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Politik: „Bush hat effektiv reagiert“ – „Bush hat es vermasselt“ Der Terror veränderte

die Welt und dominiert den Wahlkampf in den USA – W. Michael Blumenthal und Richard Perle im Gespräch

In einem von der American Academy veranstalteten Streitgespräch haben Michael Blumenthal und Richard Perle in Berlin für ihre jeweiligen „Lieblingskandidaten“ bei der Präsidentenwahl in den USA plädiert. Wir dokumentieren die Diskussion in Auszügen.

Richard Perle: Wenn die Amerikaner dieses Mal zur Wahl gehen, wird kein Thema für sie wichtiger sein als das Vertrauen in die Regierung, wenn es um den Schutz der Bürger geht. Der 11. September hat das Denken der Amerikaner verändert. Wir waren fassungslos, dass wir in der Heimat verwundbar sind. Und der Präsident ist sich der Tatsache bewusst, dass der nächste Terroranschlag mit chemischen oder biologischen Waffen oder nuklearem Material verübt werden könnte und dass es nicht 3000, sondern 30 000 oder 300 000 Opfer geben könnte.

Angesichts dieser beispiellosen Bedrohung stellen sich alle Sicherheitssysteme als unzureichend heraus. Ich glaube, Präsident Bush hat effektiv auf diese Bedrohung geantwortet. Er hat deutlich gemacht, dass wir, wenn nötig, militärische Mittel einsetzen gegen die Zufluchtsorte der Terroristen. Man kann argumentieren, dass wir das schon vor dem 11. September hätten tun sollen, aber das haben wir nicht getan. Wir warteten – obwohl wir wussten, dass in Afghanistan Menschen für Terrorakte rekrutiert und ausgebildet wurden.

Die Lektion daraus war: Wir dürfen nicht wieder zu lange warten. Daraus entstand das Konzept der Präventivschläge. Vielerorts ist das nicht gerade populär. Aber wenn du eine Rakete auf einer Abschussrampe siehst und du hast die Gelegenheit, sie vor dem Start zu zerstören, wer wäre dagegen? Wann genau eine Nation im Recht ist, zu ihrer Verteidigung zu handeln, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Ich glaube, dass Präsident Bush mit den Gefahren, die sich in diesen Situationen stellen, fertig wird. Dasselbe Vertrauen habe ich nicht in Senator Kerry. Er legt viel Wert auf eine Haltung, die in Europa sehr beliebt ist: sich auf internationale Institutionen zu verlassen, sogar auf internationales Recht. Aber diese Institutionen und dieses Recht haben sich als unzureichend herausgestellt. Man kann doch nicht erwarten, dass internationales Recht für Menschen gilt, die eine messianische Vision haben und bereit sind, dafür zu sterben.

Michael Blumenthal: Richard Perle hat Recht damit, dass der 11. September die Welt verändert hat, er hat auch das Denken der Menschen in den USA stark verändert. Und der 11. September konfrontiert uns alle – auch Deutschland, auch die Europäische Union – mit dem Problem, wie man mit dieser neuen Form der Bedrohung umgeht.

In den USA haben wir fast vier Jahre lang eine gescheiterte Präsidentschaft gehabt, einen Präsidenten, der in meinen Augen jedes Versprechen an das amerikanische Volk gebrochen hat. Einen zufälligen Präsidenten, für den weniger als die Hälfte der Amerikaner, die zur Wahl gegangen sind, gestimmt haben. Die amerikanische Öffentlichkeit ist stärker polarisiert. Das ist ein größeres Versagen. Er versprach, uns zusammenzubringen, und er hat uns auseinander gerissen. Er versprach, ein „mitfühlender Konservativer“ zu sein, und er war weder mitfühlend, noch konservativ. Er war nicht mitfühlend, weil er das Schicksal derer ignoriert hat, die weniger Glück hatten als wir – bei Themen wie Kinderbetreuung, Ausbildung, Arbeitslosigkeit und in vielen anderen Bereichen. Und er hat eine Wirtschaftspolitik verfolgt, die extrem gefährlich ist.

Er hat es geschafft, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass der Krieg gegen den Terror und unser Einmarsch in Afghanistan, der von der ganzen Welt unterstützt wurde, irgendetwas zu tun hätten mit dem Krieg gegen den Irak. Dieser Präsident hat den Krieg gegen den Terror in den Krieg gegen den Irak umgewandelt. Er hat die innere Sicherheit stark vernachlässigt. Er ist stattdessen in den Irak einmarschiert, und er hat es vermasselt. Das ist die inkompetenteste Leistung, die man sich vorstellen kann.

