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Aydan Özoguz ist Staatsministerin im Kanzleramt. Forscher meinen: Sie sollte eine richtige Ministerin werden.

© Thilo Rückeis

Migrationspolitik: Bundesministerium für Sensibilisierung

Ein eigenes Ressort für Zuwanderung und Integration? Verwaltungsexperten der Universität Kiel halten die Idee für politisch schwer durchsetzbar. Trotzdem sind sie dafür.

Ein Bundesministerium für Einwanderungsfragen wird es in Deutschland in absehbarer Zeit wohl nicht geben. Der Einrichtung eines Superministeriums, in dessen Kompetenz Aufenthaltsfragen ebenso lägen wie Hilfen für die Integration von Menschen mit ausländischen Wurzeln stünden „vielfältige, mutmaßlich unüberwindliche Hindernisse in verfassungsrechtlicher und wohl auch politischer Hinsicht entgegen“, heißt es in der Studie einer Gruppe von Verwaltungswissenschaftlern der Universität Kiel, die die Vodafone-Stiftung beauftragt hatte, die Chancen für ein solches Ministerium zu prüfen. Der Kieler Verwaltungswissenschaftler Christoph Brüning machte bei Vorstellung des Berichts deutlich, dass er die Hindernisse, die der bundesdeutsche Föderalismus aufstellt, nicht einmal bedauert: Dass der Zentralstaat besser funktioniere, sei auch wissenschaftlich erledigt, eine Superbehörde arbeite nicht automatisch effektiver als kleine Einheiten.

Migration ist ein Thema für viele Behörden

Aktuell sind die Zuständigkeiten sowohl innerhalb der Bundesregierung als auch zwischen Bund, Ländern und Kommunen aufgeteilt: So ist für Jobfragen das Arbeitsministerium mit seinen nachgeordneten Behörden, etwa der Bundesagentur für Arbeit zuständig, die Integrationsbeauftragte – früher Ausländerbeauftragte – , aktuell die SPD-Politikerin Aydan Özoguz, sitzt im Kanzleramt, und die konkrete Integration läuft in den Ländern und, auch dort oft in Eigenregie im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung, in den Gemeinden. Vor allem die federführende Rolle des Bundesinnenministeriums ist seit vielen Jahren Gegenstand der Kritik von Migrationsexperten und Praktikern. Das Innenministerium, so der Vorwurf, sehe Ausländerpolitik fast naturnotwendig als Problem der inneren Sicherheit und behindere so eher die Integration Fremder oder von Menschen, die als Fremde gesehen werden. Auch die entscheidende Bundesbehörde in Migrationsfragen, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg, untersteht dem jeweiligen Innenminister. Der Rat für Migration zum Beispiel, ein Zusammenschluss von Migrationswissenschaftlern aller Fachgebiete, fordert seit Jahren einen anderen Ressortzuschnitt für das Thema.

Überall Werbung für die Energiewende - und fürs Einwanderungsland?

Die Kieler Verwaltungsfachleute halten ein zentrales Ministerium allerdings für dringend notwendig: Das „sehr komplexe Zuständigkeitssystem der öffentlichen Verwaltung“ produziere Reibungsverluste, schreiben sie in der Studie. Schon um das „Vertrauen der Bürger in Staatlichkeit und Verwaltung wiederherstellen beziehungsweise erhalten zu können“, seien Änderungen nötig. Ein Ministerium könne hier „mehr als nur symbolisch wirken“, zumal Integration ein Dauerthema von Verwaltung und Politik bleiben werde.

Sie schlagen daher vor, das von ihnen befürwortete Bundesintegrationsministerium zu schaffen, „ohne die derzeitige Verteilung der einschlägigen Verwaltungskompetenzen zu verändern“. Der ideale Ansatzpunkt hierfür ist aus ihrer Sicht die Stelle der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration im Kanzleramt. Kanzlerin Angela Merkel hatte das Amt schon 2005, in Zeiten sinkender Einwanderungszahlen, aufgewertet, indem sie es ins Bundeskanzleramt holte und die damals neue Amtsinhaberin, die CDU-Frau Maria Böhmer, zur Staatsministerin machte. Die Stelle müsse nun zu einem echten Ministerium umorganisiert werden, schreibt die Kieler Gruppe. Auf diese Weise könne der Bevölkerung ein „Übergang zur Normalität“ von Einwanderung signalisiert werden. Einen echten Kompetenzzuwachs allerdings schlagen sie nicht vor: Das neue Haus solle die Aufgabe haben, „Staat und Gesellschaft für die zentrale Bedeutung von Migration und Integration zu sensibilisieren, eine nachhaltige Integrationsstrategie zu entwickeln und deren Umsetzung durch Gesetzesinitiativen und Investitionsprogramme zu fördern“. Auch mehr Öffentlichkeitsarbeit für eine diverse Gesellschaft kann Brüning sich vorstellen: Er sehe in Berlin an jeder Wand Werbung für die Energiewende und praktisch keine fürs Einwanderungsland.

