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Im Visier der Polizei. Vor dem Pekinger Chaoyang-Krankenhaus, in dem sich der Menschenrechtsaktivist Chen und seine Familie befinden, filmt ein Polizeibeamter ausländische Journalisten. Foto: Mark Ralston/AFP

© AFP

Politik: China wird nervös

Während der Aktivist Chen weiter in einem Pekinger Krankenhaus ausharrt, verschärfen Sicherheitskräfte ihr Vorgehen.

Der größte Wunsch Chen Guangchengs ist nicht in Erfüllung gegangen. Am Wochenende hob das Flugzeug mit US-Außenministerin Hillary Clinton vom Pekinger Flughafen ab, ohne den blinden chinesischen Bürgerrechtler und seine Familie mit an Bord zu haben. Auch hatte ihn die US-Außenministerin nicht im Chaoyang-Krankenhaus besucht, obwohl sie sich noch vor seiner Flucht in die US-Botschaft persönlich für ihn eingesetzt hatte. Stattdessen mussten der 40-jährige Chen und seine Familie weiter in der Krankenhausstation G ausharren und um die Ausreise bangen.

Menschenrechtsorganisationen und Dissidenten bezweifeln, dass Chinas Regierung Wort halten und Chen Guangcheng wie am Freitag mit den USA vereinbart die Ausreise zum Studium ermöglichen wird. „Glaubt nicht Chinas Versprechen“, schreibt der Dissident Wie Jingsheng in einem Beitrag für die „New York Times“. Er durfte 1997 nach einer Vereinbarung mit US-Präsident Bill Clinton ausreisen. „Zu meiner Zeit hat die Kommunistische Partei ihr Versprechen ein Jahr lang gehalten, weil Menschenrechte direkt mit dem Handel verknüpft waren“, schreibt Wie Jingsheng, „aber jetzt, da ein solcher internationaler Druck nicht mehr existiert, glaubt die Partei nicht mehr, ihr Wort halten zu müssen.“ Auch die Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“ bleibt skeptisch. Asien-Pazifik-Vizedirektorin Catherine Barber sagt: „Der Gegensatz zwischen den Zusicherungen auf höchster Ebene und der Realität am Boden ist krass.“

Tatsächlich wird die Situation rund um das Chaoyang-Krankenhaus gefährlicher. Zwei Unterstützer Chen Guangchengs sind von Zivilbeamten misshandelt worden, als sie versuchten, sein Krankenzimmer zu erreichen. Einer von ihnen, der Anwalt Jiang Tianyong, soll nach Auskunft seiner Frau auf die Ohren geschlagen worden sein. Andere Freunde sind festgenommen worden. Ein US-Arzt erhielt vereinbarungsgemäß Zugang zu Chen. Ob US-Diplomaten von den Sicherheitskräften zu ihm vorgelassen worden waren, war am Wochenende unklar.

Auch für Journalisten wird die Arbeit beim Krankenhaus schwieriger. Laut des Auslandskorrespondentenklubs in Peking (FCCC) wurde einigen Korrespondenten der Presseausweis abgenommen, als sie auf dem Krankenhausgelände recherchierten. Anschließend wurde ihnen in Einzelgesprächen mit dem Entzug des Visums gedroht. Wie nervös Chinas Behörden sind, zeigt auch ein Vorfall bei den am Freitag zu Ende gegangenen US-China-Gesprächen in Peking. Dort sollen Journalisten aufgefordert worden sein, ihre Sonnenbrillen abzunehmen. Offenbar wurden sie als symbolische Unterstützung für den blinden Chen Guangcheng angesehen, der eine große schwarze Sonnenbrille trägt. Dagegen ist die Aktivistin He Peirong, die ihn in ihrem Auto nach Peking gefahren hatte, offenbar nach einigen Tagen Polizeigewahrsam wieder zu Hause. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter schrieb sie: „Ich bin nach Hause gekommen, alles in Ordnung, danke für alles.“

Mutter und Bruder des Menschenrechtsaktivisten sind noch in der Gewalt lokaler Behörden, die Chen jahrelang misshandelt hatten. Unklar ist das Schicksal seines Neffen, der sich nach der Flucht des Onkels mit einem Messer gegen eindringende Sicherheitskräfte gewehrt hatte. Ungewiss ist auch das weitere Vorgehen für die vereinbarte Ausreise. Da Chen und seine Familie keine Reisepässe besitzen, müssten sie eigentlich in die Heimatprovinz Shandong zurückreisen, um diese zu beantragen. Dort aber warten auch ihre Peiniger. Phelim Kine von „Human Rights Watch“ sagt: „Was jetzt gebraucht wird, ist eine öffentliche Bestätigung durch die chinesische Regierung und ein Zeitplan dafür, wie und wann dieser Prozess abgeschlossen sein wird.“

Staatliche chinesische Medien kritisierten das Vorgehen der USA. „Als er versuchte, internationale Aufmerksamkeit zu erlangen, indem er gegen die Regierung Gewalt ausübte, wurde Chen unglücklicherweise zu einem politischen Pfand und ist von einigen westlichen Mächten als Werkzeug missbraucht worden, um gegen Chinas politisches System zu arbeiten“, schreibt ein Kommentator der „Global Times“. Zu den Zeitungen mit negativen Meinungsstücken zählte auch die „Beijing News“, die einen seriösen Ruf hat. In der Nacht zum Samstag erschien dann auf ihrer Kurznachrichtenseite plötzlich das Foto eines traurigen Clowns, der an einer Zigarette zieht. Darunter stand: „In der Stille der dunklen Nacht, die Maske der Unehrlichkeit abnehmend, sagen wir zu unserem wahren Selbst: „Es tut mir leid“.

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