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Chirac: Zaudernd und ohne Rezept

Er wirkte fahrig, müde und gestresst. Vor der elften Krawallnacht mit Szenen, die nach Bürgerkrieg aussahen und als Fernsehbilder um die Welt gingen, kam Jacques Chirac aus der Reserve - zumindest ein wenig.

Paris - Sein langes Schweigen zu dem Aufruhr jugendlicher Randalierer in den Vorstädten hatte die politischen Freunde irritiert und den politischen Gegnern Wasser auf die Mühlen geleitet. Als der Präsident am Sonntagabend endlich das Wort ergriff, wozu er von vielen Seiten gedrängt worden war, bemühte er sich um festes Auftreten. Ein Rezept gegen das Chaos brachte er nicht mit.

Schrotkugeln gegen die verhasste Nationalpolizei CRS, ein in Flammen aufgehendes Finanzamt, eine Attacke gegen ein Polizeikommissariat, das war die Antwort der Gewalttäter. Absoluten Vorrang habe die «Wiederherstellung der Sicherheit und öffentlichen Ordnung», hatte der Staatspräsident den Aufrühren klarzumachen versucht. Dann erst könne man über die Achtung des Einzelnen, über Gerechtigkeit und Chancengleichheit reden. «Das Gesetz muss das letzte Wort haben. Diejenigen, die Gewalt und Angst säen wollen, werden dingfest gemacht, vor den Richter gebracht und bestraft.»

Also nicht wie üblich Zuckerbrot und Peitsche, sondern: erst Ruhe im Land und dafür dann - vielleicht - später eine soziale Belohnung. Die sozialistische Opposition nannte den TV-Auftritt ein «Vergeuden von Zeit» mit Allgemeinplätzen, während das Land doch dringend Taten brauche. Für die Kommunisten erkennt der politisch angeschlagene Chirac schlichtweg die Zeichen der Zeit nicht. «Wer ist der Kapitän an Bord, und welchen Kurs steuert er in der schweren Krise?» Diese Frage hatte selbst der konservative Abgeordnete Nicolas Dupont-Aignan in den vergangenen Tagen gestellt, als Chirac «seltsam stumm» war.

«Worauf wartet der Präsident, warum kommt er nicht hierher zu uns?» Engagierte junge Sozialarbeiter und auch Gewerkschafter wie Mustapha aus Blanc Mesnil wollen den Staatschef in den gebeutelten Problemvierteln sehen: «Wir bräuchten hier einen Charles de Gaulle, doch dieser Schuh ist für Chirac vielleicht eine Nummer zu groß.» Der Staat mache viel zu viele Versprechungen, die nicht eingehalten würden, meint Mustapha. Dazu kämen all die selbstgefälligen Reden.

Nachdem Chirac in ihnen keine Hoffnung aufkommen ließ, warteten sie also wieder - vielleicht auf das, was Premierminister Dominique de Villepin an sozialen «Beruhigungsmitteln» verteilen wollte. Immerhin spricht der Staatspräsident seit dem Ausbruch der dramatischen Krise täglich zehn, zwölf Mal mit seinem getreuen Regierungschef, um Wege aus diesem Desaster zu finden.

Spätestens seit dem verlorenen Referendum in Frankreich zur EU-Verfassung Ende Mai hat für die Medien an der Seine die «Zeit nach Chirac» begonnen. Mit seinem neuen Premierminister wollte er das Ruder dann noch einmal, soweit möglich, herumreißen. Eineinhalb Jahre vor der Präsidentenwahl ist er dabei, in einen gefährlichen Strudel sozialer Probleme zu geraten. Die politischen Folgen dürften enorm sein. (Von Hanns-Jochen Kaffsack, dpa)

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