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Politik: Das kleine Einmaleinemilliarde

Am teuren Rechenfehler beim Kompromiss zur Steuerreform soll ein Übermittlungs-Fauxpas schuld sein

Von
  • Robert Birnbaum
  • Antje Sirleschtov

DIE EINIGUNG IM VERMITTLUNGSAUSSCHUSS

Von Robert Birnbaum

und Antje Sirleschtov

Es ist wohl der teuerste Rechenfehler der Bundespolitik aller Zeiten – und keiner will ihn begangen haben. Das heißt, keiner mehr. Als am Dienstagabend ruchbar wurde, dass sich die Steuerreform-Kompromissler in der langen Vermittlungsnacht auf den Montag um gut eine Milliarde Euro verrechnet haben, nahm die Finanzstaatssekretärin Barbara Hendricks (SPD) die Schuld auf sich: „Ich bekenne mich schuldig, ich hatte nicht mehr daran gedacht, dass es inzwischen eine neue Steuerschätzung gegeben hat.“ Tags darauf vermutet Ministeriumssprecher Jörg Müller, dass Hendricks das heute wohl nicht mehr so sagen würde.

Was ist passiert? Die rein mathematischen Fakten sind kompliziert, aber unstreitig. Die Steuersenkung 2004 besteht gewissermaßen aus zwei Teilen. Der eine Teil ist jene Steuerreformstufe, die eigentlich 2003 fällig gewesen wäre, aber zur Finanzierung der Flutschäden im Wahljahr 2002 verschoben wurde. Zusätzlich wird die für 2005 geplante Reformstufe teilweise vorgezogen – beides zum 1. Januar 2004. Der Fehler, aus dem sich alles Folgende ergab, passierte bei der Berechnung der Steuerstufe 2003. Wie viel Geld diese Steuersenkung den Bürgern 2004 bringen wird, lässt sich nur schätzen. Die Basis dafür sind die Steuerschätzungen. Im Mai ergab diese Schätzung eine Steuerprognose, nach der die Entlastung durch die Steuerreform 2003 rund 7,2 Milliarden Euro betragen würde. Im November aber folgte die nächste Schätzung, die weniger Steuereinnahmen vorhersagte als die alte Prognose – damit aber auch ein geringeres Entlastungsvolumen von nun 6,1 Milliarden Euro.

Das Bundesfinanzministerium, sagt sein Sprecher, wusste das in der Montagnacht. Irgend jemandem aber war es offenbar nicht klar. Als die Runde der Großen im Bundesrat den Steuerstreit entschied, so stellen es Teilnehmer der Schlussrunde von Seiten der Union dar, lautete der entscheidende Vorschlag: Um die Finanzierung durch Schulden auf ein Viertel zu begrenzen, ziehen wir nur die halbe Steuerreformstufe 2005 vor, die ursprünglich für 2005 vorgesehene Entlastung von 15,6 wird also auf 7,8 Milliarden Euro gesenkt. NRW-Regierungschef Peer Steinbrück wurde nach draußen geschickt mit dem Auftrag, ausrechnen zu lassen, welchen Steuersatz das ergeben würde. Die dort draußen in den Rechner-Räumen saßen, schwören aber ebenso wie Ministeriumssprecher Müller Stein und Bein, dass ihr Auftrag anders gelautet habe: Welcher Steuersatz ergibt sich bei einer Gesamtentlastung von 15 Milliarden Euro? Das Ergebnis, korrekt gerechnet: 16 Prozent Eingangs- und 45 Prozent Spitzensteuersatz. Alle stimmten erleichtert zu.

Erst am Montagabend fiel in einer Runde der Finanz-Fachbeamten von Bund und Ländern auf, dass etwas nicht stimmte: Die Steuersätze 16/45 ergaben eine Steuerentlastung für 2005 nicht von 7,8, sondern von rund 9 Milliarden Euro. Das heißt für Bund und Länder: Sie müssen gut eine Milliarde Euro mehr auftreiben, im Zweifel durch Schulden. Aus dem Triumph der Union, sie habe die Schuldenfinanzierung sogar noch knapp unter 25 Prozent gedrückt, wurde das bittere Eingeständnis, dass es doch ein Drittel wird.

Und wer ist Schuld? Wenn alle Darstellungen stimmen – dann kann es nur jemand auf dem Weg zwischen der Spitzenrunde und dem Rechner-Raum gewesen sein.

Weitere Informationen im Internet:

www.tagesspiegel.de/steuerreform

www.metier2000.de/bnl2000.htm

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