Ein kleines Haus, das wachsen kann und soll

Das sind im wesentlichen allerdings bereits die Aufgaben der Beauftragten Özoguz. Der Kieler Professor für Verwaltungswissenschaft, Christoph Brüning, erntete bei Vorstellung des Berichts entsprechend kritische Nachfragen, was denn ein Ministerium ohne wesentlich größere Kompetenzen anders und besser machen könne als eine Staatsministerin im Kanzleramt. Er machte deutlich, dass er auf einen langsamen politischen Kulturwandel hofft. Abgesehen davon, dass ein Özoguz, wäre sie Ressortchefin, eigene Gesetze erarbeiten und ins Parlament bringen könnte: Auch ein kleines Haus, so Brüning, könne zur "Keimzelle" für mehr werden und "erst einmal ein Signal setzen", über Einwanderung anders zu sprechen. "Ob wir schon so weit sind, das Thema politisch-emotional vom Sicherheitsaspekt zu lösen, weiß ich nicht", sagte der Verwaltungsfachmann. Wenn es aber so weit sei, sei es unproblematisch, auch die Kompetenzen etwa für Ausländerrecht an das neue Haus zu übertragen. Jedes neue Ressort müsse sich "freischwimmen", das sei nicht anders gewesen, als in den 1980er Jahren erstmals Umweltministerien in Bund und Ländern eingerichtet wurden. Der Migrationshistoriker Klaus J. Bade, der die west- und später gesamtdeutsche Einwanderungs- und Migrationspolitik seit mehr als 30 Jahren begleitet und berät und bei der Vorstellung im Publikum saß, verwies auf die heutige Ressorteinteilung. Die Einwanderungspolitik sei nicht schon immer Teil der Innen- und Sicherheitspolitik gewesen, sondern erst in den 80er Jahren Schritt um Schritt ins Bundesinnenministerium gewandert.

Ob die Anbindung des Themas Integration ans Arbeitsministerium besser sei als die an ein Ministerium, das mit Terrorabwehr und innerer Sicherheit beschäftigt ist, bezweifelt Brüning: Auch das, meint er, wäre eine "Verengung". Dass etwa die Flüchtlinge, die jetzt kommen, alle rasch in Arbeit gebracht würden, lasse sich bezweifeln. Das Riesenthema Bildung, dessen Adressaten ihre Kinder seien, sei dagegen "samt und sonders Aufgabe der Länder" und könne insofern nicht Zuständigkeit eines Bundesintegrationsministeriums werden.

Skepsis in CDU und SPD

Die Fachleute der Koalition äußerten sich im Gespräch mit dem Tagesspiegel kritisch bis skeptisch zum Vorschlag eines eigenen Ministeriums: „Die Menschen brauchen keine neuen Ministerien oder Grundgesetzartikel. Sie brauchen und erwarten konkrete Unterstützung und Hilfe“ , sagte die CDU-Integrationspolitikerin Cemile Giousouf. Zu Unrecht werde der Eindruck erweckt, die Bundesregierung tue zu wenig für Integration: „Das Gegenteil ist der Fall: Die Bundesregierung hat sich klar dazu bekannt, dass Integration eine der Kernaufgaben unseres Jahrzehnts ist. Auch der Koalitionsvertrag hebt hervor, dass Zuwanderung eine Chance ist, ohne jedoch die damit verbundenen Herausforderungen zu übersehen.“ Integration sei deshalb im Bundeskanzleramt gut aufgehoben: „Ein eigenständiges Integrationsministerium liefe mangels Kompetenzen Gefahr, zum zahnlosen Tiger zu werden.“

Die SPD-AG Migration und Vielfalt hat kürzlich ebenfalls eine institutionelle Stärkung der Integrationspolitik beschlossen – ebenfalls ohne die explizite Forderung nach einem Ministerium. „Wir sind offen, was die Frage eines eigenständigen oder integrierten Ministeriums angeht“, sagte der Vorsitzende der AG Aziz Bozkurt. Anders als die Kieler Wissenschaftler plädiert er dafür, die Aufgabe zum Beispiel dem Arbeits- oder Familienministerium zuzuschlagen. Wenn sie dort eine Abteilung bekomme, so heißt es im Beschluss der AG, würde sie „klarer an den Kabinettstisch“ gebracht und das Ministerium, das Politik formuliere, werde auch für deren Umsetzung zuständig. Jede Bündelung von Migrations- und Integrationspolitik, sagte Bozkurt, müsse aber Kompetenzen aus dem Innenministeriums bekommen, zum Beispiel das Aufenthaltsrecht oder Staatsangehörigkeitsfragen.

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