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Die Trauer des Vaters. Ismail Yozgat zeigt Gauck Bilder seines Sohnes.

© Jesco Denzel/Bundesregierung

Bundespräsident trifft NSU-Opfer: Gauck verspricht sich einzumischen

Beim Treffen mit den Hinterbliebenen im Schloss Bellevue sichert der Bundespräsident den Familien seine Hilfe zu. Manche sind enttäuscht, weil Gauck sich nur zwei Stunden Zeit nimmt.

Berlin - Als Ismail Yozgat am Montag zu reden begann, erinnerten sich viele Anwesende an die staatliche Gedenkfeier im Konzerthaus am Gendarmenmarkt vor fast genau einem Jahr. Damals hatte der Vater von Halit Yozgat, den mutmaßlich die Rechtsextremisten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ermordet haben, auch eine kurze Ansprache gehalten und die Gäste zu Tränen gerührt.

Am Montagmittag empfing Bundespräsident Joachim Gauck die Opferfamilien der Neonazi-Mordserie im Schloss Bellevue, Ismail Yozgat hatte sich ein Foto von seinem Sohn um den Hals gehängt, auf dem war er sechs Jahre. Der trauernde Vater wollte darauf aufmerksam machen, dass die Ermordeten Gesichter hatten und ein Leben, an das sich heute nur noch die Angehörigen erinnern. Als er unter Tränen rief, „gebt mir meinen Sohn zurück“, legte Gauck seinen Arm um ihn.

Nach übereinstimmenden Erzählungen von Teilnehmern war das der emotionalste Augenblick. Nach der Begrüßung führte Gauck die rund 70 Angehörigen in den Langhanssaal im ersten Stock, in dem traditionell Empfänge oder die Begrüßung und das Defilee beim Neujahrsempfang des Bundespräsidenten stattfinden. An runden Tischen saßen die Familien dann beisammen, aßen Perlhuhn in Teig, Linsengemüse und Kartoffeln.

Gauck versicherte den Familien in seiner knapp zehnminütigen Ansprache, dass „der Wille zur Aufklärung“ vorhanden sei und er mit der Autorität seines Amtes darauf achten werde, dass dieser Wille umgesetzt werde. Wörtlich sagte Gauck: „Ich möchte Ihnen allen sagen, als Bundespräsident: Ich werde tun, was ich kann, dass unser Land – unser gemeinsames Land – nicht vergisst, was geschehen ist. Ich will mithelfen, dass Ihr Leid weiter wahrgenommen und anerkannt wird. Und dass aufgeklärt wird, wo es Fehler und Versäumnisse gegeben hat.“

Sehr viele Familien hatten die Erfahrung machen müssen, dass sie aufgrund ihrer Herkunft von den Ermittlungsbehörden jahrelang verdächtigt worden sind. Das ist der Grund, warum sie bis heute ihr Vertrauen in die Sicherheitsbehörden und die staatlichen Institutionen verloren haben. Zu diesem Punkt sagte Gauck: „Alle Menschen in unserem Land müssen darauf bauen können, dass unser Staat sie schützt.“ Dann sagte Gauck: „Ich will, dass Sie neues Vertrauen fassen können. Ich will, dass unser Land und unsere Institutionen dieses Vertrauen wieder verdienen.“

Einige Angehörige waren, so war hinterher zu hören, allerdings leicht irritiert, dass sich der Bundespräsident nach dem Empfang gegen 12 Uhr pünktlich um 14 Uhr verabschiedete. Manche machten darauf aufmerksam, dass Gaucks Vorgänger Christian Wulff sich „mehr Zeit gelassen“ habe. Die Tochter eines der Ermordeten sagte: „Bei Wulff haben wir uns verabschiedet, weil es irgendwann schon so spät geworden war. Er ist die ganze Zeit geblieben und hat uns zugehört.“

Die Erwartungen an das Treffen waren ohnehin „beschränkt“, wie es einer der Anwälte ausdrückte, einige waren der Einladung nicht gefolgt. Zwar war das Gespräch Gaucks mit den Hinterbliebenen nicht öffentlich, aber bei der Begrüßung gab es die Möglichkeit für Fernsehen und Fotografen, kurz Aufnahmen zu machen. Die Ansprache Gaucks wurde Medienvertretern zugeschickt, „bei Wulff blieb das Gesprochene hinter verschlossenen Türen“, sagte eine Angehörige.

Beim Essen hat Gauck den Anwesenden die Möglichkeit gegeben, sich, wenn sie etwas mitteilen wollten, an alle zu wenden und über ein Mikrofon zu reden. Einige überlegten, aber es sprach keiner mehr. Barbara John, die Ombudsfrau der Bundesregierung, wies daraufhin, dass viele vor allem einen Wunsch hätten: „Dass sich das grundsätzliche Misstrauen der Sicherheitsbehörden gegen Menschen mit Migrationshintergrund ändert.“ Daran, sagte John dem Tagesspiegel, werde sie den Bundespräsidenten auch in Zukunft erinnern. Armin Lehmann

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