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© dpa

Politik: Das große Geschäft mit dem Klima

Wenn Industriestaaten in Entwicklungsländern investieren, um dort Treibhausgase einzusparen, dürfen sie zu Hause umso mehr Abgas produzieren – ein Ablasshandel mit höchst umstrittenen Folgen.

Yuan Liang, Topmanager des chinesischen Kohlekonzerns „Huainan Mining Group“, hat mit dem Schutz des Klimas eigentlich nicht viel im Sinn. An die 80 Millionen Tonnen Kohle jährlich holen seine Bergleute aus Bergwerken in der südchinesischen Provinz Anhui. Das meiste davon verfeuern konzerneigene Kraftwerke, die der Boomregion Schanghai Strom liefern. Die Gefahren des damit angeheizten Klimawandels mag der Kohleboss nicht erkennen. Das Problem „müssen die Regierungen lösen“, wehrt er ab, das sei nicht seine Aufgabe.

Gleichwohl macht Yuans Konzern mit dem Klimaschutz ein höchst lukratives Nebengeschäft. Den Rohstoff dafür liefert das methanhaltige Grubengas, das beim Abbau der Kohleflöze in die Schächte entweicht und dort zu Explosionen führen kann. Außerdem ist das Gas ein wertvoller Brennstoff. Darum ist es sinnvoll, es über ein Lüftungssystem aufzufangen und in Kleinkraftwerken zu verbrennen. Das schützt die Bergleute, produziert Strom für die Förderanlagen – und bringt außerdem eine Menge Geld aus Europa ein.

Denn Methan ist ein starkes Treibhausgas, das 20-mal intensiver wirkt als Kohlendioxid (CO2). Wird es verbrannt, anstatt einfach in die Luft geblasen zu werden, wird die Atmosphäre weit weniger belastet. Das lässt sich in eingesparte Emissionen umrechnen, schont also das Klima, und dafür zahlen Europas Steuerzahler und Stromkunden gutes Geld. Allein für die Grubengasverwertung in Anhui werden europäische Projektpartner dem Konzern bis 2012 gut 25 Millionen Euro zahlen. Chinaweit verdienen schon 19 weitere Bergwerksunternehmen an gleichen Projekten.

Klimaschutz, der Kohleproduktion fördert? Steuergelder aus Europa, die in China den Kohlestrom verbilligen? Willkommen in der Welt des globalen Klimabusiness! Was manchem als absurde Veranstaltung erscheinen mag, ist in dieser Branche ein ganz normales Geschäft.

Dessen Grundlage ist der Klimaschutzvertrag von Kyoto, mit dem der sogenannte „Clean Development Mechanism“ (CDM) ins Leben gerufen wurde. Dieser erlaubt es den Industrieländern, bis zu 50 Prozent ihrer Verpflichtung zur Minderung der Emissionen mit Projekten in anderen Ländern zu erbringen. Im Prinzip handelt es sich um ein Nullsummenspiel: Für jede Tonne CO2, die in einem Entwicklungsland eingespart wird, erhält der Auftraggeber aus einem Industriestaat eine Gutschrift, die es ihm erlaubt, eine Tonne mehr auszustoßen.

Dahinter steht die Überlegung, dass in weniger fortgeschrittenen Staaten solche Minderungen weit billiger zu erzielen sind als in den Wohlstandsländern. Gleichzeitig soll damit der Transfer von klimafreundlichen Technologien in ärmere Länder gefördert werden. Das war einst, am Verhandlungstisch in Kyoto im Jahr 1997, lediglich eine vage Idee. Aber heute ist daraus ein weltumspannendes Milliardengeschäft erwachsen, das höchst umstritten ist.

Viele Regierungen von Japan bis Kanada, die ihre Kyoto-Ziele im eigenen Land weit verfehlen, legten eigens Spezialfonds auf, um über Investitionen im armen Süden kostengünstig Gutschriften zu erwerben. Auch EU-Staaten, allen voran Italien und Spanien, wollen bis 2012 an die drei Milliarden Euro Steuergeld zum Kauf von Emissionsrechten in Entwicklungsländern einsetzen, weil sie zu Hause beim Klimaschutz nicht vorankommen.

