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Wie war der Wahlkampf? Fragen und Antworten in der Tagesspiegel-Umfrage.

© imago/Ralph Peters

Civey-Umfrage für den Tagesspiegel: Zwei Drittel der Deutschen werten AfD-Wahlkampf als unfair

Die große Mehrheit der Wahlberechtigten lässt sich von der Werbung der Parteien wenig beeinflussen. Weder das Spitzen-Duell noch die Wahlplakate bewegen die Wähler.

Fünf Mal werden wir noch wach, heißa… Nun ja, das mit dem „heißa“ ist so eine Sache in diesem Jahr. Wer sich in den vergangenen Tagen und Wochen mit Freunden und Bekannten unterhalten hat, der bekam nicht den Eindruck, dass am kommenden Sonntag das Schicksal der Republik auf dem Spiel stehen wird. Und wer schon einige Wahlen hinter sich hat, kommt leicht zum Schluss, es habe da schon lebendigere Wahlkämpfe gegeben. „Willy wählen“ 1972 zum Beispiel, oder „Stoppt Strauß“ 1980, oder die Einheitswahl mit Helmut Kohl 1990. Acht Jahre später peilte Gerhard Schröder das rot-grüne Projekt an, das er 2002 gegen Edmund Stoiber verteidigen musste.

Andererseits: Hat es in jüngerer Zeit Töne im Bundestag gegeben, wie sie jetzt die AfD anschlägt?

Exklusiv für den Tagesspiegel hat das Berliner Meinungsforschungsinstitut Civey, das seine Daten ausschließlich online erhebt, Fragen zum Wahlkampf gestellt. Ob es am Mangel an Spannung liegt oder auch am Mangel, sich auf den Wahlkampf einzulassen – eine deutliche Mehrheit der Bürger ist jedenfalls unzufrieden mit diesem Wettbewerb um ihre Stimmen. Nur 16,3 Prozent der Teilnehmer der Befragung sagen, sie seien sehr oder eher zufrieden. Dagegen sind 35,1 Prozent weniger zufrieden mit dem Wahlkampf, ein Viertel ist gar nicht zufrieden. Entsprechend sind zwei Drittel nicht der Meinung, dass in den vergangenen Wochen von den Wahlkämpfern die wichtigsten politischen Themen ausreichend angesprochen worden seien. Nur jeder Fünfte meint, das sei doch der Fall gewesen.

Gab es Themen, die fehlten?

Dem Wahlkampf hat ein dominierendes Thema gefehlt, das zu einer Polarisierung hätte führen können. Fragt man konkret, welches Alltagsproblem denn im Wahlkampf vermisst wurde, ergibt sich allerdings, dass keines wirklich herausragt. Immerhin jeder vierte Teilnehmer gab an, ihm oder ihr sei die Kriminalität zu kurz gekommen. Auf dem zweiten Platz, mit 14,2 Prozent, kommen die Mietpreissteigerungen. Doch Bildungsthemen wie Unterrichtsausfall oder fehlende Kinderbetreuung liegen ebenso unter zehn Prozent wie das langsame Internet oder der Stau auf den Straßen – alles keine wirklichen Aufreger also.

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Aber hat wenigstens das einzige TV- Duell zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem Herausforderer Martin Schulz (SPD) etwas bewegt? Nein, hat es nicht. Jedenfalls nicht bei der übergroßen Mehrheit von 89,1 Prozent. Nur 9,2 Prozent sagten, es habe Einfluss auf die eigene Wahlentscheidung. Auch die Wahlplakate bringen die Bürger nicht sonderlich in Wallung. 37 Prozent sagen, keine Partei habe mit ihren Plakaten ihre Aufmerksamkeit erregt. Allenfalls bei AfD (15,1 Prozent) und FDP (13,5 Prozent) haben etwas mehr Bürger etwas genauer hingeschaut. Die vier Bundestagsparteien kommen auf Aufmerksamkeitsquoten zwischen 8,2 Prozent (CDU und CSU) und 3,1 Prozent (Grüne).

Was letztlich zu dem schon gar nicht mehr so bemerkenswerten Ergebnis führt, dass nur 16,5 Prozent der Befragten sagen, sie hätten in den vergangenen acht Wochen ihre Wahlentscheidung verändert. Während 79,2 Prozent trotz Wahlkampf bei ihrer Entscheidung blieben, ob nun für eine Partei oder für das Fehlen bei der Wahl.

Dass immerhin jeder siebte potenzielle Wähler sich bewegen ließ, macht die Wahl am Sonntag zwar auf den ersten Blick nicht spannender, aber da sich hochgerechnet damit gut zehn Millionen Wahlberechtigte irgendwie nicht ganz sicher waren, steckt darin schon Überraschungspotenzial.

Wie fair war der Wahlkampf?

Wenn die Spannung fehlte, hat das unter Umständen auch damit zu tun, dass die Parteien sich gegenseitig ein bisschen geschont haben – auch mit Blick auf eine möglicherweise schwierige Koalitionsbildung nach dem 24.September. Jeweils mehr als die Hälfte der Befragten nahm den Wahlkampf von Union und SPD als sehr fair oder eher fair wahr. Dahinter folgen FDP (44,8 Prozent) und Grüne (42,1 Prozent), ein bisschen Abstand haben schon die Linken (37,9 Prozent). Aber allen fünf Parteien bescheinigen deutlich weniger Bürger, sie hätten keinen fairen Wahlkampf geführt – die Werte liegen zwischen 29,5 Prozent für die Linke und 20,7 Prozent für die FDP. Aus dem Rahmen fällt jedoch die AfD: Nahezu zwei Drittel haben den Wahlkampf der Rechtspartei als weniger oder gar nicht fair empfunden, 20,7 Prozent als sehr fair oder eher fair.

