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Gauck hat Freude an seinem Amt. Hier bei einem Besuch in einer Schule

© dpa

Bundespräsident: Joachim Gauck sollte noch einmal antreten

Er ist kein Grüßaugust, sondern eine verlässliche Stütze in einer turbulenten Zeit. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Manchmal ist die Frage, wann man etwas tut, fast so wichtig wie der Zeitpunkt, zu dem man etwas tut. Wer also eine Antwort auf das bislang noch als Rätsel gehandelte Politikspiel „Tritt Joachim Gauck noch einmal an?“ sucht, muss die Faktenlage im Auge behalten. Der amtierende Bundespräsident ist 76 Jahre alt, zum Zeitpunkt seiner potenziellen Wiederwahl im Februar 2017 wäre er 77, am Ende einer zweiten Amtszeit somit 82 Jahre alt. Kann er das, grundsätzlich und gesundheitlich? Und will er das? Und geht es dabei überhaupt nur um ihn, nicht auch um das Land? Und wer will Joachim Gauck noch einmal fünf Jahre im Bellevue sehen?

Gauck setzt politische Akzente

Das sind viele Fragen, und auf die meisten findet man inzwischen ziemlich klare Antworten. Es gab eine Phase, in der er physisch weniger belastbar schien, seine Umgebung bei Reisen sorgfältig für Ruhepausen sorgte. Aber ein Bundespräsident ist kein Regierungschef, der für Marathonkonferenzen fit sein muss. Kurt Georg Kiesinger ging am Abend der Bundestagswahl 1969 früh als Bundeskanzler ins Bett, weil er sicher war, niemand würde ihm das Amt nehmen. Als er wieder aufwachte, hatte sich die rot-gelbe Koalition unter Willy Brandt zusammengefunden, und er war den Job los.

Die Bundeskanzlerin würde sich freuen, wenn er nochmal antritt

So etwas kann einem Staatsoberhaupt nicht passieren. Geistig ist Joachim Gauck topfit, er hat am Amt erkennbar Freude und setzt mehr politische Akzente, als seinen politischen Gegnern lieb ist. Hätte er, sollte er noch einmal kandidieren, in der Bundesversammlung eine ausreichende Mehrheit? Gauck war klug genug, denen Zeit für eine Meinungsäußerung zu lassen, von denen die Mehrheitsbildung abhängt. Als die Bundeskanzlerin jetzt in einem Interview für ihre Verhältnisse geradezu euphemistisch formulierte: „Ich würde mich freuen, wenn sich der Bundespräsident für eine zweite Amtszeit entscheidet“, war der Weg im Grunde frei. Immerhin hatte die Kanzlerin einmal, 2010, seine Kandidatur ausgebremst und diese im zweiten Anlauf, 2012, nur grimmig akzeptiert, nachdem der damalige Koalitionspartner, die FDP, sie durch eine klare öffentliche Festlegung dazu gezwungen hatte.

Er ist kein Illusionist

SPD, FDP und Grüne hatten sich bereits vorher für Gauck ausgesprochen. Dass die Linke ihn nicht wählen würde, war klar. Sein deutliches Votum für ein stärkeres außenpolitisches Engagement der Bundesrepublik, zur Not einschließlich des Einsatzes der Bundeswehr, machte ihn nicht nur für Linkenchef Bernd Riexinger zur persona non grata. Und dass er in seinen Stellungnahmen zur Flüchtlingsfrage nachdenklich auf die Grenzen der Aufnahmefähigkeit Deutschlands hinwies, fanden Sahra Wagenknecht und Genossen auch nicht richtig.

Sei’s drum. Gauck ist kein Grüßaugust, als das manche aktive Politiker wohl das Staatsoberhaupt immer noch gerne hätten, sondern ein hoch politischer Präsident. Zwar gehörte er in der DDR nicht so lange zur Bürgerrechtsbewegung, wie man heute annehmen könnte, aber seit der Vater in der Stalin-Ära von den Russen verschleppt wurde und erst 1955 frei kam, waren Freiheit und deren Bewahrung ein Begriffspaar, welches das Denken des evangelischen Pfarrers geprägt hat. Nur so ließ sich auch seine im wohl abgestimmten Dreiklang mit Außen- und Verteidigungsminister artikulierte Forderung nach einer aktiveren Außenpolitik erklären.

Nach den Landtagswahlen sollte er seine Bereitschaft signalisieren

Gauck ist gelegentlich ein schwärmerischer Idealist, aber kein Illusionist. Die Folgen der Zuwanderung durch Bürgerkriegsflüchtlinge hat er früher als die Kanzlerin benannt. Er geißelte das „Dunkeldeutschland“ der fremdenfeindlichen Hassprediger, aber mahnte eben auch, dass dieses Land nicht alle aufnehmen könne. Dass Gauck zum pastoralen Ausdruck neige, wird ihm gelegentlich vorgeworfen. Aber er ist in seinem Insistieren auf humanitäre und zivilisatorische Werte auch ein ruhender Pfeiler in einer politischen Landschaft, in der vermeintlich sichere Orientierungspunkte ins Wanken geraten sind. Die Koalition von CDU, CSU und SPD bietet ein Bild der Zerrissenheit, die Autorität der Bundeskanzlerin ist durch Widerstände gegen ihre Flüchtlingspolitik aus den eigenen Reihen beschädigt. Die öffentliche Diskussion dazu wird mehr durch die schrillen Töne von Pegida und AfD als durch das bewundernswerte Engagement tausender Helfer bestimmt.

In dieser Situation mit dem Bundespräsidenten Joachim Gauck einen verlässlichen Anker zu haben, wäre beruhigend. Nach den Landtagswahlen, wie immer sie ausgehen, ist der Zeitpunkt, zu dem er sagen sollte: Ich stehe meinem Land noch einmal zur Verfügung.

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