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Politik: „Bush glaubt, er sei vom Himmel berufen“

Der Fundamentalismusexperte Appleby über die Psyche des US-Präsidenten und seine Nahostpolitik

Ist Präsident George W. Bush ein Fundamentalist?

Er ist ein harter, konservativer Evangelikaler an der Grenze zum Fundamentalismus. Es gibt etwa 65 Millionen Evangelikale in den USA – ein Viertel der Bevölkerung. Das sind Christen, die die Bibel als alleinige Norm des christlichen Lebens ansehen. Sie glauben an ihre Erleuchtung durch den Heiligen Geist, meist durch ein persönliches Erweckungserlebnis.

Was bedeutet das für Bushs Denken?

Er ist beeinflusst von apokalyptischen Ideen, seinem Erweckungserlebnis und der Vorstellung, von Gott berufen zu sein. Als er gefragt wurde, ob er seinen Vater George senior während des Irakkriegs um Rat gefragt habe, hat er geantwortet: Ich frage nur meinen Vater im Himmel um Rat. Anders als Bush jedoch stehen die Fundamentalisten der Gesellschaft im Prinzip ablehnend gegenüber. Bush dagegen ist Präsident, er muss Kompromisse machen und pragmatisch handeln. Insofern tickt er politisch anders als ein typischer Fundamentalist. Aber in seinen persönlichen Einstellungen kommt er den Fundamentalisten sehr nahe.

Sollte man sich Sorgen machen, wenn der mächtigste Mann der Welt bei seinen Entscheidungen Rat sucht bei „seinem Vater im Himmel“?

Säkular denkende Amerikaner und Europäer macht das zunehmend nervös. Bush glaubt bei seiner Irakpolitik, er sei vom Himmel berufen, dem Nahen Osten die Demokratie zu bringen und Gottes Plan von Freiheit für die ganze Welt auszuführen. Deshalb war er auch nicht bereit, auf irgendwelche Warnungen zu hören.

Religiöse Gewalt geht heute oft von Muslimen aus. Was ist der Grund dafür?

Die heiligen Texte und die Lehre des Islam sind nicht gewalttätiger als die von Christentum oder Judentum. Verantwortlich für die islamische Gewalt sind historische Gründe. Einer davon ist, dass die Muslime seit dem Ersten Weltkrieg das Gefühl haben, vom Westen unterdrückt zu werden. Das ist zwar regional unterschiedlich stark ausgeprägt. Für viele Muslime aber ist die gegenwärtige Lage im Irak der schlimmste Höhepunkt dieser jahrzehntelangen Erfahrung: Hier kommen die Mächte des Westens, besetzen unser Land, demütigen uns und wollen uns ihren Lebensstil aufzwingen.

Was müssen Demokratien tun, um den islamischen Radikalismus zu bekämpfen?

Genau das Gegenteil von dem, was die USA im Moment machen. Eine rein militärische Antwort schafft nur neuen Terrorismus, wie das Fiasko im Irak zeigt. Man muss sich seinen Wurzeln zuwenden. Die USA und Europa müssten beispielsweise für bestimmte islamische Regionen einen Marshall-Plan aufstellen. Denn zu den Ursachen des Terrors gehören fehlender Zugang zu Bildung und wirtschaftlicher Entwicklung – oder zu Trinkwasser. Wir müssen unsere Abhängigkeit vom Öl verringern, die unsere verfehlte Politik im Nahen Osten antreibt.

Präsident Bush wird bald in Rom den Papst treffen. Der Vatikan hat die Irakpolitik der USA ungewöhnlich scharf kritisiert und gesagt, die Folter durch US-Truppen sei für Amerika ein schlimmerer Schlag als der 11. September. Stimmen Sie dem zu?

Das halte ich für übertrieben. Ohne Frage ist der Folterskandal ein schwere Krise für die Vereinigten Staaten. Aber nichts hat die amerikanische Seele so schockiert wie die Attentate vom 11. September 2001. Zum ersten Mal haben die Amerikaner am eigene Leibe radikale Verwundbarkeit erfahren. Das hat sich tief in das Bewusstsein eingegraben.

Was bedeutet dann der Folterskandal?

Er könnte unsere Empörung und Selbstgerechtigkeit verringern, die wir uns nach dem 11. September gegenüber der islamischen Welt zugelegt haben. Unsere Gegner sind nicht nur die Verkörperung des puren Bösen. Sie beziehen sich durchaus auf reale Probleme von Ungerechtigkeit und Demütigung. Amerikaner haben den naiven Glauben, sie seien eine wohltätige Supermacht und können gar nicht verstehen, warum uns so viele Muslime hassen. Wenn Menschen anderer Hautfarbe als Ergebnis unserer Politik sterben, darüber sehen wir gerne hinweg. Das könnte sich nun ändern.

Welcher Schaden ist durch den Irakkrieg im Verhältnis zwischen dem Westen und dem Islam entstanden?

Die Folgen lassen sich noch gar nicht ermessen. In meinen Augen ist ein Generationenschaden entstanden. Die Folterfotos sind in das Bewusstsein der ganzen Welt eingegangen und werden dort lange nachwirken. Und das ist das Ergebnis eines Krieges, den Präsident Bush begonnen hat mit der Begründung, er wolle die islamische Welt demokratischer, freier und sicherer machen. Die Administration ist in einer unfassbaren Weise naiv, dumm und arrogant. Sie haben keine Ahnung von der komplexen Psyche der Iraker und der Menschen im Nahen Osten.

Kann Präsident Bush etwas tun, um den Schaden zu begrenzen?

Er müsste ein Zeichen setzen. Wie vor einigen Jahren der jordanische König Hussein. Dieser hat damals die israelischen Familien aufgesucht, deren Kinder durch einen jordanischen Soldaten erschossen worden waren. Diese Geste von König Hussein ist bis heute im Nahen Osten unvergessen. Bush und Rumsfeld müssten zu den Familien der Folteropfer gehen und sich persönlich bei ihnen entschuldigen.

Das Gespräch führten Martin Gehlen und Jost Müller-Neuhof.

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