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Zu Maos Zeiten waren alle Kirchen verboten. Jetzt gibt es wieder bis zu 60 Millionen Christen im Land. Foto: Reuters

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Politik: China öffnet sich für Kirchen

Viele Menschen suchen wieder nach Orientierung bei den Religionen – die KP nutzt das für ihre Ziele

Kim will Priester werden. Seine Familie und sein 200-Seelen-Dorf im Norden Chinas hat er deshalb für mehrere Jahre verlassen. Jetzt lernt er im ersten Nationalen Priesterseminar in Daxing, 40 Kilometer vor den Toren Pekings.

„Ich bin 22 Jahre alt“, erzählt der Seminarist höflich und korrekt. „ In meiner Familie leben meine Großeltern, meine Eltern, meine Brüder und meine zwei Schwestern.“ Die meisten dort sind schon seit Generationen katholisch, berichtet er. Seinen richtigen Namen möchten er und die anderen Schüler nicht nennen, sie haben Angst um sich und um ihre Familien. Groß ist die Unsicherheit im Haus. Sieben Jahre wird er hier leben und lernen, zusammen mit 80 Seminaristen, bis er in den Norden zurückkehrt. Sein Bischof hat ihn geschickt. Kim ist ein guter Schüler.

Wer am Nationalen Priesterseminar studiert, lernt unter den wachsamen Augen seiner Herren für das spätere Leben als Priester: Staat und Kirche stimmen sich ab über das Pensum. Wem die Loyalität mehr gilt, darüber wird nicht gesprochen. Überwiegend chinesisches, aber auch internationales Personal unterrichtet in den modernen, gut ausgestatteten Klassenräumen. Handverlesen sind die Dozenten. Themen sind Welt und Kirche, Geschichte und Philosophie, Kunst und Literatur, aber auch Soziologie und Psychologie. Fremdsprachen gehören zum Lehrplan: natürlich Griechisch und Latein, aber auch Englisch und Deutsch.

Zu Maos Zeiten und bis in die 70er-Jahre waren alle Kirchen verboten. Nach Maos Tod gab es in Glaubensfragen eine vorsichtige Öffnung. Seit 1982 erkennt der Staat offiziell fünf Glaubensgemeinschaften an: Buddhismus, Daoismus, Islam sowie Katholizismus und Protestantismus. Heute lässt die Partei einen größeren Raum für Glaubensfragen, denn sie haben eine wichtige Stellung als Garant für eine gesicherte Zukunft, betonte Staats- und Parteichef Hu Jintao auf dem Parteikongress im Oktober 2009. Aus Sicht der Partei hat die Religion insoweit Bedeutung, als sie einen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes leisten kann, allerdings nach den von der Partei vorgegebenen Direktiven. Alle Kräfte sollten vereint werden, um gemeinsam mitzuarbeiten an der Errichtung einer harmonischen Gesellschaft, in der jeder in Frieden und Wohlstand leben könne.

„Die Schüler lernen gerne“, stellt Mike fest, ein Jesuit aus New York. Er ist 40 Jahre alt und kommt jedes Jahr sechs Wochen nach Daxing. Mit den Schülern spricht er Chinesisch. Lachend, aber auch stolz, stellt er dazu fest: „Für jede Stunde, die ich unterrichte, brauche ich mindestens zehn Stunden Vorbereitung. Aber es ist eine gute Erfahrung.“ Während er mit den Schülern philosophiert und diskutiert, erfährt er viel über deren Wünsche und Hoffnungen. „Da gibt es welche, die in einer Tradition aufwuchsen, in der sie es nicht gewöhnt sind, abseits der Tradition neue Wege zu beschreiten und Dinge neu zu denken. Andere sehen, wie die Gesellschaft sich ändert. Ich versuche, ihnen zu zeigen, dass sie ihre Bildung selbst in die Hand nehmen müssen.“ Vor allem geht es um Glaubensfragen. Ähnliches hat auch Pater Daniel festgestellt. Der gütige alte Herr, der regelmäßig seine Fitness-Runden dreht, ist ein vielseitiges Talent. 25 Jahre unterrichtete er als Professor in Südkorea vergleichende Sprachwissenschaften. Am Priesterseminar gibt er Englisch-, Latein- und Griechischstunden und Musikunterricht. Seine Wohnung im Seminar ist schlicht. Er lebt für die Schüler, für ihre Bildung und die Religion: „Unsere Herausforderung ist, die Schüler zu interessieren. Sie haben nicht gelernt, allein zu denken, aber sie können es. Sie machen sich Gedanken über Freunde, die Familie, vielleicht über ein Business und über Spiele. Aber nicht über Geschichte, Philosophie, Literatur und Kunst.“ Nicht nur beim Lernen, auch im Verhalten ist dem Pater vieles aufgefallen: Die Seminaristen verbringen die ganze Woche zusammen, im Klassenraum, in der Kirche, im Speisesaal. Doch sie vertrauen einander nicht. „Jeder Mensch ist hier eine Insel. Es gibt eine Tendenz, sich zu isolieren, den eigenen Freiraum zu bewahren.“ Pater Daniel hält das für eine Reaktion aus vergangenen Jahren, als es gefährlich war, sich zum Glauben zu bekennen.

Der stellvertretende Rektor der Schule, Bruder Chen Bishan spricht fließend Deutsch. „Ich bin zuständig, die Professoren einzuladen, auch für die Aufnahme neuer Schüler und neuer Seminaristen. Wir haben immer Professoren aus ganz vielen Ländern: Aus Europa, aus Asien, aus den USA“, berichtet er.

Über alle, auch das Lehrpersonal, hat die Partei ein wachsames Auge: Der Staat mischt mit, sobald es um Verwaltung der Gemeinden und Bistümer geht, um die Besetzung von Ämtern, um die theologische Ausbildung des kirchlichen Personals. Die staatliche Politik sieht die Religionen als nützliche Kräfte, aber setzt ihnen enge Grenzen. Deshalb leben viele Christen außerhalb der staatlich zugelassenen Kirche. Ihre Zusammenkünfte gelten als illegal, werden aber oft toleriert. Die Grenze zum staatlich anerkannten „offiziellen“ Teil der Kirchen ist fließend. Inzwischen sind 85 Prozent der Bischöfe der staatlich gelenkten Kirche vom Papst anerkannt.

Birgit Wetzel[Daxing]

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