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David Cameron vor europäischer und britischer Flagge.

© dpa

EU Referendum in Großbritannien: Camerons Balanceakt in Brüssel

Der britische Premierminister David Cameron verspricht, bis November in Brüssel einen Brief vorzulegen, in dem er seine EU-Reformforderungen detailliert darlegen will. Seine Kritiker in Großbritannien machen ihm Druck.

Der britische Regierungschef David Cameron muss Farbe bekennen. In einem Brief an EU-Ratschef Donald Tusk soll er bis Anfang November darlegen, wie er sich die Reform der EU vorstellt. EU-Reformen zugunsten Großbritanniens gelten für Cameron als Bedingung für das bis 2017 geplante Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs im Club der Europäer. Inzwischen machen auf der Insel auch EU-Befürworter mobil, die in Kampagnen für ein Ja zur Europäischen Union werben. Die Euroskeptiker versuchen derweil, Cameron in die Enge zu treiben. Sie fordern striktere Regelungen im Bereich der Freizügigkeit und der Einwanderung. „Wenn man sich die Umfragen anschaut, wird klar: Momentan dreht sich in Großbritannien alles um Immigration. Wenn David Cameron keine umfangreichen EU-Reformen für Freizügigkeit fordert, ist es das Papier nicht wert, auf das er seine Forderungen schreibt“, sagte Paul Nuttal, stellvertretender Vorsitzender der rechtspopulistischen Unabhängigkeitspartei Ukip, dem Daily Express. 

Mehr Nationalstaatlichkeit, mehr Selbstbestimmung, mehr Unabhängigkeit 

Dabei hat Cameron während Verhandlungen mit der EU schon mehrfach klar Stellung bezogen. Großbritannien soll nach dem Wunsch des britischen Premiers eine Sonderstellung in der EU bekommen. Er wünscht sich eine ‚explizite Erklärung’ der EU, aus der hervorgeht, dass Großbritannien sich nicht weiter in die EU integrieren soll. Außerdem soll das britische Pfund nicht seinen Rang gegenüber dem Euro verlieren. Der Euro, fordert Cameron, soll  nicht mehr als offizielle Währung der gesamten europäischen Staatengemeinschaft gelten. Eine ‚neue Struktur’ soll sicherstellen, dass die Mitglieder, die andere Währungen als den Euro haben, nicht von den Euro-Ländern dominiert werden. Zuletzt fordert er ein „System der roten Karte“ für nationale Parlamente. Damit soll ermöglicht werden, dass Staaten aus der bestehenden EU-Gesetzgebung aussteigen und sie gegebenenfalls ganz abschaffen können. 

Zugeständnis an die Skeptiker 

Diese Reformvorschläge gelten als Versuch des britischen Premiers den Forderungen euroskeptischer Gruppierungen gerecht zu werden. Er will vermeiden, dass seine konservative Partei potenzielle Wähler an diese Gruppen verliert. Zuletzt gelang das Cameron bei den Unterhauswahlen im Mai 2015. Dabei schaffte er es der Ukip das Wasser abzugraben und den Konservativen die absolute Mehrheit zu sichern. Teil seines Wahlversprechens war es, ein Referendum über die Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU abzuhalten. Inzwischen hat Cameron aber Mühe, die Debatte über einen möglichen EU-Austritt unter Kontrolle zu halten.

Flüchtlingskrise beflügelt die EU-Kritiker

Ein Thema, das die Debatte weiter befeuert ist die Flüchtlingskrise. Die Situation im französischen Calais am Eurotunnel nach Großbritannien ist weiter angespannt. Noch immer versuchen dort täglich Hunderte Flüchtlinge nach Großbritannien einzureisen. In dieser Situation würde ein Austritt der EU eine Abschottung ermöglichen und klare Verhältnisse schaffen, argumentieren EU-Kritiker.  

Appell für „ein starkes Großbritannien innerhalb der EU“ 

Allerdings werden auch andere Stimmen in der Debatte laut, nämlich solche, die den Verbleib Großbritannien innerhalb der EU fordern. Besonders der Industrieverband Großbritanniens CBI legt sich für die Pro-Kampagne ins Zeug: „Eine Mitgliedschaft in der EU gibt uns Zugang zu 500 Millionen Verbrauchern und liefert immense Steuer- und Tarifvorteile. Kein Freihandelsabkommen ist damit vergleichbar“. Die Organisation „Wissenschaftler für die EU“ sieht folgende Vorteile in einer Mitgliedschaft: „Wissenschaft ist von entscheidender Bedeutung für eine funktionierende Wirtschaft sowie eine hohe Lebensqualität in Großbritannien. Wir glauben, dass wir innerhalb der EU sehr viel Gutes für Großbritannien erreichen können“, erklärt die Organisation auf ihrer Webseite.

Auch die Londoner Denkfabrik „British Influence“ rührt für die EU die Trommel. Die seit 2013 bestehende Organisation will der britischen Bevölkerung zeigen, dass Großbritannien ein einflussreiches Land innerhalb der EU ist. „Die öffentliche Meinung geht dahin, dass unser Land von Brüssel aus gelenkt wird und somit keine eigene Entscheidungsgewalt besitzt. Dies ist schlichtweg falsch. Großbritannien besitzt Freunde und Verbündete in Europa, mit denen es zahlreiche Gesetze erwirkt hat, die auch Großbritannien sehr zu Gute kommen“, so Peter Wilding, Leiter der Denkfabrik. Zusätzlich stehen die Themen „Wohlstand“ und  „Sicherheit“ auf seiner Agenda. „Die Briten wünschen sich einen lebendigen Markt in Europa, der kontinuierlich neue Jobs schafft. Darüber hinaus will die Mehrheit der Briten, dass Großbritannien internationalen Bedrohungen wie Terror verstärkt diplomatisch und militärisch entgegentritt“, sagt Wilding. „Großbritannien muss sich wirtschaftlich weiter integrieren, um Wachstum sicher zu stellen. Ferner kann es sich keinen sicherheitspolitischen Alleingang leisten. Die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sind zu komplex“, betont Wilding. Die Denkfabrik hat die Unterstützung großer Wirtschaftskooperationen, die einen EU-Ausstieg als „wirtschaftlichen Selbstmord“ bezeichnen. Unabhängig sei der Think Tank trotzdem, da er keine Großspenden von Verbänden annehme.

Zu Camerons Versprechen in einem Brief an Donald Tusk, seine EU-Reformvorschläge weiter auszuformulieren, meint Wilding: „Der Brief ist ein Balanceakt Camerons. Zum einen will er seine Verbündeten in Europa beruhigen und ihnen signalisieren: ‚Ich will konstruktiven Wandel für alle Beteiligten und die EU nicht mit meinen Handlungen lahmlegen’. Zum anderen muss er seine Kritiker im Inland überzeugen, dass er von seinen europäischen Verhandlungspartnern nicht völlig weichgeklopft wurde, sondern weiterhin für die Umsetzung britischer Interessen auf EU-Ebene kämpft“.

Hannah Hübner

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