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Politik: Das echte Bild vom falschen Film

KRAWALLE IN BERLIN

Von Lorenz Maroldt

Mit der richtigen Musik dazu sehen die Fernsehbilder von den Krawallen in Berlin aus wie Clips von MTV. Dutzende kleine Avril Lavignes mit ConverseTurnschuhen, XXL-Shirts und knapp unterm Knie abgeschnittenen Baggies hüpfen auf Autodächern herum, so wie es die echte Avril in ihrem Video zum Hit „sk8ter boi“ vorgemacht hat. Hunderte kleine Eminems zeigen ihre Muckis und fetten Falschgoldringe an den Fingern. Und unzählige kleine Johnny Knoxvilles spielen mit dem Mut zur Selbstverletzung die Skandalserie „Jackass“ nach. Ist das nur ein schlechter Film, der einmal im Jahr, am Abend des 1. Mai, wieder abgespult wird?

Doch das Kreuzberger Treiben ist echt, und es ist nicht komisch. So sehr sich Politik und Polizei auch bemühen, sie können es offenbar nicht abstellen, mit welcher Taktik auch immer. Wird das also jedes Jahr so weitergehen? Nicht unbedingt. Es klingt seltsam: Dieser 1. Mai hat mehr Wege zu einer friedlichen Entwicklung gezeigt als jeder andere zuvor.

Mit Gefühl und Härte wollte Innensenator Körting vorgehen. Die Polizei hat mit entwaffnender Zurückhaltung erreicht, dass die eigentlichen Demonstrationen weitgehend friedlich blieben. Das war das versprochene Gefühl. So konnten größere Straßenschlachten diesmal verhindert werden. Dieser Teil des Konzepts ist aufgegangen. Die Polizei hat aber andererseits zu spät die ebenfalls angekündigte Härte gezeigt. Sie agierte nicht, sondern reagierte, und zwar erst, als es schon brannte.

Zwei Gruppen waren im Wesentlichen am Krawall beteiligt. Zur einen gehören die Avril Lavignes und ihre Skater Boys. Sie genießen das Adrenalin, das im Lärm von Sirenen und zersplitterndem Glas durch ihre Adern jagt wie eine seltene Droge. Am 1. Mai erproben sie ihren Mut. Je lieber, je länger sie dürfen; er verlässt sie allerdings meistens schon mit dem ersten harten Griff an ihren dünnen Armen. Auch die Johnny Knoxvilles zählen zu dieser Gruppe. Sie sind allesamt Kandidaten für das gut gemeinte Kulturprogramm, wenn es denn gut gemacht ist. Sie würden sich von einer Überzahl zum Frieden entschlossener Bürger in Schach halten lassen, bis der Anfall vorbei ist.

Anders sieht es aus mit den Eminems, die meist kampferprobt sind und überwiegend aus Zuwandererfamilien stammen. Hier hat sich seit langem eine Szene etabliert, deren Kennzeichen die soziale Verwahrlosung ist, das aggressive Spiel um die Macht auf der Straße. Sie nutzt den 1. Mai in Kreuzberg als ihre Bühne, und sie schlägt nicht nur dort zu. Serientäter, die in den vergangenen Wochen so spektakulär auffielen wie der Schulhofprügler Sawis, der erst nach 60 von der Polizei registrierten Fällen immerhin in Untersuchungshaft kam, kommen aus dieser Szene. Man muss den Gründen für die Gewaltbereitschaft in diesen Gruppen nachgehen. Man darf aber dabei nicht das nahe Liegende vergessen: Hier werden Grenzen getestet, also hilft da erst mal nur Härte. In dieser Szene werden Schwache verachtet, und zeigt sich der Staat schwach, wird auch der verachtet. Ein Kulturprogramm, und sei es noch so gut gemeint wie gemacht, hilft hier nicht weiter. Oskar, der freundliche Polizist, leider auch nicht.

Von 1300 nur noch randalierenden Jugendlichen, die in größeren Gruppen in die Maischlacht zogen, spricht Innensenator Körting. Vielleicht, so sagt er weiter, sei man darauf nicht richtig vorbereitet gewesen. Das ist erstaunlich nach all dem, was schon war. Das macht aber auch Hoffnung. Die Politik weiß jetzt nicht nur, mit wem es die Polizei zu tun hat – sie sagt es auch. Und kann entsprechend handeln, mit Gefühl und gezielter Härte. Das ist gar nicht so complicated, wie Avril Lavigne meint.

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