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Verena Becker.

© AFP

Buback-Prozess: Das Orakel einer Terroristin

Wie die frühere RAF-Terroristin Verena Becker denkt und fühlt, erfährt man durch ihre Aufzeichnungen, die Ermittler bei einer Wohnungsdurchsuchung fanden. Die Notizen hängen eng mit einem chinesischen Orakel zusammen, das Becker immer wieder befragt hat.

Berlin - Sie hat die Unauffälligkeit zum Prinzip gemacht, und so verhält sie sich auch vor Gericht. Die frühere RAF-Terroristin Verena Becker wird wohl auch bei ihrem Prozesstermin vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht an diesem Donnerstag nichts zum Vorwurf der Mittäterschaft am Mordanschlag auf den ehemaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback und zwei Begleiter sagen. So hat sie es immer gehalten, nach dem Anschlag von 1977 und danach, so hat sie gelebt, seit sie 1989, nach zwölfeinhalb Jahren Haft, entlassen worden ist, unauffällig und verschwiegen.

So wussten auch die wenigsten Menschen in ihrer Umgebung, wer da im selben Villenviertel im Berliner Süden zurückgezogen lebte – bis Becker im August 2009 in U-Haft genommen wurde. Seitdem ist zwar bekannt, dass Verena Becker bei ihrer Schwester untergekommen ist, mehr aber nicht. Kaum ein Nachbar kennt sie – eine freundlich grüßende ältere Frau mit gebeugtem Gang, die nur zu belanglosen Worten bereit ist: Mehr ist über Verena Becker kaum zu erfahren.

Wie sie denkt und fühlt, erfährt man durch ihre Notizen und Aufzeichnungen, die Ermittler am 20. August 2009 bei einer Wohnungsdurchsuchung gefunden haben. Aufschlussreiche Notizen, aus Sicht der Bundesanwaltschaft. So aufschlussreich, dass sie Becker auch wegen der Aufzeichnungen für eine Mittäterin hält. Die Notizen hängen eng mit einem chinesischen Orakel, dem 5000 Jahre alten Konzept I Ging („Buch der Wandlung“) zusammen, das Becker immer wieder befragt hat. Am 22. März 2009 zum Beispiel: „Ist es wichtig zu ergründen, warum die Geschichte zu mir gekommen ist? Weil es noch etwas von mir zu begleichen gilt?“ Und: „Ist es etwas, was ich ihnen geben kann? Ist es mein Täterwissen?“. Zudem fanden die Ermittler auf der Festplatte ihres Laptops einen Ordner mit der Bezeichnung „Schatten der Vergangenheit“. Er enthielt neun Dateien mit Bezug zum Buback-Attentat.

Kriminaltechniker hatten Beckers DNA-Spuren an einem Bekennerschreiben zum Attentat gefunden. Dazu schrieb Becker: „Weil ich dadurch noch mehr mit dem Anschlag identifiziert werde?“ Am 12. Mai 2008 flehte sie: „Bitte hilf mir die Schatten der Vergangenheit zu verstehen.“ Als Antwort kam auch der Satz: „Dazu ist es notwendig, seine Reue kundzutun und sich zu seinen Fehlern offen zu bekennen.“ Das war aber wohl nicht im Sinne der Ex-RAF-Frau. Sie kommentierte: „Nein, dieser Wunsch bringt so offensichtlich nichts.“ Für Becker sind die Aufzeichnungen dagegen nur Teile ihres spirituellen Wegs, auf dem sie sich mit dem Attentat auseinandersetze.

Diese unscheinbare Frau hielt Kontakt zu früheren RAF-Mitgliedern. Mit Rolf Heißler und Brigitte Mohnhaupt traf sie sich im April 2007 in Mannheim, dort wurde, vermutet die Bundesanwaltschaft, eine Strategie entwickelt, wie sich Ex-RAF-Mitglieder in Bezug auf das Attentat verhalten wollen. Auch Sieglinde Hoffmann hatte Becker mal getroffen.

Und in einer I-Ging-Befragung schrieb sie: „Ich nehme mit Stefan Kontakt auf und vermittle ihm, dass ich nichts tun werde, was im ihm schaden könnte, im Gegenteil.“ Gemeint ist wohl Stefan Wisniewski. Das Ex-RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock hatte Wisniewski als wahrscheinlichen Todesschützen benannt. Interessant ist dabei: Laut einem Auswertungsbericht des Verfassungsschutzes hat wohl Becker ebenfalls Wisnieweski als unmittelbaren Mörder bezeichnet. In Wirklichkeit, jedenfalls laut des Wortprotokolls des Gesprächs mit dem Verfassungsschutz, ist das aber nie geschehen.

Kein Wunder, dass ihre Tatbeteiligung Gegenstand wilder – gegensätzlicher – Theorien ist. Einer, der sie von früher kennt, hält sie für die Schützin; für die Person, die auf dem Sozius des Motorrads saß – eine Heckler & Koch 43 in der Hand. Becker habe nicht allein den Umgang mit dem Schnellfeuergewehr gelernt, sie habe diese Tat sogar begehen müssen, lautet diese These: Im Frühjahr 1977 habe sie in der RAF-Hierarchie so weit oben gestanden, dass Befehle der in Stammheim einsitzenden RAF-Führung sozusagen von ihr auszuführen waren.

Die Gegenthese hat jüngst Wolfgang Steinke vertreten, ein Ex-Abteilungsleiter des Bundeskriminalamts. Er erinnert daran, dass Becker bei ihrer Verhaftung einen am Boden liegenden Polizisten verfehlt habe. Steinke schrieb in einem Leserbrief: „Wer auf drei Meter Entfernung einen Menschen nicht trifft, war wohl kaum in der Lage, mehr als ein Dutzend Schüsse aus der Mordwaffe abzugeben, die selbst bei Einzelfeuer nicht leicht zu handhaben ist.“ Tatsächlich ist nicht geklärt, ob Becker körperlich in der Lage war, mit der Heckler & Koch umzugehen.

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