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Politik: Das Geld regiert

In den Verhandlungen von Union und SPD zeichnen sich Konturen ab – doch entscheiden werden die Finanzierungsfragen

SPD und Union haben bei ihrer dritten Koalitionsrunde am Donnerstag noch keinen Kompromiss in der Gesundheitspolitik und bei den Finanzen erreicht. Bei anderen Themen allerdings herrscht schon viel Einigkeit. Bis Mittwoch sollen die Facharbeitsgruppen ihre Arbeit beendet haben.

GESUNDHEIT UND PFLEGE

Die Finanzierung des Gesundheitswesens gehört zu den schwierigsten Themen der Koalitionsverhandlungen, eine Einigung gibt es noch nicht. Die Union will den Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung einfrieren – dagegen leistet die SPD Widerstand. Mehr Sympathie können CDU und CSU wecken für den Vorschlag, die beitragsfreie Mitversicherung für Kinder über Steuern zu finanzieren. Dafür würden 15 Milliarden Euro benötigt – offen ist, ob das finanzierbar ist. Die Arbeitsgruppe erwägt außerdem, die kostenlose Mitversicherung für nicht berufstätige Ehepartner durch ein „negatives Ehegattensplitting“ zu ersetzen. Das Einkommen würde rechnerisch auf beide Partner verteilt, für beide Hälften müssten bis zur Beitragsbemessungsgrenze Beiträge bezahlt werden.

Die SPD fordert eine allgemeine Versicherungspflicht für alle Bürger. Das bedeutet, dass auch private Versicherungen jeden versichern müssten, ohne Ansehen der Person. Außerdem will die SPD die privaten in den Finanzausgleich mit den gesetzlichen Kassen einbeziehen. Die Union lehnt das als „Bürgerversicherung durch die Hintertür“ ab. Es gibt Überlegungen, die Einkommensgrenze anzuheben, ab der ein Wechsel von gesetzlich zu privat möglich ist. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) will Vorschläge zur Kontrolle der Arzneimittelausgaben machen. Die Pflegereform wurde noch nicht besprochen.

RENTE

SPD und Union sind sich einig, dass die Frühverrentung gestoppt werden soll: Das Alter, mit dem Arbeitnehmer in den Ruhestand gehen, soll dem gesetzlichen weiter angenähert werden. In dieser Wahlperiode will die große Koalition außerdem entscheiden, ob die Altersgrenze ab 2011 oder 2012 schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben wird. Voll wirksam würde das voraussichtlich erst ab 2035. Die Anhebung gilt als wahrscheinlich, soll aber flankiert werden von einem Programm, mit dem die Chancen der über 55-jährigen auf dem Arbeitsmarkt verbessert werden. Die Union fordert, Arbeitnehmern nach 45 Beitragsjahren mit 63 Jahren eine abschlagsfreie Rente zu ermöglichen. Um kurzfristige Rentenlöcher zu stopfen, denken SPD und Union darüber nach, mehr Steuergelder in die Rente zu geben. Sonst droht 2007 ein Anstieg der Rentenbeiträge von 19,5 auf 19,7 Prozent. Langfristig will man am Ziel festhalten, bis 2020 die Beiträge bei 20 Prozent zu stabilisieren.

HAUSHALT

Die Entscheidungen in der Haushaltspolitik fallen erst am Schluss der Koalitionsverhandlungen, an diesem Donnerstag stand das Thema nicht auf der Tagesordnung. Klar ist: Bis 2007 sollen 35 Milliarden Euro im Bundeshaushalt eingespart werden, um die Maastricht-Kriterien einzuhalten. Das bedeutet wohl: Kürzungen bei Subventionen und Ausgaben, Streichen von Steuervergünstigungen, sowie Steuererhöhungen. Spekuliert wird, dass die Mehrwertsteuer in Stufen angehoben wird. Der designierte Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) legt der großen Runde am Montag detaillierte Vorschläge vor, wie die Summe aufgebracht werden soll. Unterstützt wird er dabei vom hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) – damit am Ende nicht eine Seite den schwarzen Peter hat.

