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Auf zum Römerberg. Die zentrale Kundgebung in Frankfurt am Main – letztes wie (geplant) auch dieses Jahr. Berlins Aktive gingen am Karsamstag auf die Straße.

© dpa

Ostermärsche: Das Osterfest der Friedensbewegung

Wanderungen, Feste, Kundgebungen: Die Friedensbewegung ruft wie jedes Jahr zum Ostermarsch auf. Die Zahl der Veranstaltungen ist 2014 höher.

Seit 54 Jahren auf dem Weg: Die traditionellen Ostermärsche – neben Wanderungen auch Feste und Kundgebungen – widmen sich in diesem Jahr der Ukraine-Krise, den Konfliktherden Syrien, Mali, Afghanistan und fordern, so heißt es im Aufruf, „ein Verbot der skandalösen deutschen Rüstungsexporte“. Ein bunter Strauß von Themen, womöglich zu viele, um die Menschen auf die Straße zu bringen? Zum Auftakt am Karfreitag versammelten sich in Hessen und Nordrhein-Westfalen zunächst nur ein paar hundert Aktive.

Die Ostermarschbewegung, deutsches Geburtsjahr 1960, mobilisiert seit langem nicht mehr wie einst, als sie sich den ganz großen und ganz nahen Themen widmen konnte: der Wiederbewaffnung Deutschlands in den 60ern und dem Rüstungswettlauf in den 80ern. Allein in Berlin demonstrierten 1984, also vor genau 30 Jahren, zehntausend Menschen. Am Ende des Ost-West-Konflikts, so der Marburger Konfliktforscher Thorsten Bonacker kürzlich im dpa-Gespräch, fielen Positionierungen schwer.

Die aktuelle Rhetorik erinnere an die des Kalten Krieges

Wie viele diesmal mitmarschieren, -demonstrieren, die Kundgebungen bevölkern werden? Kristian Golla vom Bonner Netzwerk Friedenskooperative wagt keine Prognose und rät auch anderen davon ab: „Wer meint, Teilnehmerzahlen vorahnen zu können, schaut vermutlich in seine Glaskugel zuhause.“ Angemeldet waren am Karfreitag 91 Veranstaltungen, deutlich mehr als die 81 im vergangenen Jahr, aber auch das liege „im Rahmen der Mobilisierung der letzten zehn Jahre“, sagt Golla. „Die Ostermärsche sind nicht der Zählappell der Friedensbewegung.“ Die Unwägbarkeiten reichten vom schlechten Wetter bis zum Verdrängungswettbewerb der Themen: „Die Krise in der Ukraine war vor einem halben Jahr noch gar nicht am Himmel der Öffentlichkeit. Natürlich nimmt das Aufmerksamkeit von Syrien weg, aber das zu sagen, ist, als weise man darauf hin, dass morgen wieder die Sonne aufgeht“, sagt Golla. Die Ukraine könne auch mobilisieren. Die aktuelle Rhetorik erinnere an die des Kalten Krieges – das könne das Gefühl, selbst betroffen zu sein, verstärken: „Betroffenheit ist ein zentrales Element, wenn Menschen entscheiden, auf die Straße zu gehen.“ Ohnehin verliefen „soziale Bewegungen in Wellen“.

Solche Wellen prägen die Geschichte der Friedensbewegung in Deutschland seit 1945. Schon ein Jahr nach Kriegsende nahm die älteste pazifistische Organisation, die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG), die Arbeit wieder auf. Sie war 1892 unter Mitwirkung der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner gegründet worden und kam Ende der 20er Jahre zeitweise auf 30 000 Mitglieder – darunter Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky. Etwa 10 000 verzeichnete sie schon 1948 wieder, erlitt aber im beginnenden Kalten Krieg deutliche Rückschläge: Verbot in der sowjetischen Besatzungszone, im Westen dagegen der Verdacht, kommunistisch unterwandert zu sein. Zudem habe Konrad Adenauers Politik der Westbindung, schrieb der Chicagoer Historiker Andrew Oppenheimer vor Jahren in einem Rückblick, auch dem Durchschnittsbürger verständlichen politischen Ertrag versprochen. Die DFG dagegen plädierte für ein demilitarisiertes Gesamtdeutschland.

Die deutschen Marschierer protestierten zunächst gegen die Atombewaffnung der BRD

Dies änderte sich ab 1954, nach den Wasserstoffbombentests von Amerikanern und Sowjets und der Stationierung von US-Waffen, auch nuklearen, in Westdeutschland. Die neue SPD-geführte Kampagne „Kampf dem Atomtod“ brachte allein 1958 mehr als 325 000 Bundesbürger auf die Beine, einer ihrer wichtigsten Redner und Repräsentanten wurde Pastor Martin Niemöller, einst Exponent der Bekennenden Kirche, nun EKD-Kirchentagspräsident und seit 1957 Vorsitzender der DFG. „Kampf dem Atomtod“ war denn auch das Motto der ersten deutschen Ostermärsche 1960, zu denen zwei Jahre zuvor britische Atomwaffengegner erstmals aufgerufen hatten.

Die deutschen Marschierer protestierten zunächst gegen die Atombewaffnung der Bundesrepublik, schon 1962 werden 50 000, 1966 etwa 140 000 Ostermarschierer gezählt und auf dem Höhepunkt der Bewegung, unter dem Eindruck der Notstandsgesetze 1968, mehr als 200 000. Der Nato-Doppelbeschluss – die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen – verschafft der Bewegung nach ihrem vorläufigen Ende 1970 neuen Aufschwung: Hunderttausende marschieren 1982 und 1983 mit. Nach Zahlen, die der Berliner Protestforscher Dieter Rucht zusammengestellt hat, brachte die Friedensbewegung in der Bundesrepublik zwischen 1950 und 1997 jeweils mehr Menschen auf die Beine und organisierte mehr Veranstaltungen als jede andere soziale Bewegung.

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Der Ostermarsch ist seit den 80ern, bei wechselndem Interesse, feste jährliche Protestform der Pazifisten zu einem Zeitpunkt, da die allgemeine Nachrichtenarmut dem Thema „Friedenspolitik“ regelmäßig jene Aufmerksamkeit verschafft, die es sonst selten hat. Und die, so sieht es Koordinator Golla, ist dringend nötig: „Wir haben mit dem Ende der Ost-West-Konfrontation heute zum Glück eine Million Soldaten weniger auf deutschem Boden. Aber wir haben hier weiter Atomwaffen und die Welt ist nicht friedlicher geworden. Wir wollen etwas dafür tun, dass klar wird: Militär ist nicht Teil der Lösung, sondern das Problem.“

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