Noch größer ist die Nachfrage bei den vielen tausend Unternehmen, die vom EU-Emissionshandel erfasst sind. Dieser verpflichtet die Betreiber von Kohlekraftwerken sowie von Chemie-, Stahl- und Zementbetrieben, für jede Tonne emittiertes Kohlendioxid den Behörden ein Zertifikat vorzulegen. Weil aber viele Firmen weniger Zertifikate zugeteilt bekommen, als sie benötigen, müssen sie in neue emissionsarme Technologien investieren oder eben Zertifikate zukaufen. Das kann an den EU-Börsen, je nach Konjunkturlage, bis zu 25 Euro pro Tonne kosten.

CDM-Projekte wie die Grubengasverwertung in China können dagegen das Gleiche zu einem Drittel dieses Preises liefern. Dabei gingen die EU-Umweltminister sogar so weit, den Unternehmen mehr solcher Zukäufe im Ausland zu erlauben, als sie überhaupt an Emissionsminderungen erbringen müssen; sie können so eine Art Vorrat an Lizenzen für künftige Emissionen anlegen. Schöpfen die Firmen die erlaubten Mengen aus, könnten sie darum bis zum Ablauf des Kyoto-Vertrages im Jahr 2012 den Ausstoß von Treibhausgasen gegenüber dem Vergleichsjahr 2005 sogar um fünf Prozent steigern – und so den ganzen Zweck des Emissionshandels ins Gegenteil verkehren.

Als Großkunde tritt etwa der deutsche Stromkonzern RWE auf, der für seine Braunkohlekraftwerke jedes Jahr Zertifikate für 60 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich beschaffen muss. Bis 2012 planen die Emissionsmanager des Konzerns daher Ausgaben von bis zu einer Milliarde Euro für Vorhaben in China, Indien und Ägypten, um sich dort Zertifikate zu besorgen. Mit dem Geld der Stromkunden wird dann etwa in Indien die Ausgabe von Energiesparlampen oder in China der Bau von Wasserkraftwerken subventioniert. Kein Wunder, dass das Geschäft einen Boom ohnegleichen erfährt. Hunderte von spezialisierten Firmen sind entstanden, die Projekte aller Art konzipieren und ein weltweites Netzwerk von Beratungsbüros aufgebaut haben.

In dessen Zentrum steht eine Behörde, die auf der Welt nicht ihresgleichen hat: Das UN-Klimasekretariat in Bonn. Dort, in der Villa „Carstanjen“, wo einst der Marshallplan unterzeichnet wurde, sind 94 Fachkräfte aus 37 Ländern nur damit beschäftigt, Anträge aus aller Welt zu prüfen und jene Gutschriften auszustellen, die als „Certified Emission Reductions“ (CER) bares Geld wert sind. Bisher wurden fast 1400 Vorhaben genehmigt. Gut 3000 weitere sind in Planung. Bis Ende 2012 rechnen die UN-Klimaschützer mit der Ausgabe von Emissionsgutschriften im Wert von gut 30 Milliarden Euro.

Vor jedem Anlauf dieser Maschine zum Gelddrucken steht jedoch die Entscheidung eines Exekutivrats mit zehn Mitgliedern aus ebenso vielen Staaten in Nord und Süd. Sie müssen beurteilen, ob die Projekte auch tatsächlich zur Minderung des Ausstoßes von Treibhausgasen führen – eine fast unlösbare Aufgabe. Weil der Nachweis oft nicht gelingt, wird zusehends das ganze Programm infrage gestellt.

So begann das Klimageschäft zunächst dort, wo niemand damit gerechnet hatte: in Fabriken zur Herstellung von Industriegasen für Kühlschränke. Dort fällt als Abfallprodukt Triflourmethan an, ein Treibhausgas, 11 000-mal stärker als CO2. Anders als in den Industriestaaten ist dessen Vernichtung in China, Indien und anderen Schwellenstaaten jedoch nicht Vorschrift.

Daraus konstruierten findige Beratungsfirmen wie Pricewaterhouse-Coopers eine wahre Goldgrube. Dabei kalkulierten sie die simple Verbrennung des Abfallgases als Vermeidung einer fast 10 000-mal so großen Emission an CO2 und beantragten dafür die Ausstellung von entsprechend vielen Zertifikaten. Weil das formal seine Richtigkeit hatte, winkten die UN-Prüfer die Projekte durch mit der Folge, dass die Abgasverbrennung den Herstellern mehr Geld einbringt als ihr eigentliches Produkt.

