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Wir sind unglaublich gelassen, findet der Autor und fragt: Worüber regt das Land sich auf?

© dpa

Dann ist alles futsch: Harald Martenstein wendet sich an die 30-Jährigen

Der Euro, der Frieden, der Job, die Wirtschaft, die Renten und die Ersparnisse, alles ziemlich wacklig. Überall Crashgefahr. Die Generation der 30-Jährigen ist nicht zu beneiden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Martenstein

Ach, Sie sind 30 Jahre alt? Ich erzähle Ihnen, in welchem Land ich gelebt habe, als ich so alt war. Wir hatten eine Super-Währung. Mit der Mark waren Sie im Urlaub überall der King. Wenn Sie was sparen konnten, bekamen Sie von der Bank Zinsen ohne Ende. Aber man musste ja nicht unbedingt sparen. Die Renten waren sicher. Das Klima machte einen stabilen Eindruck. Wenn Sie einen Job suchten, kriegten Sie einen. Als ich mit der Uni fertig war, hatte ich drei Jobangebote. Angebote, verstehen Sie. Das war nicht ungewöhnlich, anderen ging es ähnlich.

Die beiden Supermächte bedrohten sich gegenseitig mit ihren Atomwaffen, wir gingen auf Friedensdemos. Aber rückblickend muss man sagen, dass der Frieden selten in der Geschichte so sicher war wie damals. Die Russen und Amis waren schließlich keine Irren. Die Idee, dass es in Europa jemals wieder einen Eroberungskrieg geben könnte, wäre uns völlig krank vorgekommen. Apropos „krank“: Die Masern waren besiegt, und in Berlin gab es zwei funktionierende Flughäfen. Terrorismus? Ein Problem, das man inzwischen im Griff hatte. Islamisten, Kalifate, Dschihad – wie bitte? Darüber hat Karl May Romane geschrieben, stimmt’s? Dieses Land gibt es nicht mehr.

Klar, man kann auch eine Gegenrechnung aufmachen. Der medizinische Fortschritt, das Internet, die deutsche Einheit, saubere Flüsse, alles prima. Aber unter dem Strich muss man wohl sagen, dass die Sicherheiten weg sind. Der Euro, der Frieden, der Job, die Wirtschaft, die Renten und die Ersparnisse, alles ziemlich wacklig. Überall Crashgefahr. Überall Baustellen. Ich glaube nicht, dass ich zu Hysterie neige, aber manchmal wird mir mulmig.

Mir wäre mulmiger

Wenn ich 30 wäre, dann wäre mir noch ein bisschen mulmiger. Wir sind unglaublich gelassen. Worüber regt das Land sich auf? Über den Stinkefinger von Varoufakis. Über diesen Sänger, der nicht beim Eurovision Song Contest antreten wollte – wie heißt er noch gleich? Die Probleme werden größer, die Themen werden kleiner. In einer Hinsicht haben es die 30-Jährigen natürlich besser.

Einige von ihnen erben später mal stattliche Vermögen. Glückwunsch! Ich bin nicht neidisch. Manche erben viel, andere wenig, das ist im Einzelfall vielleicht ungerecht, wie das Leben im Allgemeinen nicht dazu tendiert, gerecht zu sein. Aber wenn man es im Generationenmaßstab betrachtet, ist es in Ordnung. Ihr werdet das Geld brauchen, immerhin habt ihr, neben all dem anderen Ärger, auch noch diese Massen an zukünftigen Rentnern am Bein, meine Generation, die ihr durchfüttern müsst. Jetzt höre ich, dass eine kräftige Erhöhung der Erbschaftsteuer in Arbeit ist. Na ja, wenn der Crash kommt, ist sowieso alles futsch.

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