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Todesstätte. In diesem Verhörzentrum fanden Rebellen am 26. August rund 50 Massakrierte. Im Vordergrund ein Transporter, in dem die Gefangenen zusammengepfercht wurden.

© Katharina Eglau, Winterfeldtstr.

Politik: Das Heer der Verschwundenen

Massaker von Gaddafi-Truppen entdeckt / Zehntausende Gefangene vermisst

Leichengeruch zieht aus dem verkohlten Metallschuppen über das Gelände, direkt neben dem zerstörten Hauptquartier der gefürchteten 32. Brigade von Gaddafi-Sohn Khamis. Die Umrisse der Körper auf dem Boden sind noch zu erkennen. Die Toten wurden von Anwohnern geborgen und bestattet. Als die Rebellen am vergangenen Freitagabend die Yarmouk-Kaserne nach sieben Stunden erbitterten Kampfes schließlich erobern konnten, kam für mindestens 50 hier gefangene Oppositionelle jede Hilfe zu spät. Kurz vor dem Untergang des Regimes hatten Khamis Elitesoldaten sie massakriert. Ihr Massengrab war bereits ausgehoben.

Fathallah Abdullah, der zusammen mit drei Söhnen in dem Schuppen eingesperrt war, überlebte als Einziger seiner Familie. Alle waren eine Woche zuvor festgenommen worden, berichtet er weinend der BBC. Die Schergen hätten ihre Opfer in die Baracke gepfercht – in der Gaddafi-Zeit ein Verhörzentrum. „Sie stellten uns nicht einmal Fragen“, sagt der alte Mann. „Sie verprügelten uns und beschimpften uns als Ratten.“ Am Abend des Massenmordes, das berichten die Augenzeugen, holten die Gaddafi-Getreuen zuerst die Soldaten aus dem Raum, die den Schießbefehl verweigert hatten – und richteten sie auf dem sandigen Hofgelände hin. Dann feuerten sie von oben durch das Blechdach auf die übrigen Gefangenen. Einer schleuderte durch die aufgerissene Tür drei Handgranaten nach drinnen und legte anschließend mit einem Autoreifen Feuer.

Die Rebellen vermuten weitere solcher Hinrichtungsstätten und Massengräber um den weitläufigen Kasernenkomplex herum, der im Stadtteil Salahaddin im Süden der Hauptstadt liegt, einer Hochburg Gaddafis. Auch in Bab al Aziziya, der Betonfestung um das Beduinenzelt des paranoiden Despoten herum, entdeckten die Aufständischen die Leichen von 150 Gefangenen, die von Wachsoldaten mit Handgranaten ermordet worden waren. Ein Augenzeuge berichtete Amnesty International, Wächter im Gharour-Gefängnis hätten alle Insassen seiner Zelle gezwungen, sich auf den Boden zu legen und dann das Feuer eröffnet. 23 Menschen seien gestorben. Und im Mitiga-Krankenhaus wurden kurz vor dem Zusammenbruch des Regimes noch 17 Leichen abgeliefert, die offenbar durch Schüsse in den Hinterkopf hingerichtet worden waren.

Der Nationale Übergangsrat (NTC) schätzt, dass allein in den letzten sechs Monaten zwischen 57 000 und 60 000 Menschen durch Gaddafis Kommandotrupps verhaftet worden sind. Nur rund 11 000 konnten bisher gefunden und befreit werden. Von den übrigen Zehntausenden fehlt jede Spur. In einem eindringlichen Appell forderte der NTC die Verantwortlichen des Regimes auf, sich zu stellen und ihr Wissen preiszugeben, wo diese vielen Menschen geblieben sind.

Allein auf dem Todesgelände in Salahaddin parken drei gelbe Schaufelbagger, mit denen möglicherweise weitere Massengräber in der Umgebung ausgehoben worden sind. Zurückgelassen wurde auch ein blauer Kastenwagen. Abubakr Tabib war vier Tage lang zusammen mit seinem jüngeren Bruder Feisal in einer der acht Minizellen im Inneren des Wagens eingesperrt. In dem Bericht der BBC erkennt der 31-jährige Cafébesitzer den Wagen wieder. Die beiden waren am 10. Juli verhaftet worden, weil sie in Tripolis die Rebellenflagge an Hauswände gesprayt hatten. „Innen war es unglaublich heiß. Wir hatten die Augen verbunden und bekamen kaum Luft“, berichtet er von der Tortur. „Du bist sicher, jetzt wirst du langsam sterben.“ Mehrmals wurde er aus dem Metallkasten herausgeholt und so schwer zusammengeschlagen, dass er zeitweise das Bewusstsein verlor. „Es gab kein Wasser und kein Essen, wir wussten nicht, wo wir waren.“ Danach verschleppten ihn Gaddafis Folterer in das Abu Salim Gefängnis, wo ihn die Rebellen mit 5000 weiteren Gefangenen vor drei Tagen befreiten.

Einen seiner Quäler aus dem Verhörzentrum hat er erkannt. In den nächsten Tagen will er ihn zur Fahndung ausschreiben lassen.

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