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Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler in Athen mit dem griechischen Finanzminister Evangelos Venizelos.

© dpa

Griechenland: Das Gastspiel des Philipp Rösler

Für das klassische Singspiel braucht es eine ausweglose Situation und einen Helden. Athen steckt in der schwierigsten Lage seiner Geschichte. Und aus Deutschland kam einer, der helfen wollte. Philipp Rösler in Griechenland – Ein Reisebericht.

Von Antje Sirleschtov

Wäre Sophokles an diesem Freitag in Athen gewesen, er hätte Stoff in Hülle und Fülle finden können für eine seiner großen griechischen Tragödien: Ein Volk, das sich schuldig gemacht hat und nun sühnen muss. Und natürlich einen Helden, schicksalhaft verstrickt in das eigene Tun, mal gehasst und mal geliebt, am Ende jedenfalls entschwunden aus dem Irdischen, hinauf in den Himmel der Götter, woher er tags zuvor gekommen war, den Griechen zu helfen.

Dass der Meister des Singspiels selbstverständlich an diesem Freitag nicht in Athen war, ihn riefen die Götter schon vor knapp 2500 Jahren zu sich, tut kaum etwas zur Sache. Die Tragödie der Antike lebt trotzdem, wie jeder weiß, heute noch fort: In einem Land, auf dem ein tragischer Schuldenberg von rund 350 Milliarden Euro lastet, von dem kaum jemand glaubt, dass er jemals wieder abgetragen werden kann. In einem Volk, das seit Monaten spart, wo es nur geht und dennoch keinen Ausweg sieht, weil es das ganze Kürzen nur noch mehr in die Enge treibt. Und zuletzt auch in einem ganz und gar modernen Helden. Sehr jung, sehr asiatisch, sehr schicksalhaft mit dem Ort der Tragödie verbunden: Philipp Rösler. Deutschlands Vizekanzler, der den Griechen mitten im Überlebenskampf die Insolvenz an den Hals empfohlen hat und nun hierher kam, um dem Land wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen. 24 Stunden verbrachte er in Athen, sprach mit Ministern und dem Regierungschef, eröffnete ein deutsch-griechisches Unternehmertreffen und entschwand am Freitage in einem nagelneuen Airbus wieder in den Himmel über der Ägäis.

Hinterlassen hat der Held von Athen den Griechen nicht sehr viel: Das vage Versprechen, sich in Brüssel für eine Förderbank einzusetzen, die Kleinunternehmern irgendwann einmal Kredite geben soll. Die Zusage, Beamte aus Deutschland zu schicken, damit man ein wenig Ordnung in die griechischen Amtsstuben bringen kann. Und am Ende sogar noch einen für die Griechen zweifellos sehr unangenehmen Schuldschein. Weil der griechische Staat nicht nur Eigentümer der meisten großen Infrastrukturunternehmen und Krankenhäuser ist, sondern auch ziemlich pleite, schuldet er deutschen Konzernen schätzungsweise 500 Millionen Euro. Für Medikamente, Baumaterial, Telekom-Leistungen und mehr.

So weit, so schlecht. Schulden bleiben Schulden und müssen zurückgezahlt werden. Dass Athen seine Polizisten im Moment nur mit Not und vielleicht sogar bald überhaupt nicht mehr bezahlen kann und er als Vizekanzler Rösler eigentlich mit einer offiziellen deutschen Wirtschaftsdelegation nach Athen gekommen war, um den Griechen aus ihrem Schlamassel herauszuhelfen, störte den Gerichtsvollzieher Rösler jedoch wenig: Die Schuld müsse „baldmöglichst“ eingelöst werden, ließ der Minister die Gastgeber bereits beim Anflug wissen. Das sei schließlich „eine Frage der Rechtssicherheit“ und damit Voraussetzung für weiteres Engagement deutscher Unternehmen in Griechenland. Die Griechen, ohnehin wegen der früheren Insolvenzdrohungen des hohen Gastes aus Berlin sauer, waren erneut wenig amüsiert – und ließen Rösler denn auch ohne einen Cent wieder abreisen.

Doch nun zur Hilfe der Deutschen beim Aufbau der niederliegenden Wirtschaft in Griechenland: Um zu verstehen, in welcher Zwickmühle sich Griechenland befindet, muss man die Struktur der Wirtschaft betrachten. Bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein galt Griechenland vor allem als Agrarland. Später entwickelte sich daraus ein Land, das in erster Linie von Tourismus, Dienstleistungen und Landwirtschaft lebt. Zwar gibt es mittlerweile – neben der meist in staatlicher Hand befindlichen Infrastrukturindustrie – eine breite Palette von privaten Unternehmen in der Fertigung, Entwicklung und im Technologiebereich. Doch hier überwiegen im Vergleich zu Deutschland sehr kleine Unternehmen.

Als Beispiel für deren Probleme, sich zu vernetzen und dadurch auch international erfolgreich auftreten zu können, gilt die Herstellung von Olivenöl. Während die Rohstoffe dafür, die Oliven also, zu großen Teilen von Bauern aus Griechenland stammen, verdienen vorwiegend Großunternehmen aus Italien das Geld mit der Ölherstellung und Vermarktung in ganz Europa. Geradezu sinnbildlich dafür ist der einzige Vertrag zwischen einem deutschen und einem griechischen Unternehmen, den Philipp Rösler von seinem Besuch in Athen mitgebracht hat: Ein kleines Unternehmen, „Oliobric“ in Frankfurt am Main, will 2,5 Millionen Euro investieren, um in Griechenland aus Olivenkernen Briketts herzustellen, mit denen die Deutschen künftig ihre Steaks grillen sollen. 50 Jobs könnte das im besten Fall für Griechenland bedeuten. Keine Garantie zwar für das Wiedererstarken der dortigen Wirtschaft, aber „immerhin ein Anfang“, wie Rösler zum Abschluss seiner Reise sagte.

