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Innig. Normalerweise ist Horst Seehofer vieles nicht recht von dem, was die Europa-Kanzlerin Angela Merkel tut. Nun braucht er sie - und sie eine starke CSU.

© Andreas Gebert/dpa

CSU-Parteitag: Die Charmeoffensive des Horst Seehofer

Ein Jahr vor der Landtagswahl erreicht die CSU beinahe schon wieder absolute Stärke. Wem sie das zu verdanken hat, weiß die Partei aber nicht so genau. Eine Reportage vom „Arbeitsparteitag“ in München, auf dem sich Ministerpräsident Seehofer etwas ganz besonders vorgenommen hat.

Von Robert Birnbaum

Der Horst blickt sinnend an der Messehallenparkhauswand hoch in den strahlend weiß- blauen Himmel, und wie er sich so ins Licht dreht, sieht man es: Das Muster auf der Krawatte, das sind wirklich lauter kleine „H“.

Die Krawatte, erzählt Horst Seehofer, hat ihm seine Staatskanzlei zum Geburtstag geschenkt, und seine Frau hat gesagt, die musst du aufheben, die ist echt nobel. Was die vielen „H“ bedeuten? Na, „Horst“, wahrscheinlich, klar doch.

Man sieht, der Gedanke gefällt ihm, eine Privatkrawatte nur für ihn. Bis plötzlich jemand sagt, Herr Ministerpräsident, drehen Sie die doch mal um, dass man den Hersteller sehen kann. „Hermès“ steht auf dem kleinen Markenschildchen. „H“ wie Hermès, der Edelcouturier. Nix Horst. Man sollte bei der CSU, insbesondere soweit sie aus ihrem Vorsitzenden besteht, dem ersten Anschein eben niemals trauen.

Dem ersten Anschein nach ist zum Beispiel ja auch dieser Parteitag in München ein ganz normales Ereignis. Man könnte sogar von einem betont normalen Ereignis sprechen, weil Seehofer der alljährlichen Delegiertenversammlung das Etikett „Arbeitsparteitag“ hat verpassen lassen. Nein, versichert auch sein Generalsekretär Alexander Dobrindt, nein, ein Jahr vor der Landtagswahl, da sei es noch viel zu früh für Wahlkampf. Den mögen, bitte schön, die Sozialdemokraten an diesem Sonntag bei ihrem Parteitag in Nürnberg eröffnen, wo sie den Münchner Oberbürgermeister Christian Ude feierlich zum Spitzenkandidaten küren, sich Mut zujubeln und vom Machtwechsel träumen. Die CSU, sagt Dobrindt, habe noch zu arbeiten, für Bayern.

Für „Starkes Bayern, sichere Zukunft“, um genau zu sein, weil, so steht es als Motto an der Messehallenwand. „Starke CSU“ dort hinzupinseln, traut sich Dobrindt noch nicht wieder, schon, um ihre Zukunft nicht zu verspielen.

Im Moment sieht es damit so schlecht nicht aus. Seit einem guten Jahr schleichen sich die Umfragewerte wieder leise, leise an vergessen geglaubte Traumnoten der einstigen Staatspartei heran. 48 Prozent messen die Umfrageforscher aktuell. Das könnte, je nachdem wie es mit Kleinparteien wie den Piraten oder der FDP ausgeht, dann schon für eine absolute Mehrheit reichen.

Das Dumme ist nur, dass selbst in der CSU keiner so genau weiß, womit sie das verdient haben. Die Stimmung ist deshalb auch ein wenig schwebend – nicht mehr gedrückt, wie nach der Niederlage vor vier Jahren, aber weit entfernt von jener „Großkotzigkeit“, die, so sagt es einer aus dem Landtag, irgendwie ja schon auch zum Charakter der Partei gehöre.

Natürlich spielen bei den Zahlen die Schwächen der Konkurrenz eine große Rolle. 39 Prozent gibt die erwähnte Umfrage der SPD, den Grünen und den Freien Wählern zusammen. Für einen „Ude-Effekt“ ist das zu wenig. Dem durchaus populären Sozialdemokraten droht eine sich selbst erfüllende Negativprophetie: Solange es nicht plausibel so aussieht, dass er die CSU-Herrschaft brechen könnte, kann er sie nicht brechen.

Nicht wirklich clever war es wahrscheinlich auch von dem Freien Ober- Wähler Hubert Aiwanger, 2013 außer in Bayern zugleich bundesweit anzutreten. Erstens überdehnt das ersichtlich die Ressourcen seiner Truppe. Und zweitens gibt das jemandem wie der oberbayerischen CSU-Bezirksvorsitzenden Ilse Aigner die Chance, hintertrieben lächelnd zu unterscheiden zwischen den Aiwangerschen und den „wirklich freien Wählern“.

Na, klar - Europa! Aber das "richtige" muss es sein.

