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Bittere Armut. Eine Bettlerin in Bulgariens Hauptstadt Sofia

© AFP

Bulgarien vor den Wahlen: Der Protest bekommt in Sofia eine Stimme

Der Wahlkampf in Bulgarien beginnt, Korruption wird zentrales Wahlkampfthema sein. Die Partei von Ex-Regierungschef Borrisow gerät in die Defensive..

Christo Stoitschkow ist es nicht gewohnt, abgewiesen zu werden. Doch als Europas Fußballer des Jahres 1994 vor einigen Tagen in Sofias Universität Kliment Ohridski im Kreise von Studenten über Bulgariens politische Zukunft diskutieren wollte, wurde ihm dies verwehrt. „Wir wollen in dieser nervösen Zeit das Territorium der Universität schützen und fernhalten von politischen Kämpfen“, erklärte ihm Universitätsrektor Ivan Iltschev. Und gab so der anstehenden Auseinandersetzung um die neuen politischen Mehrheiten im Land eine unerwartete Wendung. Stoitschkow war von Studenten gebeten worden, ihrer neu gegründeten Bewegung Orlov Most (Adlerbrücke) als Galionsfigur vorzustehen. „Ich stelle mich hinter die Causa junger Leute, die sich entwickeln wollen“, nahm Bulgariens lebende Fußball-Legende seine patriarchalische Führungsrolle dankend an.

Bei der Weltmeisterschaft 1994 in den USA hat Stoitschkow mit seinem Tor Deutschland aus dem Turnier gekickt, jetzt aber halten ihn viele für involviert in ein von dem mit ihm befreundeten Ex-Ministerpräsidenten Bojko Borissow inszeniertes Polit-Manöver. Schließlich waren die Studenten, die Stoitschkow zu ihrem Führer erwählten, bei den landesweiten Protestdemonstrationen der vergangenen Wochen überhaupt nicht in Erscheinung getreten. Nun plötzlich verkündeten sie, unter Führung von Stoitschkow die zersplitterte nationale Protestbewegung einen zu wollen. Borissows Partei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) versuche, die Protestbewegung durch die Schaffung einer künstlichen Opposition zu usurpieren, um den authentischen Vertretern des Protestes bei den Wahlen Stimmen streitig zu machen, argwöhnen prominente Organisatoren der Proteste.

Nach der Bildung einer Übergangsregierung und dem Festsetzen des Wahltermins auf den 12. Mai haben die zuvor täglichen Massenproteste in den Straßen von Bulgariens Hauptstadt Sofia und anderer Großstädte deutlich nachgelassen. Dies mag damit zu tun haben, dass die Übergangsregierung ein Sozialpaket im Wert von 40,9 Millionen Lewa (rund 20 Millionen Euro) billigte, das zum Beispiel an Mütter von Kleinkindern und an Familien mit behinderten Kindern gehen soll – insgesamt rund 100 000 Bedürftige. Vor allem aber: Allerorts sind die Protestorganisatoren damit beschäftigt, Strukturen aufzubauen und Kandidaten zu benennen, um an den Parlamentswahlen teilnehmen zu können.

Die Rekordzahl von 71 Parteien und Gruppierungen haben sich fristgerecht bei der Zentralen Wahlkommission in das Wahlregister eintragen lassen. Eine davon ist die Demokratische Bürgerinitiative, die tatsächlich als organisch aus der Sofioter Protestbewegung hervorgegangen gilt. Die für sie kandidierende 28-jährige Studentin Ioana Ivanova schließt eine Koalition mit etablierten Parteien aus, hält aber ein Zusammengehen mit anderen Protestparteien für sinnvoll: „Natürlich ist das möglich. Wir haben gemeinsam protestiert und gemeinsam wird es uns möglich sein, den Willen der Menschen in das Parlament zu bringen“, sagte sie der Tageszeitung „Trud“. Das Wählerpotenzial der Protestierenden wird von dem Statistikprofessor Michail Konstantinov auf 15 Prozent geschätzt. „Wenn sie aber nicht einheitlich auftreten und beispielsweise vier Protestparteien untereinander konkurrieren, können sie auch scheitern“, warnt er.

Ex-Landwirtschaftsminister Miroslav Naidenov, auf der Liste der bisherigen Regierungspartei GERB eigentlich gesetzt, zog seine Kandidatur zurück. Er sieht sich mit einer Anklage wegen Bestechung, Nötigung und Amtsmissbrauchs konfrontiert und ist nur gegen eine Kaution auf freiem Fuß. Als Minister soll Naidenov 2010 einem Untergebenen rund 100 000 Euro angeboten haben, damit dieser bei einer Amtsentscheidung eine befreundete Firma begünstige. „Ich möchte die Ermittlungen nicht durch eine künftige Abgeordneten-Immunität behindern“, begründete Naidenov seinen Rückzug. Die Wahlchancen von Ex-Ministerpräsident Borissow, die GERB als Antikorruptionspartei zu profilieren, dürften durch die Affäre gesunken sein.

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