So werden die Betreiber von gleich 19 Kühlmittelfabriken, davon allein 10 in China, mit dem Verkauf der so gewonnenen Zertifikate Zusatzeinnahmen im Wert von 4,7 Milliarden Euro erzielen, während sie dafür gerade mal 100 Millionen Euro investieren mussten, berechneten Forscher der Universität Stanford.

Das gleiche Schema zogen auch zahlreiche Chemieunternehmen in ihren Fabriken für Salpeter- und Adepinsäure durch. Dort lassen sie sich die Verbrennung des anfallenden Lachgases gut bezahlen, genauso wie die Bergwerkskonzerne ihre Grubengasverwertung. Damit fließen Milliarden aus Staatskassen und den Zahlungen von Kunden für Strom, Stahl und Zement für simple Klimaschutztechniken, deren Einsatz auch per Gesetz in den Entwicklungsstaaten hätte erzwungen werden können. Das CDM-Programm schaffe damit den „perversen Anreiz“, absichtlich möglichst viel gefährliche Treibhausgase zu produzieren, um sich deren Vernichtung bezahlen zu lassen, kritisiert der Stanford-Experte Michael Wara. Um dem einen Riegel vorzuschieben, begrenzte der Exekutivrat diese Methoden auf Anlagen, die schon vor 2004 in Betrieb waren. An der Praxis in den bestehenden Fabriken ändert sich jedoch nichts.

Noch schwerer lastet ein weiteres Problem auf den CDM-Aufsehern: Grundsätzlich dürfen nur solche Projekte genehmigt werden, die ohne das Geld für die CER-Gutschriften nicht durchgeführt werden könnten. Die bloße Mitnahme der Erlöse für Emissionen, die ohnehin eingespart werden, soll verhindert werden. Doch eben diese „Zusätzlichkeit“, wie es im Kyoto-Vertrag heißt, ist häufig kaum zu beweisen.

Das gilt vor allem für die vielen Projekte in China. Die Regierung in Peking hat die Erlöse aus den Gutschriften zu einem strategischen Bestandteil ihres Energieprogramms gemacht. Darum fließt mehr als die Hälfte aller CDM-Gelder nach China (siehe Grafik). An vorderster Stelle steht dabei der Bau von Wasserkraftwerken. Weil diese – jedenfalls rechnerisch – die Produktion von Kohlestrom ersetzen, beanspruchen die staatlichen Stromversorger für mehr als 700 neu gebaute oder geplante Staudämme das UN-Siegel und die zugehörigen Gutschriften.

Einer der größten Partner dabei ist der RWE-Konzern, der gleich bei 38 Dammprojekten eingestiegen ist. 16 Millionen Zertifikaten wollen die Braunkohlestromer damit kaufen, um beim Umweltbundesamt die Erlaubnis für genauso viele Tonnen CO2-Emissionen zu erhalten. Aber werden die Wasserkraftwerke wirklich nur gebaut, weil sie CDM-Erlöse einbringen? Das erscheint in China, dessen Wirtschaft jede Kilowattstunde braucht, wenig glaubwürdig.

Ein Fall von vielen ist das 135-Megawatt-Wasserkraftwerk Xiaoxi in der Provinz Hunan. Den Nachweis, dass es ohne das Geld der deutschen Stromkunden tatsächlich nicht gebaut worden wäre, führte dort im Auftrag von RWE der Tüv-Süd. Bei der Berechnung der „Zusätzlichkeit“ sind die Gutachter jedoch an die Vorgaben der chinesischen Behörden gebunden. Die aber setzten den Richtwert für den zu erzielenden Gewinn willkürlich auf acht Prozent pro Jahr an. Automatisch geraten damit kleinere Dammprojekte ohne CDM-Gelder rechnerisch in die Verlustzone, so auch das Ergebnis in Xiaoxi. Und ein Wasserkraftwerk, das sich nicht rechnet – so die Logik der Zahlen –, wäre nicht gebaut worden.

Natürlich könne man diese „Benchmark“ anzweifeln, räumt der CDM- Experte Sven Kolmetz ein, der beim Tüv-Süd die zuständige Abteilung leitet. Aber weil es in Chinas staatlichem Stromsektor keinen Wettbewerb gibt, gebe es keinen anderen Richtwert. Das habe der UN-Exekutivrat auch akzeptiert.