Herr Perle, wie antworten Sie auf den Vorwurf, dass die USA in ihrer Verantwortung für das, was nach dem Krieg im Irak kommt, versagt haben?

Perle: Es ist zu früh, um das Ergebnis des Irakkrieges zu beurteilen. Ich werde nicht so tun, als hätte es keine Fehler gegeben – es gab sie. Es war ein Fehler, aus der Befreiung des Irak eine Besatzung werden zu lassen. Wir hätten die Verantwortung umgehend an die Iraker übergeben sollen. Man kann spekulieren, dass Senator Kerry klug genug gewesen wäre, das zu tun, aber ich bezweifle das. Jetzt haben wir es begriffen, und wir haben uns tatsächlich an die Iraker gewandt und sie gebeten, Verantwortung zu übernehmen. Wir helfen ihnen. Ich wünschte, wir hätten mehr Hilfe, mehr Hilfe aus Deutschland.

Im Irak gibt es verzweifelte Terroranschläge. Aber vieles im Land wird besser, in diesem Moment. Und wenn wir ein wenig Geduld haben, werden wir am Ende eine bemerkenswerte Transformation im Irak sehen. Ich hoffe, es wird so inspirierend werden, wie wir es in Afghanistan erlebt haben. Es ist nicht einfach nach einem Krieg wie diesem. Aber ich glaube nicht, dass wir versagt haben.

Blumenthal: Damit bin ich nicht einverstanden. Die ganze Grundlage für den Irakkrieg war im höchsten Maße fragwürdig. Wir gingen in den Irak, weil uns gesagt wurde, dass es dort Massenvernichtungswaffen gebe. Wir fanden keine. Sogar Bushs eigene Inspekteure kamen zurück und berichteten, dass dort keine Massenvernichtungswaffen gebaut werden konnten. Und es gibt keinen Zusammenhang, das hat der Präsident selbst zugegeben, zwischen dem Krieg gegen den Terror und dem Krieg gegen den Irak. Wir haben viel verloren durch den Krieg, und im Irak herrscht Chaos. Eine Übergabe an die Iraker ist praktisch unmöglich. Der ganze Irakkrieg beruhte nicht nur auf falschen Annahmen, sondern hat zu mehr Chaos und größerer Gefahr für uns geführt, als es dort gab, bevor wir dort hingingen.

Was könnte Kerry an diesem Punkt anders machen als die Bush-Regierung?

Blumenthal: Das ist sehr schwierig. Jeder Präsident, ob Bush oder Kerry, wird eine harte Zeit haben, weil dieser Präsident eine Situation geschaffen hat, die nur schwer zu korrigieren ist. Dieser Präsident hat unsere internationale Glaubwürdigkeit zerstört. Er hat Bündnissen den Rücken zugekehrt. Fünfzig Jahre lang, während des Kalten Krieges, haben wir mit anderen Ländern in Bündnissen zusammengearbeitet und es geschafft, den Kalten Krieg zu gewinnen. Das hat er zerstört. Er hat das Kostbarste unterminiert, was die USA in der Welt für lange Zeit genossen haben: moralische Autorität. Kerry könnte als Erstes seine persönliche Glaubwürdigkeit nutzen (die Bush nie wieder haben wird), um unsere Freunde und Verbündeten zu konsultieren und aktiver mit der Institution zu arbeiten, für die Herr Perle so wenig Verwendung hat – den Vereinten Nationen.

Eine überwältigende Mehrheit der Deutschen, über 80 Prozent, würde für Kerry stimmen. Was ist schief gelaufen zwischen Deutschland und Präsident Bush?

Perle: Ich habe eine andere Zeit erlebt, in der ein amerikanischer Präsident nicht sehr beliebt in Deutschland war: Ronald Reagan, in dessen Regierung ich gearbeitet habe. Einige werden sich noch daran erinnern, wie Reagan als Cowboy mit Pistolen dargestellt wurde, der die Welt in einen Atomkrieg stürzen würde. Amerikanische Präsidenten werden manchmal unterschätzt. In diesem Fall ist es wohl auch eine Frage des Stils. Ich denke, der Stil des Präsidenten ist nicht gerade angesehen in Europa. Zum Teil ist es auch seine religiöse Überzeugung, die viele Europäer befremdet, nicht so sehr die meisten Amerikaner. Und er erledigt Dinge in einer sehr offenen Art, die andere Politiker in einer eher irreführenden Weise erledigt hätten.

