan mit ausgelöst haben.

Ich bestreite, dass die damalige Anerkennung eine besondere deutsche Verantwortung war und dass sie Schlimmeres auslöste. Die EU war Anfang der Neunzigerjahre noch sehr viel weniger imstande als heute, den Ausbruch einer militärischen Konfrontation zu verhindern. Man hat damals gehofft, durch die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens, die ja keineswegs von Deutschland alleine betrieben wurde, sondern von den anderen EU-Staaten mitgetragen wurde, eine Brandmauer einzuziehen. Man hat gehofft, dass Rest-Jugoslawien es dann nicht wagen würde, diese von Europa anerkannten Staaten militärisch anzugreifen. Diese Rechnung ging leider nicht auf. Aber es war ein unter den Umständen richtiger Versuch, weil es keine bessere Alternative gab.

Werden Sie mit dem genannten Vorwurf hier noch konfrontiert?

Inzwischen traut sich kaum mehr einer, mir diesen Vorwurf zu machen. Es ist eine Geschichtsklitterung, ausgerechnet dem damaligen Außenminister Genscher vorzuwerfen, Deutschland hätte Macht auf dem Balkan wiedererlangen wollen. Ich war damals ein junger Mitarbeiter Genschers und ich weiß: und das war das letzte, was die Bundesregierung anstrebte. Das Ziel war, eine militärische Eskalation zu verhindern. Zum Glück sind wir heute in einer Lage, in der die EU immerhin anbieten kann, in einer Krisensituation auch mit militärischen Kräften einzugreifen.

Sie wirken künftig nicht mehr als Diplomat, sondern als Chef der Münchner Sicherheitskonferenz an der Lösung internationaler Konflikte mit. Wie kam es zu dem Wechsel?

Ssieben Jahre am Stück im Ausland sind schön, aber lange genug. Es ist Zeit. Ich bin sehr gespannt und freue mich richtig auf die neue Aufgabe, die ich auf Vorschlag und mit Unterstützung der Bundesregierung übernehme. Die Münchner Sicherheitskonferenz ist ein bedeutendes Forum, wahrscheinlich das wichtigste, internationale Forum im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Das will ich weiter ausbauen.

Wenn Sie sich einen Gast für die Sicherheitskonferenz frei aussuchen könnten. Wer wäre das?

Angesichts der intensiven Debatte über die Zukunft der Nato und angesichts der Tatsache, dass im nächsten Jahr ein Gipfel des Bündnisses an der deutsch-französischen Grenze stattfinden soll, wäre mein Wunschredner für Februar 2009 der französische Präsident Sarkozy.

Wie fanden Sie seinen Auftritt kürzlich hier in Großbritannien?

Toll.

Ernsthaft?

Toll im Sinne von politisch eindrucksvoll.

War diese Lobhudelei nicht total übertrieben? Gerade für die Briten, das Volk der pragmatischen Händler?

Ich bin nicht dieser Meinung. Sarkozys Auftritt in Großbritannien war eindrucksvoll. Die britische Elite wurde emotional mitgenommen von jemandem, der sagte, Frankreich betrachtet Großbritannien als Modell. Die oft so zynischen Briten, die gerne Scherze über Frankreich machen, waren richtig berührt. Das allein war schon die Reise des Präsidenten wert.

Welche Auswirkungen für Deutschland hat diese neu entflammte Liebe zwischen Briten und Franzosen?

Der Besuch hat uns Deutschen keinen Grund zur Sorge gegeben. Im Gegenteil: Je enger die britisch-französische Zusammenarbeit, desto leichter wird für Deutschland der klassische Spagat, den wir seit den Tagen Konrad Adenauers zwischen Atlantikern und Gaullisten machen mussten. Wenn mit britischer Hilfe auch in Amerika die französische Rückkehr in die NATO begrüßt wird, dann haben wir das Problem der Sonderrolle Frankreichs überwunden Deutschland sah sich der engen deutsch-französischen Zusammenarbeit, aber gleichzeitig auch der tiefen Verantwortung Deutschlands in der NATO verpflichtet. Dieses Problem hat uns vierzig Jahr lang viel Schweiß gekostet. Seine Lösung wäre ein großer Fortschritt. Ich habe in dem Sarkozy-Besuch nicht ein einziges Element gesehen, das uns Anlass zur Sorge geben müsste. Ich glaube, das hat man in Berlin, im Bundeskanzleramt und im Auswärtigen Amt, genauso gesehen.

Neben ihrer Arbeit bei der Sicherheitskonferenz übernehmen Sie künftig eine Aufgabe im Versicherungskonzern Allianz. Wie kam es zum Wechsel aus der Diplomatie in die Privatwirtschaft?

Nach über 30 Jahren im öffentlichen Dienst freue ich mich, meine Erfahrung in ein großes internationales Unternehmen einbringen zu können. In anderen Staaten - etwa in USA, Frankreich und Großbritannien - ist der Wechsel zwischen Regierungsarbeit und Wirtschaft und zurück etwas völlig selbstverständliches. Es ist gut, wenn die trennende Mauer auch in Deutschland niedriger wird.

Welche Tipps haben Sie für Ihren Nachfolger in London?

Ratschläge werde ich ihm sicher nicht öffentlich erteilen. Aber zwei Punkte gebe ich immer an alle Neuankömmlinge in London: . Botschafter am Hofe von St. James's ist nicht nur Botschafter in London. Es gehören auch Schottland, Nordirland und Wales dazu. Man entdeckt da erhebliche Unterschiede, zum Beispiel in der positiveren Einstellung der Schotten gegenüber der EU. Der zweite Punkt ist, dass man in London als Diplomat nicht nur Außenpolitik machen kann, sondern dass London so unglaublich viel mehr bietet. Beispiel internationale Finanzmärkte. In Washington musste ich dafür nach New York fliegen. In London sind alle wichtigen Führungsfiguren aus allen Sparten nicht weiter voneinander weg, als wenige Kilometer. Und alle reden ständig mit allen. Das ist ein ideales Spielfeld, deshalb ist die "City" auch so erfolgreich.

Wie ist es, wenn man dann als Nächstes nach München muss?

Ich freue mich auf sehr auf München, aber ich werde viel Zeit in Berlin verbringen. Ich ziehe mit meiner Familie zurück nach Berlin, wir haben uns bis 2001 dort sehr wohl gefühlt und haben uns letzte Woche ein Häuschen in Berlin gemietet. Ich werde pendeln und auch sonst viel unterwegs sein.

Die Fragen stellte Markus Hesselmann.

Wolfgang Ischinger (62) war von 2001 bis 2006 deutscher Botschafter in Washington. Danach war er bis vor kurzem in der gleichen Position in London tätig. Bei den Kosovo-Verhandlungen der amerikanisch-russisch-europäischen Troika repräsentierte Ischinger die Europäische Union. Als Nachfolger von Horst Teltschik ist er seit dem 1. Mai der neue Leiter der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik. Die Konferenz findet das nächste Mal im Februar 2009 statt.

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