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China: Wer nicht spurt, bekommt Besuch

In China werden massenhaft Wohnungen enteignet – dabei kommt es immer wieder zu Gewalt.

Es ist mitten in der Nacht, als eine Gruppe Schläger in das Haus eindringt. Plötzlich stehen etwa zehn Männer in der Wohnung von Wu Wenyuan. Die Männer sind mit Holzknüppeln bewaffnet. Sie beginnen sofort auf Wu und seinen Nachbarn Meng Fugui einzuschlagen, der in dieser Nacht bei seinem Freund übernachtet. Die beiden ahnten, dass der Abrisstrupp kommen wird. Sie sind unzufrieden mit den Entschädigungsleistungen für den Zwangsabriss ihrer Wohnungen, wollten ihr Hab und Gut verteidigen. Doch gegen die brutalen Eindringlinge haben sie keine Chance. „Schlagt sie, bis sie tot sind“, hört Wu einen der Männer sagen, wie er später berichtet. Sein Nachbar erliegt im Krankenhaus seinen Verletzungen.

Der Vorfall ereignete sich vor wenigen Tagen im Dorf Guzhai in der Nähe der nordchinesischen Stadt Taiyuan. Deren Stadtverwaltung will eine Hauptstraße ins Zentrum ausbauen – dafür müssen die Dorfbewohner weichen. Gewalttätige Vertreibungen und Zwangsabrisse von Wohnungen wie in Guzhai sind in China kein Einzelfall mehr. Wirtschaftswachstum und zunehmende Urbanisierung lassen die Millionenstädte der Volksrepublik aus allen Nähten platzen. Der Bedarf an Bauland ist riesig, Immobilienspekulanten heizen die Situation an. Mit Hilfe korrupter Funktionäre eignen sich Immobilienfirmen Bauland an. Dafür werden massenhaft Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben. Entschädigungen, wenn sie gezahlt werden, fallen meist gering aus. Wer sich wehrt und seine Wohnung nicht verlassen möchte, muss damit rechnen, dass es ihm so wie Wu Wenyuan und Meng Fugui ergeht. In der nordöstlichen Provinz Heilongjiang zündete sich ein verzweifelter Mann aus Protest gegen den bevorstehenden Abriss seines Hauses selbst an.

Ein chinesischer Internetnutzer hat nun ein Projekt ins Leben gerufen, das sich „Landkarte der blutigen Wohnungen“ nennt. Auf einer interaktiven Karte sind Orte markiert, an denen es bei Zwangsenteignungen zu gewalttätigen Übergriffen kam. Das Projekt nutzt das Programm „Google Maps“, um über weiterführende Links Hintergrundinformationen zu den verschiedenen Ereignissen zu verbreiten. Unterschiedliche Symbole geben Auskunft über die Art der Vorfälle oder darüber, ob in den Medien schon darüber berichtet wurde. Jeder der will, kann Zwangsenteignungen melden, die nach einer Überprüfung auf der Karte eingetragen werden. „Es ist wichtig, neue Wege zu finden, die Sorgen der Menschen wiederzugeben und das Problem der Zwangsenteignungen einzudämmen“, sagte der Initiator der Landkarte der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Obwohl die Karte erst seit Anfang Oktober online ist, wurden schon über 70 Fälle eingetragen.

In der Diskussion über die Zwangsenteignungen, geraten vor allem die gesetzlichen Regelungen in die Kritik. Mehrfach haben Rechtsexperten die Regierung aufgefordert, die Gesetze zu überarbeiten, die es den lokalen Behörden und Bauunternehmen zu einfach machen, Hausbewohner zu enteignen. Lokalregierungen müssen lediglich öffentliches Interesse anmelden, um Enteignungen vorzunehmen. Eine Reform zur Stärkung von Eigentumsrechten steht schon länger an, wurde aber bisher nicht umgesetzt. Experten vermuten, dass sich die Lokalpolitiker gegen die Reform stemmen, weil sie an den Landverkäufen verdienen. Behörden und Baufirmen engagieren professionelle Abrissunternehmen, denen jedes Mittel recht ist, um Bewohner zu vertreiben. Der Vorfall im Dorf Guzhai wird mittlerweile von der Polizei untersucht. Laut chinesischen Medienberichten wurden fünf Personen verhaftet. Behördenvertreter versuchten, mit dem Sohn des Opfers über eine Entschädigung zu verhandeln. Doch dieser beharrte auf der Aufklärung des Vorfalls.

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