Beispielsweise hat er die öffentliche Meinung in Europa verärgert, indem er das Kyoto-Protokoll zurückwies. 95 Senatoren, John Kerry eingeschlossen, waren nicht bereit, für das Kyoto-Protokoll zu stimmen. Ein arglistigerer Präsident hätte es einfach an den Senat schicken und den die Drecksarbeit tun lassen können. Aber dieser Präsident sagt, was er denkt. Er versüßt die Pille nicht, damit sie leichter zu schlucken ist. Ist das etwa Versagen? Man kann argumentieren, dass es einfacher wäre, wenn er, wie andere Politiker, schwierige Entscheidungen versüßen würde. Aber das tut er nicht, und das ist einer der Gründe, warum ich ihn bewundere.

Blumenthal: Es geht nicht um Stil, sondern um die Substanz. Ja, das Kyoto-Protokoll war defizitär, und es gab vieles, worüber zu reden war. Ja, es gibt gute Argumente, warum wir beim Internationalen Strafgerichtshof kein gutes Gefühl haben. Ja, vielleicht gab es sogar etwas zu klären beim ABM-Vertrag von 1972. Es ist die Art, in der Bush mit diesen Themen umgeht, die die Europäer verärgert und die auch mich verstört. Man setzt sich mit seinen Freunden zusammen, diskutiert und verhandelt. Man schickt nicht den Vizeverteidigungsminister zur Nato, die Hilfe in Afghanistan angeboten hat, damit ihr nun gesagt wird: Danke, wir brauchen euch nicht. Das Gefühl, das den USA entgegengebracht wird, basiert auch auf der Ankündigung einer Politik der Präventivschläge, einer Politik, die Unilateralismus bedeutet, die den UN den Rücken kehrt. Wir sind eine Nation mit Gesetzen. Wir wollten eine Welt schaffen, in der internationale Gesetze etwas bedeuten. Wir können nicht in dieser Welt leben und zugleich sagen: Wir werden entscheiden, welches Gesetz richtig ist, und wir werden nur die Gesetze befolgen, die uns passen.

Was würde eine neue Regierung von Deutschland erwarten? Könnte der Konflikt zwischen Deutschland und den USA nach der Wahl wiederkehren? Und könnte der Graben sogar tiefer werden, falls Kerry Präsident wird?

Blumenthal: Ich denke nicht, dass Senator Kerry erwartet, dass die Deutschen Truppen in den Irak senden. Die Hoffnung ist, dass es durch einen anderen Umgang mit Deutschland und anderen Verbündeten eine Zusammenarbeit mit der EU geben wird bei dem Versuch, das Chaos im Irak zu beseitigen.

Perle: Der Bundeskanzler hat von Anfang an sehr klar gemacht, dass er nichts mit einem Krieg im Irak zu tun haben will. Präsident Chirac hat Überstunden gemacht, um sicherzustellen, dass wir nicht die Billigung der Vereinten Nationen bekommen konnten. An einem bestimmten Punkt muss jeder US-Präsident die Arbeit mit den Verbündeten abwägen gegen die daraus entstehende Lähmung. Wir brauchen bessere Strategien dafür. Kerry allerdings wiederholt endlos, dass alles gut wäre mit den Verbündeten, wenn er Präsident gewesen wäre – glaubt das irgendjemand?

Blumenthal: Es gibt auf beiden Seiten des Atlantiks immer noch mehr, das uns eint, als uns trennt. Wenn wir das nicht erkennen, wenn wir keinen Präsidenten haben, der das erkennt und der gewillt ist, die Art von Bündnis wieder aufzubauen, wie wir es im Kalten Krieg hatten, werden wir auf beiden Seiten in Schwierigkeiten geraten. Ich denke, Kerry versteht das sehr viel besser als Bush.Das Gespräch wurde moderiert von Richard Bernstein und Peter Frey. Aus dem Englischen von Claudia von Salzen. Die Fotos machte Soenke Tollkuehn.

Der New Yorker

Der 63-jährige Richard Norman Perle wurde in New York City geboren. Er studierte unter anderem in Princeton Internationale Beziehungen.

Der Berater

Als Lobbyist des Elektrokonzerns Westinghouse trat Perle für die Anti-Raketen-Rakete ein. 69 wurde er Assistent im Pentagon, später arbeitete er für die Senatskommission für nationale Sicherheit.

Der Falke

2001 wurde er Vorsitzender der Kommission für Verteidigungspolitik im Pentagon und damit Berater von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld – zwar nur eine informelle, aber dennoch höchst einflussreiche Position. Perle war ein entschiedener Befürworter des Irakkrieges.

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