Glaubt man dem griechischen Wirtschaftsminister Michailis Chrysohoidis, dann steht das Unternehmertum seines Landes vor einer Blütezeit, die an die frühen 90er Jahre in Ostdeutschland erinnert. Befreit von dem bis dato herrschenden System einer bürokratischen und von alltäglicher Korruption durchsetzten Genehmigungsstruktur sollen griechische Klein- und mittelständische Unternehmen bald in neue Produkte investieren können und an Großprojekten internationaler Investoren beteiligt werden. Vor allem kleine Energieunternehmen, die ein paar Solaranlagen oder Windräder betreiben, machen sich große Hoffnungen, mit der Sonne ihres Heimatlandes demnächst Strom für Deutschland herstellen zu können, wenn hier die Atomkraftwerke vom Netz gehen. „Wir wollen die Wende schaffen“, rief Chrysohoidis den rund 400 zum deutsch-griechischen Wirtschaftsgipfel nach Athen angereisten Unternehmern kämpferisch zu und wurde in der Hoffnung nur noch von seinem Gast, dem „lieben Philipp“, übertroffen, der später meinte, auf den Unternehmerkongress würde nicht nur Deutschland, Griechenland und Europa sondern „wahrscheinlich die ganze Welt blicken“.

Doch das drückendste Problem der vielen kleinen griechischen Unternehmer ist sehr konkret – und auch der deutsche Vizekanzler und seine Wirtschaftsdelegation konnten daran nichts ändern. Denn es geht um Geld, das gebraucht wird, um zu investieren, und das den Griechen im Moment niemand geben will. Weder die eigenen Banken, denn sie haben kein Geld und waren daher zu dem Kongress nach Athen überhaupt nicht eingeladen. Und leider auch nicht die deutschen Investoren. Zwar hatte Rösler für Finanzierungsfragen eigens den Chef der staatseigenen Förderbank KfW aus Berlin mitgebracht. Doch der hatte für die Griechen nur eine einzige Botschaft: Ohne deutschen Partner gibt es kein Geld. Und auch dann nur, wenn europäische Förderprogramme bewilligt und landeseigene Hausbanken gefunden sind. Auf so ein deutsch-griechisches Gemeinschaftsprojekt in der Solarwirtschaft mit europäischen Hilfsmitteln haben sich zwar ein paar Unternehmer in Athen verabredet. Doch das blieb ein Einzelfall.

„Wir haben gut gegessen“, lautet daher das enttäuschende Fazit der Unternehmerin Victoria Kerner Alexandratou. Die Deutschgriechin betreibt mehrere Windparks und Solaranlagen in Griechenland und Portugal, wurde von der KfW 2007 sogar mit dem „europäischen Solarpreis“ ausgezeichnet. Alexandratou verdient Geld, hat all ihre Anlagen selbst finanziert. Nun will sie weiter investieren, braucht Kredite. Doch niemand will ihr Geld leihen, nicht in Griechenland und auch nicht in Berlin. In Athen auf deutsche Investoren, die Philipp Rösler mitgebracht hat, zu treffen: Darauf hatte Alexandratou gehofft. Doch gekommen, sagte sie, „sind vor allem Wettbewerber, die hier billig in den Markt einsteigen wollen“. Nein, meint sie, so werde die griechische Wirtschaft wohl nicht kurzfristig das einlösen können, was der deutsche Minister bei dem Kongress in Athen gleich mehrfach angemahnt hat, nämlich die „schnellstmögliche Herstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes“.

Mag sein, dass das auch ein bisschen viel verlangt ist von einem Land, in dem man noch heute für gute Ärzte, gute Schulen und sogar für die Zulassung eines Autos Geld in Briefumschlägen über den Tisch schieben muss; in dem der Staat neuerdings Privatfirmen beauftragt, Steuern einzutreiben. Und vor allem von einem Land, dem kaum jemand zutraut, dass es sich jemals von seiner Schuld befreien kann. Wohl auch nicht Philipp Rösler, der den griechischen Unternehmern zwar eine Förderbank versprochen hat, damit sie irgendwann einmal Kredite bekommen, um ihr Land wieder nach vorn zu bringen. Der in den 24 Stunden, die er in Griechenland verbracht hat, aber auf kaum etwas so häufig angesprochen wurde wie auf seine Worte von der „griechischen Insolvenz“, dem offensichtlichen Eingeständnis des Misstrauens in das südliche Land. Wiederholt hat Rösler sie zwar nicht, aber abrücken wollte er auch nicht, sprach nun von „Resolvenz“, einem Fachbegriff aus dem deutschen Insolvenzrecht, den es im Griechischen offenbar nicht gibt.

Wäre Sophokles am Freitag in Athen gewesen, er hätte die schicksalhafte Lage bestimmt erkannt, in der sich sein Land und auch dieser deutsche Held befinden. Die Griechen brauchen Geld und Vertrauen, um zu überleben. Doch beides will ihnen niemand geben. Und Philipp Rösler, der zunächst so Geschmähte, war nun gekommen, um zu helfen. Aber mit beinahe nichts in der Hand.

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