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Politik: Dahinter steckt der Boom

Von Carsten Brönstrup

Realität und Theorie haben oft erstaunlich wenig miteinander zu tun – vor allem in der Wirtschaft. Da debattieren die Politiker in aller Breite darüber, ob weitere Steuererhöhungen zumutbar sind, zusätzlich zum schon beschlossenen Aufschlag bei der Mehrwertsteuer. Doch die Firmen und die Verbraucher scheren sich herzlich wenig um drohende neue Belastungen und präsentieren sich in bester Laune.

Der Aufschwung ist da, das zeigen nicht nur die immer neuen Rekordwerte beim Geschäftsklima oder dem Verbrauchervertrauen. Die Industrie sammelt neue Aufträge ein, steckt Geld in Maschinen und produziert so viel wie in den vergangenen fünf Jahren nicht. Auch der Arbeitsmarkt springt an, und nicht nur wegen der Frühlingswärme. Mancherorts haben Firmen schon Probleme, qualifizierte Fachkräfte zu finden. Dass die Konjunktur robuster ist als bisher gedacht, bestätigen auch die sechs großen Wirtschaftsinstitute in ihrem Frühjahrsgutachten. Immerhin auf knapp zwei Prozent Wachstum korrigieren die Fachleute ihre Prognose nach oben und damit auf ein Niveau, das für die deutschen Verhältnisse der jüngsten Zeit beachtlich ist.

Plötzlich erscheint es sogar möglich, dass der Aufschwung über den Jahreswechsel hinaus trägt und nicht von der höheren Mehrwertsteuer platt gewalzt wird. Und zwar nicht deshalb, weil die 24 Milliarden Euro, die die Bundesregierung Wirtschaft und Verbrauchern im kommenden Jahr entziehen will, ein Pappenstiel wären. Sondern weil die Sehnsucht nach dem Boom allerorten groß ist nach der langen Zeit von Stagnation und Rezession. Die Unternehmen haben sich modernisiert und mit effizienteren Strukturen neu aufgestellt. Auch deshalb verkraftet die Konjunktur derzeit das teure Öl und die eigentlich belastenden Aussichten auf höhere Kreditzinsen so gut.

Außerdem werden Handel und Industrie den Käufern am 1. Januar nicht einfach einen Preisaufschlag von drei Prozent vor die Nase setzen. Sie erhöhen die Preise schon jetzt behutsam. Dann, so lautet ihr Kalkül, können sie am 1. Januar sogar die eine oder andere Preissenkung werbewirksam verkünden. Alles in allem ist jedenfalls ein Preisschock und in der Folge ein dramatisch sinkender Konsum in den ersten Monaten des kommenden Jahres eher unwahrscheinlich.

Und selbst für den Fall, dass die Deutschen mit der teuren Mehrwertsteuer hadern sollten, die tragende Säule des Wachstums bleibt auch 2007 die starke Weltwirtschaft, also der Export. Zumal deutsche Hersteller immer stärker China, Indien und Osteuropa im Blick haben. Die Märkte also, die längst nicht gesättigt sind. Vielleicht sind die Institute mit ihrer Prognose von 1,2 Prozent Wachstum deshalb im kommenden Jahr sogar zu pessimistisch.

Doch auch wenn das Plus ein paar Zehntelpunkte höher liegen sollte – berauschend wäre das noch lange nicht. „Deutschland kann mehr“, hat Angela Merkel noch im Wahlkampf gesagt. Mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze und damit auf Dauer mehr Steuereinnahmen, alles das wäre möglich gewesen, würden Union und SPD eine Finanzpolitik mit Weitsicht betreiben. Zuwachsraten von drei oder vier Prozent sind keine Utopie, das machen andere Länder vor. So aber zahlt Deutschland einen hohen Preis dafür, dass die vermeintlich so starke große Koalition zu schwach ist, bei den Subventionen zu kürzen und den Staat effizienter zu machen. Bis zur Erhöhung der Mehrwertsteuer sind noch 200 Tage Zeit, den Kurs zu ändern.

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