FAMILIENPOLITIK

Die Arbeitsgruppe nähert sich wesentlichen Elementen der Politik der scheidenden Ministerin Renate Schmidt (SPD) an. Zu deren zentralen Punkten gehören Anstrengungen der Bundesregierung zum Ausbau der Kinderbetreuung (Tagesbetreuungsausbaugesetz, TAG), die bislang von der Union abgelehnt wurden, sowie die Einführung des Elterngeldes. Die Union will aber erreichen, dass die Höhe dieser Leistung sich am gesamten Familieneinkommen orientiert, was den Anreiz für Väter mindern würde, eine Erziehungspause zu nehmen. Die Union scheint gute Chancen zu haben, sich mit ihrer Forderung nach Mehr-Generationen-Häusern und einem Steuerfreibetrag für jedes Kind durchzusetzen. Allerdings stehen alle Vereinbarungen unter dem Finanzierungsvorbehalt: Was davon realisiert wird, wird erst nach Verrechnung mit anderen Vorhaben entschieden.

AUSSENPOLITIK

Die Außenpolitik war am Donnerstag im großen Kreis noch kein Thema, obwohl über viele Fragen Einigkeit erzielt werden konnte. Letzter Streitpunkt in den Verhandlungen, die am Freitagvormittag fortgesetzt werden sollen, ist die Türkei-Frage. Während die SPD die Vollmitgliedschaft des Landes in der EU immer befürwortet hatte, vertrat die Union dagegen das Konzept einer privilegierten Partnerschaft. Möglicher Kompromiss: Der umstrittene Begriff taucht nicht auf, dafür wird aber die Möglichkeit einer Alternative zur Vollmitgliedschaft für den unwahrscheinlichen Fall genannt, dass die Beitrittsverhandlungen schon in den kommenden vier Jahren scheitern.

INNEN UND JUSTIZ

Die Innen- und die Justizpolitik sind wenig kontrovers zwischen den Volksparteien. Einvernehmen herrscht etwa über die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung auch für Straftaten ohne Terror-Bezug. Offen ist aber noch eine Grundsatzfrage, die auf den ersten Blick gar nicht in diese Ressorts fällt: die Forderung der Union nach verstärktem Einsatz der Bundeswehr im Inneren.

VERTEIDIGUNG

Die Arbeitsgruppe Verteidigung war nach zwei Gesprächsrunden fertig, was schon zeigt, wie groß die Kontinuität werden dürfte. So ist denn auch das Ergebnis: Die Wehrpflicht bleibt, Landesverteidigung bleibt ebenso Auftrag wie Bündnispflicht und Auslandseinsatz. Ein verstärkter Einsatz der Armee im Inneren wird weder forciert noch ausgeschlossen. Wie auch in anderen Bereichen gilt hier der insgeheime Obersatz: „Das Nähere wird im Vollzug geregelt.“

AGRAR UND VERBRAUCHER

Über die Grundzüge der künftigen Regierungspolitik konnte der designierte Minister Horst Seehofer (CSU) mit der SPD schnell Einigkeit erzielen. Verabredet ist etwa, dass ein Verbraucherinformationsgesetz auf den Weg gebracht werden soll. Bei der grünen Gentechnik, über die sich Rot-Grün und Union in der letzten Legislatur zerstritten, sind viele Differenzen ausgeräumt: Die Union rückte von der Forderung ab, einen Haftungsfonds für finanzielle Risiken beim Gentechnik-Einsatz in der Landwirtschaft auch aus Steuergeldern zu finanzieren. Der Fonds soll aus freiwilligen Beiträgen der Hersteller gespeist werden.

VERKEHR

Trotz der angespannten Haushaltslage würde die Arbeitsgruppe gerne gut eine Milliarde Euro mehr als bisher in die Infrastruktur stecken. Das Geld soll auch der Bahn zugute kommen, die Investitionen ins Schienennetz verlangt. Offen ist die Privatisierung der Bahn. bib/ce/hmt

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