Der Fall illustriert, warum die zentrale Rechtfertigung für den Ablasshandel mit den Verschmutzungsrechten nur selten zu beweisen ist. Eine Studie des Ökoinstituts ergab sogar, dass bei 40 Prozent von 93 zufällig ausgewählten Projekten die bescheinigte Zusätzlichkeit nur fingiert war. Ermöglicht hat das nicht zuletzt die Fehlkonstruktion des Kontrollgremiums. Sowohl die Vertreter aus den Industriestaaten als auch die aus Entwicklungsländern wollen so viele Gutschriften ausstellen wie möglich. Die einen, weil sie ihre Kyoto-Pflichten billig erfüllen wollen, die anderen, weil sie daran verdienen.

Doch mittlerweile ist auch den Aufsehern klar, dass ihre bisherige Praxis das ganze Programm gefährdet. Es habe „harte Debatten gegeben“, berichtet der portugiesische Klimadiplomat Pedro Barata, der die EU in dem Gremium vertritt. „Um das System zu retten“, sollen nun die Kriterien bei allen Einsparmethoden verschärft und die externen Gutachter weit strengeren Prüfungen unterzogen werden. Allzu häufig habe es den Verdacht gegeben, dass diese „im Zweifelsfall lieber zugunsten ihrer Auftraggeber entscheiden“, sagt Barata. Darum statuierte das Gremium im Dezember an der größten Gutachterorganisation, der norwegischen Firma DNV, ein Exempel und entzog ihr die Zulassung. Seitdem sei allen Beteiligten klar, dass „es jetzt ernst wird mit der strengen Prüfung“, hofft der EU-Klimapolitiker.

Um die Glaubwürdigkeit des Programms ringt auch die EU-Kommission. In den Verhandlungen über den Emissionshandel nach 2012 setzten die zuständigen EU-Beamten durch, dass die UN- Zertifikate vom EU-Markt ausgeschlossen werden können, wenn die angewandten Methoden zweifelhaft sind.

Aber wäre es dann nicht besser, das Programm gleich ganz abzuschaffen? Die Forderung liegt nahe und ist politisch doch keine Option. Denn selbst harte Kritiker wie Lambert Schneider, Autor der Studie des Ökoinstituts, räumen ein, dass erst das CDM-Geschäft dazu geführt habe, dass sich Regierungen und Unternehmen in den ärmeren Ländern überhaupt mit dem Klimaschutz befassen. Auch gebe es zahlreiche „gute Projekte, die wirklich was bringen“. Ein Fortschritt sei etwa die mit CDM-Geld bezahlte Sanierung von mehreren hundert großen Mülldeponien rund um den Globus, aus denen früher enorme Mengen Methan ungenutzt in die Atmosphäre entwichen.

Vor allem aber sehen die EU-Klimadiplomaten ohne den Anreiz mit den CDM-Erlösen keine Chance, die großen Schwellenländer für den neuen Klimaschutzpakt zu gewinnen, der bis Ende des Jahres zum UN-Klimagipfel in Kopenhagen ausgehandelt werden soll. Immerhin gebe es jetzt überall die nötigen Behörden und Strukturen, erklärt der EU-Beamte Peter Zapfel aus der zuständigen Generaldirektion in Brüssel. Nun müsse man auf „mehr Qualität“, also wirklich nachweisbare Minderung der Emissionen drängen. Wenn es erst einen US-weiten Emissionshandel und, wie von der Kommission geplant, einen „wirklich weltweiten Kohlenstoffmarkt“ gebe, dann könnten alle Industrieländer gemeinsam den Ländern des Südens sogar ein Vielfaches des bisherigen Umsatzes anbieten.

Dazu, so schlagen UN-Gutachter vor, sollte man aber für jede in Europa oder Amerika gutgeschriebene Tonne Kohlendioxid doppelt so viel Minderung im Süden fordern. Damit könnten die Projektländer noch immer eine Menge Geld verdienen, nur wäre der Ertrag für den Klimaschutz weit höher, meint etwa Ökoinstituts-Fachmann Schneider. Setzt sich dieses Modell durch, dann hat der Boom im Klimabusiness gerade erst begonnen.

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