Schaut man sich die Parteien einzeln an, dann wurde der vor allem auf die Popularität und den Kanzlerinnenbonus Merkels fokussierte Wahlkampf der Union von 62,6 Prozent als mehr oder weniger inhaltsleer empfunden. Nur gut ein Viertel hatte den entgegengesetzten Eindruck. Entsprechend fanden den Unions-Wahlkampf auch nur 27,5 Prozent als überzeugend, während 57,8 Prozent das Gegenteil sagten (nein oder eher nein).

Der Wahlkampf von Merkels Partei wurde im Vergleich mit der SPD auch als der weniger konkrete eingestuft: 21,2 Prozent sahen in der Kampagne der CDU/CSU mehr politische Inhalte, bei den Sozialdemokraten immerhin 31 Prozent. Fast die Hälfte entschied sich hier für ein Unentschieden. Neben den neuesten Umfragen deuten auch diese wenig mitreißenden Zahlen darauf hin, dass die Union ihr Ergebnis von 2013 (41,5 Prozent) wahrscheinlich nicht erreichen wird.

War "Soziale Gerechtigkeit" als SPD-Thema richtig?

Dass der SPD-Wahlkampf insgesamt dennoch als noch weniger überzeugend wahrgenommen wird, hängt wohl auch damit zusammen, dass viele Wähler Martin Schulz nicht (mehr) als die richtige Besetzung für den Spitzenkandidaten halten. Ob die Partei mit ihrem zentralen Kampagnenthema danebenlag, ist freilich nicht sicher. Soziale Gerechtigkeit halten 43,7 Prozent für die falsche Wahl, 42 Prozent dagegen für richtig. Dass Ex-Parteichef Sigmar Gabriel als Außenminister im Wahlkampf präsent war, hat nach Ansicht von 45,4 Prozent eindeutig oder eher genutzt, während nur 21,3 Prozent sagen, das habe geschadet (ein Drittel ist unentschieden, was wiederum bedeutet, dass die Frage nicht ganz so im Mittelpunkt der Wahrnehmung stand). Deutlicher negativer wurde das Engagement von Ex-Kanzler Gerhard Schröder beim russischen Rosneft-Konzern wahrgenommen. 58,4 Prozent der Teilnehmer der Online-Befragung meinten, es habe der SPD geschadet, 29,9 Prozent waren entgegengesetzter Meinung.

Dass die Grünen selten einmal ihr gar nicht so geringes Wählerpotenzial ausschöpfen können, ist unter Demoskopen eine Erfahrungsregel. In diesem Wahlkampf scheinen sie so wenig Eindruck gemacht zu haben, dass sie auch am 24. September weit unter ihren Möglichkeiten abschneiden dürften. Ganze neun Prozent der Befragten fanden den Wahlkampf der Grünen überzeugend, der geringste Wert aller Parteien. Drei Viertel der Wähler halten den Auftritt der Grünen dagegen nicht für überzeugend. Was auch daran liegen kann, dass nur 18,9 Prozent der Befragten meinen, das Antreten mit zwei Spitzenkandidaten nutze einer Partei (unter denen dürften sich auch die legendäre grüne Rampensau Joschka Fischer einreihen).

Das Doppelspitzen-Problem trifft grundsätzlich auch die Linken, von deren Wahlkampf sich aber immerhin 17 Prozent der Befragten überzeugt zeigen (was ungefähr dem Wählerpotenzial bundesweit entspricht). Die Reichweite der Partei begrenzt nach wie vor ihre starke Ost-Verankerung und das verbreitete Bild, ihre Forderungen gingen zu weit oder seien nicht finanzierbar.

Wie gut kam die FDP an?

Die FDP mit Christian Lindner an der Spitze scheint über das eigene Wählerpotenzial hinauszuwachsen. Dass 31,9 Prozent der Meinung sind, die Freien Demokraten führten einen überzeugenden Wahlkampf (es ist der beste Parteienwert), dürfte aber auch damit zusammenhängen, dass die Partei nach vier Jahren in der Versenkung von einem Neugier-Effekt profitiert. Die Fokussierung auf Lindner, der auf allen Großplakaten auftaucht, halten 33,6 Prozent für richtig, 45,2 Prozent für falsch. Lindner kommt insgesamt recht gut an. Viele Wähler glauben, er sei für die Partei wichtiger als das Wahlprogramm – was freilich ungemütlich werden kann, wenn die Leute sich dem Inhaltlichen zuwenden.

Und welches Potenzial hat die AfD? 70,3 Prozent der Befragten fühlen sich von ihrem Wahlkampf nicht angezogen, 10,8 Prozent sind unentschieden. Macht einen Anteil von 18,9 Prozent, die der Meinung sind, die Rechtspartei führe eine überzeugende Kampagne. Der harte Kern der AfD in der Wählerschaft läge demnach bei den 10,6 Prozent, die das ohne Einschränkung bejahen. Ähnlich viele Wähler glauben, mit der AfD würde sich die Lage in Deutschland verbessern.

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