Die Ilse ist übrigens an diesen zwei Tagen beständig dezent umschwärmt von Kamerateams. Am Freitag kommt sie eine Viertelstunde später in den Saal, drückt allseits Hände und wehrt ansonsten Fragen nach ihrem Status als Kronprinzessin mit dem Standardsatz ab: „Bayern ist keine Monarchie mehr.“

Dann tanzt Aigner in die erste Reihe, wo das Parteipräsidium sitzt, drückt auch da jedem die Hand und wäre von Edmund Stoiber fast in den Arm genommen worden. Seehofers Händedruck fällt mikroskopisch knapp aus, weil, der Parteivorsitzende hat gerade einen sehr ernsten und wichtigen Sachverhalt mit dem Verkehrsminister Peter Ramsauer an seiner Seite zu erörtern.

Wenn es im nächsten Herbst gut ausgeht mit der CSU, wird es heißen, die Ilse habe klug daran getan, ihre Zukunft als Landwirtschaftsministerin in Berlin mit einer in der Heimat zu vertauschen. Aigner bedient ein Bedürfnis, das in der Parteispitze ansonsten eher brach liegt: die Sehnsucht nach einer Sympathieträgerin. Allerdings tauchen die vielen Kamerascheinwerfer ihre interne Position in ein etwas zu grelles Licht.

Am Samstag steht Aigner inmitten eines Journalistenschwarms im Foyer und erklärt die bayerische Welt. Schräg hinter ihrem Rücken steht ein Bildschirm, auf dem Sat 1 Bayern in Dauerschleife die Daten der jüngsten Umfrage präsentiert. Für Aigner wünschen sich 49 Prozent der Befragten eine zukünftig wichtige Rolle. Aber der Finanzminister Markus Söder kommt sogar auf 50 Prozent.

Ein Mannsbild hat halt schon auch seine Anhänger, und die Ilse ist eben nicht der KT. Den, vulgo Karl-Theodor zu Guttenberg, will Seehofer übrigens nach der Wahl nun aber wirklich wieder in die Politik zurückholen, „Spitzenposition“, jedenfalls hat er das am Rand des Parteitags gesagt. Der Satz fällt aber eindeutig unter das Krawatten-Theorem: Er meint eher nicht, was drauf zu stehen scheint.

Immerhin zeigt der Vorgang, wie sich Seehofer selbst den Aufwind erklärt und befördern will. Der Horst, sagen Leute, die das durchaus kritisch sehen, verspreche jedem alles, winke jeder Gruppe mit einem Zückerchen, also auch den KT-Monarchisten, und lasse von jeder Position auch das Gegenteil gelten. Das sei zwar, einerseits, guter christsozialer Volksparteienbrauch. Aber es gehe, andererseits, gerade den treuen Anhängern doch sehr gegen den Strich, dass ihr Landesvater die Spreizung von Populismus bis Staatsmannstum ständig höchstselbst vollzieht.

Der Parteitag bietet dafür einen Anschauungsfall, der auch bundesweit verständlich ist. Seit Wochen schießen maßgebliche Christsoziale Breitseiten gegen die Griechen. Söder will Exempel an den Sparsündern statuieren, Dobrindt redet von Euro-Austritt, und der Europa-Leitantrag für die Delegierten insistiert darauf, dass der Euroraum eine Austrittsmöglichkeit schaffen solle. Die Delegierten sitzen noch im Auto nach München, da fügt der Parteivorsitzende dem Blaskonzert eine völlig neue Piano-Tonlage hinzu: Über einen Aufschub für die Griechen, auch wenn er teurer würde – „kann man reden“.

Wenn es gut ausgeht mit der CSU bei der Landtagswahl, werden alle Ilse Aigner für ihren Weitblick preisen.

© Andreas Gebert/dpa

Die Sonne scheint immer noch auf Seehofers H-Krawatte. Er hat jetzt gerade ein bisschen Zeit, weil, er wartet vor der Parteitagshalle auf Angela Merkel. Die Gastrede der CDU-Vorsitzenden ist fester Bestandteil der Tagesordnung. Also, Herr Seehofer, was ist mit dem taufrischen Verständnis für die Griechen?

Seehofer blickt den Frager an. „Das müssen Sie dreidimensional sehen“, sagt er. Dreidimensional. Er sinnt dem Wort kurz nach. Es gefällt ihm, auch wenn er selbst noch nicht weiß, was es heißen soll. Der Horst ist ein Spieler, auch ein Wortspieler. Man tut gut daran, ihn nicht wörtlich zu nehmen. Jetzt also: dreidimensional. Man müsse, erläutert Seehofer, doch davon ausgehen, dass der Bundestag demnächst die nächste Hilfe für Griechenland absegnen müsse. Und dann wäre es doch völlig falsch, wenn jetzt dieser Parteitag in die Gegenrichtung laufen würde. „Das wäre nicht ehrlich“, sagt Seehofer. Er setzt seinen treuherzigen Glaube-Mir-Blick auf. Richtig, das wäre nicht ehrlich. Nur konnte man dieses Dilemma vor Tagen und Wochen schon kommen sehen. Die Begründung ist plausibel; sie stimmt bloß nicht.

