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Politik: „Dahinter steckt eine Organisation“

Die türkische Polizei vermutet, dass der Richtermord von Ankara nicht die Tat eines Einzelnen war

Der Richtermord von Ankara war nicht die Tat eines einzelnen Wirrkopfs, sondern ein von einer Organisation gesteuerter Anschlag. Mit diesem Ermittlungsergebnis trat die türkische Polizei am Dienstag an die Öffentlichkeit, lehnte aber weitere Auskünfte zu dem Fall ab. Einige Zeitungen vermuten, die Täter hätten den Anschlag als islamistische Gewalttat inszeniert, um die islamisch geprägte Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in Schwierigkeiten zu stürzen und die Türkei von ihrem EU-Kurs abzubringen.

In den Verhören begründete der Schütze Alparslan Arslan den Anschlag auf das Oberste Verwaltungsgericht in Ankara damit, dass das Gericht mit einem Urteil im Februar das Kopftuchverbot in der Türkei bestätigt habe. Zu allen anderen Fragen schweigt er.

Bei dem Anschlag hatte es ein Todesopfer und vier Verletzte gegeben. Der Chef der türkischen Polizeibehörde, Gökhan Aydiner, sagte, die Gewalttat sei das Werk einer „organisierten Formation“ gewesen, deren Mitglieder festgenommen worden seien. Welche Ziele diese Organisation mit den Schüssen vom 17. Mai verfolgt haben könnte, ist unklar; Aydiner wollte sich mit Hinweis auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht dazu äußern.

Als Schlüsselfigur gilt der in Polizeihaft sitzende Ex-Soldat Muzaffer Tekin, der in den Tagen vor dem Anschlag sehr häufig mit dem Täter Arslan telefoniert haben soll. Tekin, der nach einem Selbstmordversuch am Wochenende festgenommen worden war, bestreitet allerdings jede Tatbeteiligung.

Für die regierungsnahe Presse steht fest, dass dunkle Kräfte aus dem Staatsapparat am Werk waren, die der Regierung ein Bein stellen wollten. Tatsächlich gibt es einige Merkwürdigkeiten. So erklärte eine Gerichtssprecherin, der Täter habe sich als „Soldat Allahs“ bezeichnet und gesagt, er werde die Richter für ihr Kopftuchurteil bestrafen – dagegen sagten einige der bei dem Anschlag verletzten Richter, der Schütze habe schweigend geschossen. Ex-Soldat Tekin soll ein enger Freund von früheren Sicherheitsbeamten sein, die als selbst ernannte Retter des Staates in den neunziger Jahren mit Hilfe der Mafia einen illegalen Rachefeldzug gegen angebliche Unterstützer der Kurdenguerrilla PKK führten. Dieselbe Szene könnte jetzt versucht haben, gegen die Erdogan-Regierung vorzugehen, wird spekuliert.

Was immer hinter den Schüssen auf das Gericht gesteckt haben mag – Erdogan ist angeschlagen. Der Ministerpräsident lieferte sich in den vergangenen Tagen einen öffentlichen Streit mit den streng anti-islamistischen Militärs und sah sich wütenden Demonstrationen von Laizisten sowie Rücktrittsforderungen gegenüber. Als Folge gibt es immer mehr Forderungen nach vorgezogenen Neuwahlen, die von Erdogan bisher stets ausgeschlossen wurden.

Die außenpolitischen Folgen dieses Machtkampfs werden nicht lange auf sich warten lassen. Schon am Freitag wird Erdogan beim deutsch-türkischen Wirtschaftskongress in Berlin den deutschen Unternehmern erläutern müssen, warum sein Land trotz der innenpolitischen Turbulenzen ein guter Investitionsstandort ist. Zudem dürfte die Frage nach der Europafähigkeit Ankaras wieder stärker diskutiert werden, wenn Mitte Juni nach mehr als halbjähriger Vorbereitung die inhaltlichen Gespräche über einen türkischen EU-Beitritt beginnen. Schließlich gründen sich die Bedenken vieler europäischer Regierungen gegen die Türkei auf die Sorge wegen eines möglichen Erstarkens des islamischen Fundamentalismus. Auch die gerade jetzt wieder spürbare innenpolitische Einflussnahme der Armee wird in Europa kritisiert.

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