Der wahre Grund trägt diesmal grün. Angela Merkel müsste eigentlich hundemüde sein. Morgens um Drei hat sie in Brüssel einen Euro-Gipfel-Erfolg verkündet. Aber die CDU-Chefin findet Auftritte bei der CSU seit geraumer Zeit spaßig. Und gerade jetzt hat sie besonders viel Spaß: Hier ein bisschen sticheln gegen die gelegentlich widerborstige Unionsschwester, dort eine Predigt über Europa als „unsere Lebensversicherung“, am Schluss ein großer Appell zur Einigkeit: „Ich hab’ das ganz sichere Gefühl: Wir können das schaffen!“ Der Parteitagssaal hört konzentriert zu und klatscht lautstark Beifall. Seehofer umarmt sie auf offener Bühne. Merkel lässt es sich gefallen. Aber dann löst sie sich und dreht eine kleine triumphale Ehrenrunde auf der Tribüne, winkt in den Beifall hinein, tänzelt fast. Seehofer steht am Rande und schlägt die Hände aufeinander, ein Claqueur der Königin.

„Das ist mal wirklich was Neues“, sagt ein CSU-Funktionär, „dass der Bund diesmal den Süden mitzieht und nicht umgekehrt.“

Merkel braucht im nächsten Jahr ein gutes Ergebnis in Bayern, ihr Fraktionschef Volker Kauder sagt es am Samstag in München in entwaffnender Offenheit: „Eine starke CSU brauchen wir, damit wir in Deutschland Wahlen gewinnen und Angela Merkel Kanzlerin bleiben kann.“ Umgekehrt gilt das aber diesmal noch weit stärker. Die gleiche Umfrage, die der CSU landespolitisch 48 Prozent zugesteht, gibt ihr für die Bundestagswahl glatte 50 Prozent. Die zwei Punkte sind Merkels Punkte, mindestens. Seehofer kann sich einen Konflikt mit der Europa-Kanzlerin ausgerechnet in ihrer Paradedisziplin gar nicht leisten. Die eigenen Wähler würden ihn strafen.

Das haben sogar die wildesten Eurokritiker begriffen. Vor einem Jahr hat Peter Gauweiler versucht, als personifizierte Euroskepsis die engere Parteiführung zu entern. Es war nicht zuletzt die Ilse, die mit den Oberbayern im Rücken dafür gesorgt hat, dass aus dem Parteivize Gauweiler nichts wurde. Diesmal stimmt er dem gleichen Leitantrag zu, den direkt nach ihm der Europaabgeordnete Manfred Weber lobt. Ansonsten bildet er gemeinsam mit dem CSU-Urgestein Wilfried Scharnagl die neu erfundene Arbeitsgruppe „Bayern zuerst“. Bloß gut, dass beide Humor haben und deshalb nicht allzu sehr darunter leiden, dass die Gruppe stark vom Krawattenvirus infiziert ist: Die Aufschrift enthält auch eine Vermutung, die nicht stimmt. „Das Wort Separatismus werden Sie bei mir nicht finden“, hat Scharnagl der „Süddeutschen Zeitung“ denn auch bereits versichert: „Es geht, wenngleich knapp, an dem vorbei, was ich will.“

Nein, Separatismus ist gerade nicht angesagt bei den Christsozialen. Dass ihm deshalb die Zeitungen jetzt einen „Schmusekurs“ mit der CDU-Vorsitzenden attestieren, ist dem Horst allerdings auch wieder nicht recht. Als er am Samstag dem Parteitag seine Rede hält, eine sehr präsidiale und um das Motto „Starkes Bayern“ kreisende Ansprache, legt er darum – die Hand zu allem Überfluss fest aufs Herz gepresst – das Bekenntnis ab: „Europa ist die genialste Idee der Nachkriegsgeschichte“, ergänzt es aber um den Zusatz, es müsse das „richtige Europa“ sein.

Es kann sich nun jeder von den ansonsten gemächlich vor sich hin dämmernden Delegierten aussuchen, was er daheim den Parteifreunden erzählt: Die Geschichte vom guten Europäer Seehofer oder die vom richtigen. Das wären dann also schon mal zwei Dimensionen.

Es bleibt aber auch der Satz, der die Schlagzeilen vom „Schmusekurs“ ausgelöst hat, der Satz vom Aufschub für die Griechen, über den man „reden“ könne. Reden, bekanntlich, kann man über vieles. Eine Festlegung ist das nicht. Es klingt bloß so. Das ist vermutlich die dritte Dimension: dass man bei dem Wortspieler Seehofer gut beraten ist, ihn allerhöchstens ganz, ganz wörtlich zu nehmen.

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